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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Das Krucifix von San Placido.
genau gehalten hat. Die Gestalt steht wirklich so da, wie ein
Modell dastehn würde, oder wie in Passionsspielen der Schau-
spieler, nur dass man bei diesem doch die Anzeichen der uner-
träglichen Lage mit Beunruhigung wahrnehmen würde.

Dabei die strengste Symmetrie. Keine schräge Stellung
des Kreuzes, wie sie in der Rubens'schen Schule beliebt ist;
kaum eine Neigung des Kopfes nach der einen Schulter;
dieses starre Gleichmaass wird durch die nebeneinandergestellten
Füsse mit den zwei Nägeln vollendet.

Das Bild ist eben mehr plastisch als malerisch gedacht; pla-
stischer als selbst ähnliche Gemälde des Bildhauers Alonso Cano.
Hat man die ebengenannten Werke in der Erinnerung, mit ihren
undulirenden Formen, dem Wechsel tiefer brauner Schatten mit
Streiflichtern, rötlichen Reflexen, so wird der ruhig weiche, gelb-
liche Ton der zart und hell modellirten Gestalt auffallen.

Indess hat die Mache sonst nichts von Imitation der Pla-
stik; verfehlt hat es Beule, den Vergleich Stirling's übertreibend,
die Kopie einer Elfenbeinarbeit genannt. Musso fand grade
bemerkenswerth, dass der schwarze Grund keine Härte erzeuge.
Noch weniger vermag ich irgend eine Reminiscenz an das Crucifix
von Cellini zu sehn. Das für plastische Wirkung so vortheil-
hafte Seitenlicht hat er nicht verwerthet, und mehr auf die
Wahrheit einer jugendlich weichen Oberfläche, der unmerklichen
Uebergänge, als auf Hervorspringen der Knochen- und Muskel-
struktur Werth gelegt.

Dagegen sind die leblosen Aeusserlichkeiten sehr sorgfältig,
doch ohne Kleinlichkeit veranschaulicht. Die Maserung der gut
gehobelten Balken, Astknoten, ja das ausgeschwitzte Harz des
Nadelholzes, die übrigens sparsamen, geronnenen Blutstropfen,
die Dornenkrone, die Tafel mit der dreisprachigen Inschrift, sind
mit der Treue eines Quattrocentisten wiedergegeben.

Ist also das Gemälde bloss eine Modellstudie? Hat ihn wie
viele vor ihm der Gegenstand nur als Gelegenheit zu einer
Studie des Nackten interessirt?

Woher aber dann jener Eindruck so verschiedener Betrach-
ter? -- Diese Wirkung verdankt das Bild, sagt man, einem Zug,
dem einzigen, der die strenge Symmetrie unterbricht. Das in
der plötzlichen Erschlaffung des Todes auf die Brust gesunkene
Antlitz ist der einzige dunkle Theil; aber der Schatten allein ge-
nügte dem Künstler noch nicht. Als das Haupt niedersank, wälz-
ten sich die langen braunen Locken der rechten Seite nach vorn,

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Das Krucifix von San Placido.
genau gehalten hat. Die Gestalt steht wirklich so da, wie ein
Modell dastehn würde, oder wie in Passionsspielen der Schau-
spieler, nur dass man bei diesem doch die Anzeichen der uner-
träglichen Lage mit Beunruhigung wahrnehmen würde.

Dabei die strengste Symmetrie. Keine schräge Stellung
des Kreuzes, wie sie in der Rubens’schen Schule beliebt ist;
kaum eine Neigung des Kopfes nach der einen Schulter;
dieses starre Gleichmaass wird durch die nebeneinandergestellten
Füsse mit den zwei Nägeln vollendet.

Das Bild ist eben mehr plastisch als malerisch gedacht; pla-
stischer als selbst ähnliche Gemälde des Bildhauers Alonso Cano.
Hat man die ebengenannten Werke in der Erinnerung, mit ihren
undulirenden Formen, dem Wechsel tiefer brauner Schatten mit
Streiflichtern, rötlichen Reflexen, so wird der ruhig weiche, gelb-
liche Ton der zart und hell modellirten Gestalt auffallen.

Indess hat die Mache sonst nichts von Imitation der Pla-
stik; verfehlt hat es Beulé, den Vergleich Stirling’s übertreibend,
die Kopie einer Elfenbeinarbeit genannt. Musso fand grade
bemerkenswerth, dass der schwarze Grund keine Härte erzeuge.
Noch weniger vermag ich irgend eine Reminiscenz an das Crucifix
von Cellini zu sehn. Das für plastische Wirkung so vortheil-
hafte Seitenlicht hat er nicht verwerthet, und mehr auf die
Wahrheit einer jugendlich weichen Oberfläche, der unmerklichen
Uebergänge, als auf Hervorspringen der Knochen- und Muskel-
struktur Werth gelegt.

Dagegen sind die leblosen Aeusserlichkeiten sehr sorgfältig,
doch ohne Kleinlichkeit veranschaulicht. Die Maserung der gut
gehobelten Balken, Astknoten, ja das ausgeschwitzte Harz des
Nadelholzes, die übrigens sparsamen, geronnenen Blutstropfen,
die Dornenkrone, die Tafel mit der dreisprachigen Inschrift, sind
mit der Treue eines Quattrocentisten wiedergegeben.

Ist also das Gemälde bloss eine Modellstudie? Hat ihn wie
viele vor ihm der Gegenstand nur als Gelegenheit zu einer
Studie des Nackten interessirt?

Woher aber dann jener Eindruck so verschiedener Betrach-
ter? — Diese Wirkung verdankt das Bild, sagt man, einem Zug,
dem einzigen, der die strenge Symmetrie unterbricht. Das in
der plötzlichen Erschlaffung des Todes auf die Brust gesunkene
Antlitz ist der einzige dunkle Theil; aber der Schatten allein ge-
nügte dem Künstler noch nicht. Als das Haupt niedersank, wälz-
ten sich die langen braunen Locken der rechten Seite nach vorn,

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[417/0445] Das Krucifix von San Placido. genau gehalten hat. Die Gestalt steht wirklich so da, wie ein Modell dastehn würde, oder wie in Passionsspielen der Schau- spieler, nur dass man bei diesem doch die Anzeichen der uner- träglichen Lage mit Beunruhigung wahrnehmen würde. Dabei die strengste Symmetrie. Keine schräge Stellung des Kreuzes, wie sie in der Rubens’schen Schule beliebt ist; kaum eine Neigung des Kopfes nach der einen Schulter; dieses starre Gleichmaass wird durch die nebeneinandergestellten Füsse mit den zwei Nägeln vollendet. Das Bild ist eben mehr plastisch als malerisch gedacht; pla- stischer als selbst ähnliche Gemälde des Bildhauers Alonso Cano. Hat man die ebengenannten Werke in der Erinnerung, mit ihren undulirenden Formen, dem Wechsel tiefer brauner Schatten mit Streiflichtern, rötlichen Reflexen, so wird der ruhig weiche, gelb- liche Ton der zart und hell modellirten Gestalt auffallen. Indess hat die Mache sonst nichts von Imitation der Pla- stik; verfehlt hat es Beulé, den Vergleich Stirling’s übertreibend, die Kopie einer Elfenbeinarbeit genannt. Musso fand grade bemerkenswerth, dass der schwarze Grund keine Härte erzeuge. Noch weniger vermag ich irgend eine Reminiscenz an das Crucifix von Cellini zu sehn. Das für plastische Wirkung so vortheil- hafte Seitenlicht hat er nicht verwerthet, und mehr auf die Wahrheit einer jugendlich weichen Oberfläche, der unmerklichen Uebergänge, als auf Hervorspringen der Knochen- und Muskel- struktur Werth gelegt. Dagegen sind die leblosen Aeusserlichkeiten sehr sorgfältig, doch ohne Kleinlichkeit veranschaulicht. Die Maserung der gut gehobelten Balken, Astknoten, ja das ausgeschwitzte Harz des Nadelholzes, die übrigens sparsamen, geronnenen Blutstropfen, die Dornenkrone, die Tafel mit der dreisprachigen Inschrift, sind mit der Treue eines Quattrocentisten wiedergegeben. Ist also das Gemälde bloss eine Modellstudie? Hat ihn wie viele vor ihm der Gegenstand nur als Gelegenheit zu einer Studie des Nackten interessirt? Woher aber dann jener Eindruck so verschiedener Betrach- ter? — Diese Wirkung verdankt das Bild, sagt man, einem Zug, dem einzigen, der die strenge Symmetrie unterbricht. Das in der plötzlichen Erschlaffung des Todes auf die Brust gesunkene Antlitz ist der einzige dunkle Theil; aber der Schatten allein ge- nügte dem Künstler noch nicht. Als das Haupt niedersank, wälz- ten sich die langen braunen Locken der rechten Seite nach vorn, 27

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/445>, abgerufen am 22.11.2024.