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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Sevilla.
thischen Gassen sich windend, in den offenen Zaguan hineinsieht,
wie Scenerien arabischer Märchen. Noch vernehmen wir in den
Melodien des Volkes die schwermüthigen arabischen Weisen, und
Tänze sind aus den Kirchen noch nicht verschwunden. Diese
Feste, Masken, Tänze und Processionen erschienen den Fremden
jederzeit ganz im Geschmack des Ostens, -- all' uso antico moresco
del paese
1). In den Gemächern, die sich um diese patios legen,
standen Schränke mit Marketeriearbeit aus Cedern- und Rosen-
holz, Ebenholz und Elfenbein, Schildpatt und edlem Metall, die fein-
sten indischer Arbeit aus Goa; chinesische Emailgefässe, farben-
prächtige Vögel der Tropen. Um die Wände liefen Azulejos mit
Metallreflexen, flandrische und mexikanische gewirkte Tapisserien,
corduanische Ledertapeten wurden dort aufgehängt, und den
Boden bedeckten persische Teppiche. Jetzt haben sich die Museen
mit diesen immer seltener werdenden Herrlichkeiten angefüllt.
Selbst die christlichen Tempel waren bis ins 16. Jahrhundert
ein Gemisch von Moschee und Kirche, neben gothischen Portalen
und Chorpolygonen erhoben sich Glockenthürme mit Hufeisenbo-
gen, Kreuzgewölbe wechselten mit Artesonado-Decken. Die letz-
teren gebraucht der Dichter Luis de Leon als Beispiel des sei-
nem frommen Sinn bedenklichen Zaubers dieser Mudejar-Kunst
-- el dorado techo . .
del sabio Moro, en jaspes sustentado
.

Aber die Casa de Pilatos des Fadrique Enriquez de Rivera
(1533) hatte diesen Maurenstil mit den heiligsten Erinnerungen
der Christenheit verknüpft. Nach den arabischen und gothischen
Stilformen war die italienische Renaissance erschienen, aber auch
sie hatte dem Geist des Ortes nicht widerstanden; sie berauschte
sich in figürlicher und ornamentaler Phantastik. Jetzt herrschte
freilich der strenge nüchterne Cinquecentostil des Herrera, in
dem der Tempel Mercurs gebaut wurde. Nun vermochte man
nur noch mit den Augen eines Vignola zu sehn, und man ver-
stand nicht mehr, was das abgelaufene Halbjahrtausend geschaffen.
Lope bewundert das Monument der heiligen Woche als Sevilla's
höchste Merkwürdigkeit2). Doch verbreiteten die Werke der Vor-
zeit über die Stadt auch in den Augen dieser neuen Menschen ein

1) So erschien Zane der Zug des Hofs nach der Atocha bei der Geburt des
Prinzen im Jahre 1657 (28. November).
2) Wahrscheinlich im Jahre 1559 modellirt; maquina tan rara del monu-
mento, la mayor del cielo nennt er dieses kalte Werk, ebenda.

Sevilla.
thischen Gassen sich windend, in den offenen Zaguan hineinsieht,
wie Scenerien arabischer Märchen. Noch vernehmen wir in den
Melodien des Volkes die schwermüthigen arabischen Weisen, und
Tänze sind aus den Kirchen noch nicht verschwunden. Diese
Feste, Masken, Tänze und Processionen erschienen den Fremden
jederzeit ganz im Geschmack des Ostens, — all’ uso antico moresco
del paese
1). In den Gemächern, die sich um diese patios legen,
standen Schränke mit Marketeriearbeit aus Cedern- und Rosen-
holz, Ebenholz und Elfenbein, Schildpatt und edlem Metall, die fein-
sten indischer Arbeit aus Goa; chinesische Emailgefässe, farben-
prächtige Vögel der Tropen. Um die Wände liefen Azulejos mit
Metallreflexen, flandrische und mexikanische gewirkte Tapisserien,
corduanische Ledertapeten wurden dort aufgehängt, und den
Boden bedeckten persische Teppiche. Jetzt haben sich die Museen
mit diesen immer seltener werdenden Herrlichkeiten angefüllt.
Selbst die christlichen Tempel waren bis ins 16. Jahrhundert
ein Gemisch von Moschee und Kirche, neben gothischen Portalen
und Chorpolygonen erhoben sich Glockenthürme mit Hufeisenbo-
gen, Kreuzgewölbe wechselten mit Artesonado-Decken. Die letz-
teren gebraucht der Dichter Luis de Leon als Beispiel des sei-
nem frommen Sinn bedenklichen Zaubers dieser Mudejar-Kunst
el dorado techo . .
del sabio Moro, en jaspes sustentado
.

Aber die Casa de Pilatos des Fadrique Enriquez de Rivera
(1533) hatte diesen Maurenstil mit den heiligsten Erinnerungen
der Christenheit verknüpft. Nach den arabischen und gothischen
Stilformen war die italienische Renaissance erschienen, aber auch
sie hatte dem Geist des Ortes nicht widerstanden; sie berauschte
sich in figürlicher und ornamentaler Phantastik. Jetzt herrschte
freilich der strenge nüchterne Cinquecentostil des Herrera, in
dem der Tempel Mercurs gebaut wurde. Nun vermochte man
nur noch mit den Augen eines Vignola zu sehn, und man ver-
stand nicht mehr, was das abgelaufene Halbjahrtausend geschaffen.
Lope bewundert das Monument der heiligen Woche als Sevilla’s
höchste Merkwürdigkeit2). Doch verbreiteten die Werke der Vor-
zeit über die Stadt auch in den Augen dieser neuen Menschen ein

1) So erschien Zane der Zug des Hofs nach der Atocha bei der Geburt des
Prinzen im Jahre 1657 (28. November).
2) Wahrscheinlich im Jahre 1559 modellirt; máquina tan rara del monu-
mento, la mayor del cielo nennt er dieses kalte Werk, ebenda.
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[27/0047] Sevilla. thischen Gassen sich windend, in den offenen Zaguan hineinsieht, wie Scenerien arabischer Märchen. Noch vernehmen wir in den Melodien des Volkes die schwermüthigen arabischen Weisen, und Tänze sind aus den Kirchen noch nicht verschwunden. Diese Feste, Masken, Tänze und Processionen erschienen den Fremden jederzeit ganz im Geschmack des Ostens, — all’ uso antico moresco del paese 1). In den Gemächern, die sich um diese patios legen, standen Schränke mit Marketeriearbeit aus Cedern- und Rosen- holz, Ebenholz und Elfenbein, Schildpatt und edlem Metall, die fein- sten indischer Arbeit aus Goa; chinesische Emailgefässe, farben- prächtige Vögel der Tropen. Um die Wände liefen Azulejos mit Metallreflexen, flandrische und mexikanische gewirkte Tapisserien, corduanische Ledertapeten wurden dort aufgehängt, und den Boden bedeckten persische Teppiche. Jetzt haben sich die Museen mit diesen immer seltener werdenden Herrlichkeiten angefüllt. Selbst die christlichen Tempel waren bis ins 16. Jahrhundert ein Gemisch von Moschee und Kirche, neben gothischen Portalen und Chorpolygonen erhoben sich Glockenthürme mit Hufeisenbo- gen, Kreuzgewölbe wechselten mit Artesonado-Decken. Die letz- teren gebraucht der Dichter Luis de Leon als Beispiel des sei- nem frommen Sinn bedenklichen Zaubers dieser Mudejar-Kunst — el dorado techo . . del sabio Moro, en jaspes sustentado. Aber die Casa de Pilatos des Fadrique Enriquez de Rivera (1533) hatte diesen Maurenstil mit den heiligsten Erinnerungen der Christenheit verknüpft. Nach den arabischen und gothischen Stilformen war die italienische Renaissance erschienen, aber auch sie hatte dem Geist des Ortes nicht widerstanden; sie berauschte sich in figürlicher und ornamentaler Phantastik. Jetzt herrschte freilich der strenge nüchterne Cinquecentostil des Herrera, in dem der Tempel Mercurs gebaut wurde. Nun vermochte man nur noch mit den Augen eines Vignola zu sehn, und man ver- stand nicht mehr, was das abgelaufene Halbjahrtausend geschaffen. Lope bewundert das Monument der heiligen Woche als Sevilla’s höchste Merkwürdigkeit 2). Doch verbreiteten die Werke der Vor- zeit über die Stadt auch in den Augen dieser neuen Menschen ein 1) So erschien Zane der Zug des Hofs nach der Atocha bei der Geburt des Prinzen im Jahre 1657 (28. November). 2) Wahrscheinlich im Jahre 1559 modellirt; máquina tan rara del monu- mento, la mayor del cielo nennt er dieses kalte Werk, ebenda.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/47>, abgerufen am 22.11.2024.