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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Das Krucifix von San Placido.
jenem Griechen, als er den Achäerkönig beim Opfer seiner Toch-
ter malen sollte. Im übrigen begnügt er sich, ein gut gebautes
männliches Modell (delicado verlangte Pacheco I, 250) in die
überlieferte Stellung zu setzen. Es hat nicht die sonst, auch von
Montannes, Cano, Murillo gewählten edel-hageren, schlanken
Formen. Irre ich nicht, so beruht die Wirkung des Gemäldes
zum Theil auf dieser Zurückhaltung des Künstlers, der sich
gewiss seiner Aufgabe gegenüber nicht bloss als Künstler
fühlte. Der Devotion, der Pietät ist wenig gelegen an einer
künstlerisch bedeutenden Interpretation oder Instrumentirung,
aber sie schätzt wörtliche Treue, authentische Züge; daher der
Cultus der Andenken, Reliquien, Daten. Als ob ein solcher Ge-
genstand in der schlichtesten, äusserlichen, aber authentischen
Vergegenwärtigung am stärksten wirke. Als ob alle Zuthaten
des empfindenden Künstlers, alle Mittel der Darstellung, die
Begleitung der bewusstlosen Natur selbst, diesen Eindruck nur
zerstreuen könnten. Wie ein Charfreitagsprediger damit begann:
heute möge er lieber den Gekreuzigten auf die Kanzel stellen
und herabtreten. Ein Bildhauer der es zum erstenmale sah,
meinte, es scheine ein Devotions-, ein Wallfahrtsbild. Und diess
führt auf den archäologischen Punkt. Sein gelehrter Schwie-
gervater hatte es als eine Art Lebensaufgabe angesehn, die
opinion de los cuatro clavos zu erneuern und zu beweisen, gegen die
seit dem Anfang des dreizehnten Jahrhunderts herrschende Ueber-
lieferung der drei Nägel1). Abgesehen von den Werken des
h. Lucas und Nicodemus berief er sich auf die Bronze Fran-
coni's nach einem bonarrotischen Modell, die der Maler Cespedes
am Halse trug; auf eine Zeichnung Dürer's in dem Band Phi-
lipp II, wahrscheinlich dem Brevier Granvella's. Welche Freude
für den alten Mann, vielleicht die Erfüllung eines lange gehegten
Wunsches, als sein Schwiegersohn, diese "ehrwürdige und
alte" Darstellung nun durch ein Meisterwerk wiedereinführte.
Ihm folgten Alonso Cano (im Bild der Akademie) und Ribera
in dem Crucifix zu Vitoria von 1643, wo die Füsse aber gekreuzt
sind2).


1) Die älteste bekannte Darstellung der Kreuzigung in der Miniatur des
syrischen Evangeliariums in der Laurenziana von 586 hat die vier Nägel. (Labarte
Pl. LXXX). Schon Walter sagt: Man sluoc im drie negel dur hende und ouch dur füeze.
2) Er hatte auch herausgebracht, dass das Kreuz 15 Fuss hoch und 8 breit
war, dass es aus glatten Balken bestand, der Hauptstamm war von Cypressenholz,
die Arme aus Fichten- und Olivenholz, das Stützbrett aus Ceder, die Tafel aus Bux!

Das Krucifix von San Placido.
jenem Griechen, als er den Achäerkönig beim Opfer seiner Toch-
ter malen sollte. Im übrigen begnügt er sich, ein gut gebautes
männliches Modell (delicado verlangte Pacheco I, 250) in die
überlieferte Stellung zu setzen. Es hat nicht die sonst, auch von
Montañes, Cano, Murillo gewählten edel-hageren, schlanken
Formen. Irre ich nicht, so beruht die Wirkung des Gemäldes
zum Theil auf dieser Zurückhaltung des Künstlers, der sich
gewiss seiner Aufgabe gegenüber nicht bloss als Künstler
fühlte. Der Devotion, der Pietät ist wenig gelegen an einer
künstlerisch bedeutenden Interpretation oder Instrumentirung,
aber sie schätzt wörtliche Treue, authentische Züge; daher der
Cultus der Andenken, Reliquien, Daten. Als ob ein solcher Ge-
genstand in der schlichtesten, äusserlichen, aber authentischen
Vergegenwärtigung am stärksten wirke. Als ob alle Zuthaten
des empfindenden Künstlers, alle Mittel der Darstellung, die
Begleitung der bewusstlosen Natur selbst, diesen Eindruck nur
zerstreuen könnten. Wie ein Charfreitagsprediger damit begann:
heute möge er lieber den Gekreuzigten auf die Kanzel stellen
und herabtreten. Ein Bildhauer der es zum erstenmale sah,
meinte, es scheine ein Devotions-, ein Wallfahrtsbild. Und diess
führt auf den archäologischen Punkt. Sein gelehrter Schwie-
gervater hatte es als eine Art Lebensaufgabe angesehn, die
opinion de los cuatro clavos zu erneuern und zu beweisen, gegen die
seit dem Anfang des dreizehnten Jahrhunderts herrschende Ueber-
lieferung der drei Nägel1). Abgesehen von den Werken des
h. Lucas und Nicodemus berief er sich auf die Bronze Fran-
coni’s nach einem bonarrotischen Modell, die der Maler Céspedes
am Halse trug; auf eine Zeichnung Dürer’s in dem Band Phi-
lipp II, wahrscheinlich dem Brevier Granvella’s. Welche Freude
für den alten Mann, vielleicht die Erfüllung eines lange gehegten
Wunsches, als sein Schwiegersohn, diese „ehrwürdige und
alte“ Darstellung nun durch ein Meisterwerk wiedereinführte.
Ihm folgten Alonso Cano (im Bild der Akademie) und Ribera
in dem Crucifix zu Vitoria von 1643, wo die Füsse aber gekreuzt
sind2).


1) Die älteste bekannte Darstellung der Kreuzigung in der Miniatur des
syrischen Evangeliariums in der Laurenziana von 586 hat die vier Nägel. (Labarte
Pl. LXXX). Schon Walter sagt: Man sluoc im drie negel dur hende und ouch dur füeze.
2) Er hatte auch herausgebracht, dass das Kreuz 15 Fuss hoch und 8 breit
war, dass es aus glatten Balken bestand, der Hauptstamm war von Cypressenholz,
die Arme aus Fichten- und Olivenholz, das Stützbrett aus Ceder, die Tafel aus Bux!
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[419/0447] Das Krucifix von San Placido. jenem Griechen, als er den Achäerkönig beim Opfer seiner Toch- ter malen sollte. Im übrigen begnügt er sich, ein gut gebautes männliches Modell (delicado verlangte Pacheco I, 250) in die überlieferte Stellung zu setzen. Es hat nicht die sonst, auch von Montañes, Cano, Murillo gewählten edel-hageren, schlanken Formen. Irre ich nicht, so beruht die Wirkung des Gemäldes zum Theil auf dieser Zurückhaltung des Künstlers, der sich gewiss seiner Aufgabe gegenüber nicht bloss als Künstler fühlte. Der Devotion, der Pietät ist wenig gelegen an einer künstlerisch bedeutenden Interpretation oder Instrumentirung, aber sie schätzt wörtliche Treue, authentische Züge; daher der Cultus der Andenken, Reliquien, Daten. Als ob ein solcher Ge- genstand in der schlichtesten, äusserlichen, aber authentischen Vergegenwärtigung am stärksten wirke. Als ob alle Zuthaten des empfindenden Künstlers, alle Mittel der Darstellung, die Begleitung der bewusstlosen Natur selbst, diesen Eindruck nur zerstreuen könnten. Wie ein Charfreitagsprediger damit begann: heute möge er lieber den Gekreuzigten auf die Kanzel stellen und herabtreten. Ein Bildhauer der es zum erstenmale sah, meinte, es scheine ein Devotions-, ein Wallfahrtsbild. Und diess führt auf den archäologischen Punkt. Sein gelehrter Schwie- gervater hatte es als eine Art Lebensaufgabe angesehn, die opinion de los cuatro clavos zu erneuern und zu beweisen, gegen die seit dem Anfang des dreizehnten Jahrhunderts herrschende Ueber- lieferung der drei Nägel 1). Abgesehen von den Werken des h. Lucas und Nicodemus berief er sich auf die Bronze Fran- coni’s nach einem bonarrotischen Modell, die der Maler Céspedes am Halse trug; auf eine Zeichnung Dürer’s in dem Band Phi- lipp II, wahrscheinlich dem Brevier Granvella’s. Welche Freude für den alten Mann, vielleicht die Erfüllung eines lange gehegten Wunsches, als sein Schwiegersohn, diese „ehrwürdige und alte“ Darstellung nun durch ein Meisterwerk wiedereinführte. Ihm folgten Alonso Cano (im Bild der Akademie) und Ribera in dem Crucifix zu Vitoria von 1643, wo die Füsse aber gekreuzt sind 2). 1) Die älteste bekannte Darstellung der Kreuzigung in der Miniatur des syrischen Evangeliariums in der Laurenziana von 586 hat die vier Nägel. (Labarte Pl. LXXX). Schon Walter sagt: Man sluoc im drie negel dur hende und ouch dur füeze. 2) Er hatte auch herausgebracht, dass das Kreuz 15 Fuss hoch und 8 breit war, dass es aus glatten Balken bestand, der Hauptstamm war von Cypressenholz, die Arme aus Fichten- und Olivenholz, das Stützbrett aus Ceder, die Tafel aus Bux!

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/447>, abgerufen am 25.11.2024.