zu Sevilla, mit dem gesenkten Blick und den schattenden Wim- pern; jener Christus mit dem Todesengel im Prado, der Heiland auf dem Steine des Calvarienbergs mit dem traurigen Blick über die Schulter in S. Gines. Die Gestalten des Erlösers verrathen doch seine bildhauerischen Studien des Nackten und die Kenntniss edler Formen; sie sind ohne anatomische Prätensionen zart und wahr modellirt. So sieht man dass ihm, wenn er wollte, Zeich- nung, Pathos, Farbe und Anmuth zu Gebote stand, nur blieb sein reiches Können meist latent, -- Dank jener Nationaltu- gend. --
Man muss hier beachten, dass Viele die über Cano günstiger urtheilen, besonders über seinen Idealgehalt, Bilder im Auge gehabt haben, die ihm gar nicht gehören, z. B. die Ruhe auf der Flucht in der Karthause bei Granada, und die entzückende Madonna in der Unterkapelle der Sacristei von Cordoba. Diese holdseligen, reinen, in Form und Gefühl echt südspanischen Ge- bilde sind von Fray Atanasio, genannt Bocanegra.
Ins Jahr 1644 fällt eine noch nicht ganz aufgehellte Geschichte, die einen Schatten auf Cano's Leben warf und sein Bleiben in Madrid unhaltbar machte. Man fand eines Morgens seine Frau in ihrem Bett durch viele kleine Messerstiche getödtet; der Verdacht fiel zuerst auf sein Modell, einen Italiener, dann aber auf ihn selbst. Er war ihr untreu geworden, und wollte sich, sagte man, mit der andern verheirathen. Gewarnt entfloh er nach Valencia; kam aber zurück und lebte eine Zeitlang ver- steckt; fiel endlich doch der Justiz in die Hände und bestand die peinliche Frage tapfer, ohne einen Laut. Die rechte Hand blieb auf Philipp IV Befehl verschont. Der Schrecken dieses Erlebnisses, das Verlangen nach Ruhe und Sicherheit mögen ihn bestimmt haben, sich um eine Pfründe (racion) an der Kathedrale seiner Heimathsstadt zu bewerben. Er stellte dem Kapitel vor, dass neben so vielen Musikanten auch ein Maler der Kirche nützlich sein könne. Von nun heisst er der Racionero, doch blieb er auch im geistlichen Gewand der Alte, er lebte in Un- frieden und Processen mit dem Kapitel. Was er dort gemalt hat, gehört zu seinem besten; die Gemälde im Chor mit ihren schma- len röthlichen Halbtönen und breiten Lichtflächen, beide wärmer, farbiger als sonst, stehen den besten Bildern der bolognesischen Schule nicht fern; die Asunta hat wolwollende Fremde an Guido erinnert. Er starb hier 1667.
Alonso Cano in Madrid.
zu Sevilla, mit dem gesenkten Blick und den schattenden Wim- pern; jener Christus mit dem Todesengel im Prado, der Heiland auf dem Steine des Calvarienbergs mit dem traurigen Blick über die Schulter in S. Ginés. Die Gestalten des Erlösers verrathen doch seine bildhauerischen Studien des Nackten und die Kenntniss edler Formen; sie sind ohne anatomische Prätensionen zart und wahr modellirt. So sieht man dass ihm, wenn er wollte, Zeich- nung, Pathos, Farbe und Anmuth zu Gebote stand, nur blieb sein reiches Können meist latent, — Dank jener Nationaltu- gend. —
Man muss hier beachten, dass Viele die über Cano günstiger urtheilen, besonders über seinen Idealgehalt, Bilder im Auge gehabt haben, die ihm gar nicht gehören, z. B. die Ruhe auf der Flucht in der Karthause bei Granada, und die entzückende Madonna in der Unterkapelle der Sacristei von Cordoba. Diese holdseligen, reinen, in Form und Gefühl echt südspanischen Ge- bilde sind von Fray Atanasio, genannt Bocanegra.
Ins Jahr 1644 fällt eine noch nicht ganz aufgehellte Geschichte, die einen Schatten auf Cano’s Leben warf und sein Bleiben in Madrid unhaltbar machte. Man fand eines Morgens seine Frau in ihrem Bett durch viele kleine Messerstiche getödtet; der Verdacht fiel zuerst auf sein Modell, einen Italiener, dann aber auf ihn selbst. Er war ihr untreu geworden, und wollte sich, sagte man, mit der andern verheirathen. Gewarnt entfloh er nach Valencia; kam aber zurück und lebte eine Zeitlang ver- steckt; fiel endlich doch der Justiz in die Hände und bestand die peinliche Frage tapfer, ohne einen Laut. Die rechte Hand blieb auf Philipp IV Befehl verschont. Der Schrecken dieses Erlebnisses, das Verlangen nach Ruhe und Sicherheit mögen ihn bestimmt haben, sich um eine Pfründe (racion) an der Kathedrale seiner Heimathsstadt zu bewerben. Er stellte dem Kapitel vor, dass neben so vielen Musikanten auch ein Maler der Kirche nützlich sein könne. Von nun heisst er der Racionero, doch blieb er auch im geistlichen Gewand der Alte, er lebte in Un- frieden und Processen mit dem Kapitel. Was er dort gemalt hat, gehört zu seinem besten; die Gemälde im Chor mit ihren schma- len röthlichen Halbtönen und breiten Lichtflächen, beide wärmer, farbiger als sonst, stehen den besten Bildern der bolognesischen Schule nicht fern; die Asunta hat wolwollende Fremde an Guido erinnert. Er starb hier 1667.
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Alonso Cano in Madrid.
zu Sevilla, mit dem gesenkten Blick und den schattenden Wim-
pern; jener Christus mit dem Todesengel im Prado, der Heiland
auf dem Steine des Calvarienbergs mit dem traurigen Blick über
die Schulter in S. Ginés. Die Gestalten des Erlösers verrathen
doch seine bildhauerischen Studien des Nackten und die Kenntniss
edler Formen; sie sind ohne anatomische Prätensionen zart und
wahr modellirt. So sieht man dass ihm, wenn er wollte, Zeich-
nung, Pathos, Farbe und Anmuth zu Gebote stand, nur blieb
sein reiches Können meist latent, — Dank jener Nationaltu-
gend. —
Man muss hier beachten, dass Viele die über Cano günstiger
urtheilen, besonders über seinen Idealgehalt, Bilder im Auge
gehabt haben, die ihm gar nicht gehören, z. B. die Ruhe auf der
Flucht in der Karthause bei Granada, und die entzückende
Madonna in der Unterkapelle der Sacristei von Cordoba. Diese
holdseligen, reinen, in Form und Gefühl echt südspanischen Ge-
bilde sind von Fray Atanasio, genannt Bocanegra.
Ins Jahr 1644 fällt eine noch nicht ganz aufgehellte Geschichte,
die einen Schatten auf Cano’s Leben warf und sein Bleiben in
Madrid unhaltbar machte. Man fand eines Morgens seine Frau
in ihrem Bett durch viele kleine Messerstiche getödtet; der
Verdacht fiel zuerst auf sein Modell, einen Italiener, dann aber
auf ihn selbst. Er war ihr untreu geworden, und wollte sich,
sagte man, mit der andern verheirathen. Gewarnt entfloh er
nach Valencia; kam aber zurück und lebte eine Zeitlang ver-
steckt; fiel endlich doch der Justiz in die Hände und bestand
die peinliche Frage tapfer, ohne einen Laut. Die rechte Hand
blieb auf Philipp IV Befehl verschont. Der Schrecken dieses
Erlebnisses, das Verlangen nach Ruhe und Sicherheit mögen ihn
bestimmt haben, sich um eine Pfründe (racion) an der Kathedrale
seiner Heimathsstadt zu bewerben. Er stellte dem Kapitel vor,
dass neben so vielen Musikanten auch ein Maler der Kirche
nützlich sein könne. Von nun heisst er der Racionero, doch
blieb er auch im geistlichen Gewand der Alte, er lebte in Un-
frieden und Processen mit dem Kapitel. Was er dort gemalt hat,
gehört zu seinem besten; die Gemälde im Chor mit ihren schma-
len röthlichen Halbtönen und breiten Lichtflächen, beide wärmer,
farbiger als sonst, stehen den besten Bildern der bolognesischen
Schule nicht fern; die Asunta hat wolwollende Fremde an Guido
erinnert. Er starb hier 1667.
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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/433>, abgerufen am 17.07.2024.
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