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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Alonso Cano in Madrid.
habt, er würde ein Liebhaber-Dilettant geworden sein. Er malte,
setzte seine alten Schnitzarbeiten fort, lieferte barocke Zeichnun-
gen für das Monument der heiligen Woche (in S. Gil) und für
den Triumphbogen am Guadalajarathor beim Einzug der Königin
Marianne (1649). Noch lieber aber war ihm das Entwerfen; seine
zierlichen Skizzen sind von kleinem Umfang, auf weiss Papier
mit der Feder umrissen und mit Sepia oder Tusche schattirt;
er zeichnete alles was er malen wollte mehrmals und vieles was
er nicht malte. Belästigte ihn ein Bettler, so warf er eine solche
Skizze aufs Papier und schickte ihn damit zu einem Bekannten,
der sie ihm abkaufen werde. Seine liebste Betheiligungsart an
der Kunst aber war, Kunstsachen, Kupferstiche anzusehn, er
liess die Arbeit stehn und lief hin wo er hörte, dass etwas
der Art zu sehn war. Das regte ihn dann zum Nachbilden an,
denn reine Erfindung war ihm zu mühsam. Obwol die Benutzung
fremder Kupferstiche dort etwas sehr gewöhnliches war, so fiel
sie doch bei einem Manne seines Rufs auf; er bediente sich sogar
der Vignetten auf den fliegenden Blättern der coplas; er sagte:
er erlaube andern es mit ihm ebenso zu machen. Deshalb
ist Cano's Malerei so schwer zu charakterisiren, wie die der
eklektischen Caracci.

Sein Johannes auf Patmos (im Prado) ist nach dem hl. Hie-
ronymus des Ribera gemacht; seine Soledad in der Kathedrale
zu Granada ist eine allerdings durch den Ausdruck der Trost-
losigkeit beachtenswerthe Uebertragung der Estofado-Statue des
Becerra in Madrid; sein Noli me tangere in der Esterhazy-
galerie eine freie Kopie nach Correggio (in Madrid), der auch in
seiner büssenden Magdalena (S. Miguelscapelle, Granada) durch-
klingt, und in manchen Geberden, Verkürzungen, und dem Tu-
mult seiner Engelkinder; die Rosenkranzmadonna in Malaga
wäre ohne Bekanntschaft mit der Madonna des heil. Sebastian von
Tizian (im Vatican) nicht entstanden; der Engel mit dem todten
Christus im Prado ist eine freie Nachbildung von Paolo's Meister-
werk (in der Ermitage), bei Johannis dem Täufer und Paulus hat
er sich auch in die mächtigen Formen und flammend bewegten
Linien des Rubens hinein gefunden.

Kein Maler ist wie Cano darauf ausgegangen, die umständ-
liche Arbeit der Malerei zu vereinfachen und abzukürzen. Die
Komposition kann man sich nicht simpler denken. Die meisten
damals in Madrid entstandenen Stücke sind Einzelfiguren, gemalte
pasos, Christus an der Säule, Christus den hingefallenen Mantel

Alonso Cano in Madrid.
habt, er würde ein Liebhaber-Dilettant geworden sein. Er malte,
setzte seine alten Schnitzarbeiten fort, lieferte barocke Zeichnun-
gen für das Monument der heiligen Woche (in S. Gil) und für
den Triumphbogen am Guadalajarathor beim Einzug der Königin
Marianne (1649). Noch lieber aber war ihm das Entwerfen; seine
zierlichen Skizzen sind von kleinem Umfang, auf weiss Papier
mit der Feder umrissen und mit Sepia oder Tusche schattirt;
er zeichnete alles was er malen wollte mehrmals und vieles was
er nicht malte. Belästigte ihn ein Bettler, so warf er eine solche
Skizze aufs Papier und schickte ihn damit zu einem Bekannten,
der sie ihm abkaufen werde. Seine liebste Betheiligungsart an
der Kunst aber war, Kunstsachen, Kupferstiche anzusehn, er
liess die Arbeit stehn und lief hin wo er hörte, dass etwas
der Art zu sehn war. Das regte ihn dann zum Nachbilden an,
denn reine Erfindung war ihm zu mühsam. Obwol die Benutzung
fremder Kupferstiche dort etwas sehr gewöhnliches war, so fiel
sie doch bei einem Manne seines Rufs auf; er bediente sich sogar
der Vignetten auf den fliegenden Blättern der coplas; er sagte:
er erlaube andern es mit ihm ebenso zu machen. Deshalb
ist Cano’s Malerei so schwer zu charakterisiren, wie die der
eklektischen Caracci.

Sein Johannes auf Patmos (im Prado) ist nach dem hl. Hie-
ronymus des Ribera gemacht; seine Soledad in der Kathedrale
zu Granada ist eine allerdings durch den Ausdruck der Trost-
losigkeit beachtenswerthe Uebertragung der Estofado-Statue des
Becerra in Madrid; sein Noli me tangere in der Esterhazy-
galerie eine freie Kopie nach Correggio (in Madrid), der auch in
seiner büssenden Magdalena (S. Miguelscapelle, Granada) durch-
klingt, und in manchen Geberden, Verkürzungen, und dem Tu-
mult seiner Engelkinder; die Rosenkranzmadonna in Malaga
wäre ohne Bekanntschaft mit der Madonna des heil. Sebastian von
Tizian (im Vatican) nicht entstanden; der Engel mit dem todten
Christus im Prado ist eine freie Nachbildung von Paolo’s Meister-
werk (in der Ermitage), bei Johannis dem Täufer und Paulus hat
er sich auch in die mächtigen Formen und flammend bewegten
Linien des Rubens hinein gefunden.

Kein Maler ist wie Cano darauf ausgegangen, die umständ-
liche Arbeit der Malerei zu vereinfachen und abzukürzen. Die
Komposition kann man sich nicht simpler denken. Die meisten
damals in Madrid entstandenen Stücke sind Einzelfiguren, gemalte
pasos, Christus an der Säule, Christus den hingefallenen Mantel

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[403/0431] Alonso Cano in Madrid. habt, er würde ein Liebhaber-Dilettant geworden sein. Er malte, setzte seine alten Schnitzarbeiten fort, lieferte barocke Zeichnun- gen für das Monument der heiligen Woche (in S. Gil) und für den Triumphbogen am Guadalajarathor beim Einzug der Königin Marianne (1649). Noch lieber aber war ihm das Entwerfen; seine zierlichen Skizzen sind von kleinem Umfang, auf weiss Papier mit der Feder umrissen und mit Sepia oder Tusche schattirt; er zeichnete alles was er malen wollte mehrmals und vieles was er nicht malte. Belästigte ihn ein Bettler, so warf er eine solche Skizze aufs Papier und schickte ihn damit zu einem Bekannten, der sie ihm abkaufen werde. Seine liebste Betheiligungsart an der Kunst aber war, Kunstsachen, Kupferstiche anzusehn, er liess die Arbeit stehn und lief hin wo er hörte, dass etwas der Art zu sehn war. Das regte ihn dann zum Nachbilden an, denn reine Erfindung war ihm zu mühsam. Obwol die Benutzung fremder Kupferstiche dort etwas sehr gewöhnliches war, so fiel sie doch bei einem Manne seines Rufs auf; er bediente sich sogar der Vignetten auf den fliegenden Blättern der coplas; er sagte: er erlaube andern es mit ihm ebenso zu machen. Deshalb ist Cano’s Malerei so schwer zu charakterisiren, wie die der eklektischen Caracci. Sein Johannes auf Patmos (im Prado) ist nach dem hl. Hie- ronymus des Ribera gemacht; seine Soledad in der Kathedrale zu Granada ist eine allerdings durch den Ausdruck der Trost- losigkeit beachtenswerthe Uebertragung der Estofado-Statue des Becerra in Madrid; sein Noli me tangere in der Esterhazy- galerie eine freie Kopie nach Correggio (in Madrid), der auch in seiner büssenden Magdalena (S. Miguelscapelle, Granada) durch- klingt, und in manchen Geberden, Verkürzungen, und dem Tu- mult seiner Engelkinder; die Rosenkranzmadonna in Malaga wäre ohne Bekanntschaft mit der Madonna des heil. Sebastian von Tizian (im Vatican) nicht entstanden; der Engel mit dem todten Christus im Prado ist eine freie Nachbildung von Paolo’s Meister- werk (in der Ermitage), bei Johannis dem Täufer und Paulus hat er sich auch in die mächtigen Formen und flammend bewegten Linien des Rubens hinein gefunden. Kein Maler ist wie Cano darauf ausgegangen, die umständ- liche Arbeit der Malerei zu vereinfachen und abzukürzen. Die Komposition kann man sich nicht simpler denken. Die meisten damals in Madrid entstandenen Stücke sind Einzelfiguren, gemalte pasos, Christus an der Säule, Christus den hingefallenen Mantel

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/431>, abgerufen am 22.11.2024.