bei der Arbeit über die Schulter gesehen; aber das wahrscheinliche ist selten die Wahrheit. Abgesehen von der hier empfehlenswerthen sokra- tischen Weisheit des Nichtwissens ist es ganz lehrreich, die gegenständ- liche Ordnung gelegentlich mit der chronologischen wechseln zu lassen. Die Feststellung der sogenannten "Entwicklung" lenkt die Aufmerksam- keit zusehr auf gewisse mit den Altersstufen zusammenhängende Wand- lungen, die bei allen mehr oder weniger typisch ähnlich sind, aber das innere Wesen ihrer Kunst wenig berühren.
Bei den von R. Brend'amour gearbeiteten Holzschnitten sind ausser Zeichnungen von Künstlern, meist die Photographien von J. Laurent und die Meisterwerke Braun's zu Grunde gelegt worden, aber mit Benutzung des lithographirten Galeriewerks, der ältern Kupferstiche und der Radirungen Maura's, wo jene im Stich liessen. Diese Bilder sollen Illustrationen sein, nicht Publicationen! Sie sollen nur das Maass von Stütze gewähren, welches die Phantasie des Lesers nicht entbehren kann; man wird ihm doch nicht zumuthen den photographischen Apparat zu dem Buche hinzuzu- kaufen. Ein Prachtwerk nach heutigen Mustern wollte ich nicht bringen, auch wenn die Möglichkeit sich geboten hätte. Das Buch ist die Arbeit eines Schriftstellers der sich Leser wünscht, kein Text zu einem Bilder- buch, wo der Verfasser wie ein Jahrmarktsbarde die Historien mit dem Stocke zeigt. Ein Buchtext soll auf eignen Füssen stehen; und wenn die Kunst zuweilen Gedanken in Gestalten umgesetzt hat, warum sollte es nicht erstrebenswerth sein, wenn auch in unendlicher Annäherung, das Anschauliche in die andere Welt der Worte zu übersetzen! Vor den Originalen würde eine solche Uebersetzung freilich nicht geniessbar sein.
Quellen und Literatur.
bei der Arbeit über die Schulter gesehen; aber das wahrscheinliche ist selten die Wahrheit. Abgesehen von der hier empfehlenswerthen sokra- tischen Weisheit des Nichtwissens ist es ganz lehrreich, die gegenständ- liche Ordnung gelegentlich mit der chronologischen wechseln zu lassen. Die Feststellung der sogenannten „Entwicklung“ lenkt die Aufmerksam- keit zusehr auf gewisse mit den Altersstufen zusammenhängende Wand- lungen, die bei allen mehr oder weniger typisch ähnlich sind, aber das innere Wesen ihrer Kunst wenig berühren.
Bei den von R. Brend’amour gearbeiteten Holzschnitten sind ausser Zeichnungen von Künstlern, meist die Photographien von J. Laurent und die Meisterwerke Braun’s zu Grunde gelegt worden, aber mit Benutzung des lithographirten Galeriewerks, der ältern Kupferstiche und der Radirungen Maurá’s, wo jene im Stich liessen. Diese Bilder sollen Illustrationen sein, nicht Publicationen! Sie sollen nur das Maass von Stütze gewähren, welches die Phantasie des Lesers nicht entbehren kann; man wird ihm doch nicht zumuthen den photographischen Apparat zu dem Buche hinzuzu- kaufen. Ein Prachtwerk nach heutigen Mustern wollte ich nicht bringen, auch wenn die Möglichkeit sich geboten hätte. Das Buch ist die Arbeit eines Schriftstellers der sich Leser wünscht, kein Text zu einem Bilder- buch, wo der Verfasser wie ein Jahrmarktsbarde die Historien mit dem Stocke zeigt. Ein Buchtext soll auf eignen Füssen stehen; und wenn die Kunst zuweilen Gedanken in Gestalten umgesetzt hat, warum sollte es nicht erstrebenswerth sein, wenn auch in unendlicher Annäherung, das Anschauliche in die andere Welt der Worte zu übersetzen! Vor den Originalen würde eine solche Uebersetzung freilich nicht geniessbar sein.
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Quellen und Literatur.
bei der Arbeit über die Schulter gesehen; aber das wahrscheinliche
ist selten die Wahrheit. Abgesehen von der hier empfehlenswerthen sokra-
tischen Weisheit des Nichtwissens ist es ganz lehrreich, die gegenständ-
liche Ordnung gelegentlich mit der chronologischen wechseln zu lassen.
Die Feststellung der sogenannten „Entwicklung“ lenkt die Aufmerksam-
keit zusehr auf gewisse mit den Altersstufen zusammenhängende Wand-
lungen, die bei allen mehr oder weniger typisch ähnlich sind, aber
das innere Wesen ihrer Kunst wenig berühren.
Bei den von R. Brend’amour gearbeiteten Holzschnitten sind ausser
Zeichnungen von Künstlern, meist die Photographien von J. Laurent und
die Meisterwerke Braun’s zu Grunde gelegt worden, aber mit Benutzung des
lithographirten Galeriewerks, der ältern Kupferstiche und der Radirungen
Maurá’s, wo jene im Stich liessen. Diese Bilder sollen Illustrationen sein,
nicht Publicationen! Sie sollen nur das Maass von Stütze gewähren,
welches die Phantasie des Lesers nicht entbehren kann; man wird ihm
doch nicht zumuthen den photographischen Apparat zu dem Buche hinzuzu-
kaufen. Ein Prachtwerk nach heutigen Mustern wollte ich nicht bringen,
auch wenn die Möglichkeit sich geboten hätte. Das Buch ist die Arbeit
eines Schriftstellers der sich Leser wünscht, kein Text zu einem Bilder-
buch, wo der Verfasser wie ein Jahrmarktsbarde die Historien mit dem
Stocke zeigt. Ein Buchtext soll auf eignen Füssen stehen; und wenn
die Kunst zuweilen Gedanken in Gestalten umgesetzt hat, warum sollte
es nicht erstrebenswerth sein, wenn auch in unendlicher Annäherung,
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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/41>, abgerufen am 16.02.2025.
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