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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Viertes Buch.
allegorisch-mythologischem Spuk, Musik und Geistern, Grosses
und Burleskes nebeneinander, die aristophanische Keckheit in Ein-
führung lebender hoher Personen, die Staats- und Kriegsgeheim-
nisse ausplauderten -- diess alles gab ein wunderliches Ganze,
das aber dem Geschmack aller Klassen entsprach. Lope hatte
in seinem Gustav Adolf nicht nur die Schweden mit wenig
Respekt von kaiserlichen und katholischen Majestäten räsonniren
lassen; er hatte selbst letztern die Regeln guten Regiments ge-
predigt; die Infantin ernste Fragen mit dem Hofnarren er-
örtern lassen. In den "Siegen des Jahres 1638" trat ein Weib
aus dem Volke auf, das den Cardinalinfanten aus der Ferne
liebte, ihm folgte und zwei Bildnisse desselben in Cardinals- und
in Offiziertracht auf dem Leibe trug. Es lag im Interesse des
Ministers, durch solche Spiele den Geschmack am Krieg zu
nähren und die Führer populär zu machen. Das Publikum hielt
auf Wahrheit, und als Lope den D. Gonzalo und Santa Cruz
ungeschichtlicher Weise in die Lützener Schlacht einführte, brach
ein Sturm von Entrüstung los.

Jene grossen Historien für den Saal "der Königreiche" ent-
hielten zwölf Schlachten und Landungen, Belagerungen und Ent-
sätze; sie vertheilten sich unter neun Feldherrn -- und sieben
Maler. Sie gehörten sämmtlich der laufenden Regierung an;
aber die Glorien, welche jene Neune umstrahlten, sammelten sich
doch auf das Haupt des Conde Duque, der den König meist zu
diesen Kriegen verleitet hatte. Da sah man Siege über Hollän-
der und Engländer, über protestantische Liga und italienische
Conföderirte, in alter und neuer Welt. Merkwürdig war, wie
man bei solcher Zerrüttung noch soviele militärische Erfolge
erzielte. In den Cortes von 1638, wo sich ergab, dass man seit
1632 über 72 Millionen Dukaten für Kriegszwecke verbraucht
hatte, ohne die Geschenke von Neapel und Sicilien, erklärte
ein gewisser Juan de Castilla, solche Thaten hätten ihres gleichen
nicht in irgend welchen Zeiten der Monarchie; man solle bei
S. M. beantragen, er möge Olivares, dessen Eifer und Sorge
man sie verdanke, die Gunst gewähren, einmal des Jahres an
seiner Tafel mit zu essen 1).

Die Auswahl der Begebenheiten hatte natürlich dieser selbst
getroffen, die Künstler wird wol Velazquez mit dem alten Zeichen-

1) Novoa in den Documentos ineditos 77, 419.

Viertes Buch.
allegorisch-mythologischem Spuk, Musik und Geistern, Grosses
und Burleskes nebeneinander, die aristophanische Keckheit in Ein-
führung lebender hoher Personen, die Staats- und Kriegsgeheim-
nisse ausplauderten — diess alles gab ein wunderliches Ganze,
das aber dem Geschmack aller Klassen entsprach. Lope hatte
in seinem Gustav Adolf nicht nur die Schweden mit wenig
Respekt von kaiserlichen und katholischen Majestäten räsonniren
lassen; er hatte selbst letztern die Regeln guten Regiments ge-
predigt; die Infantin ernste Fragen mit dem Hofnarren er-
örtern lassen. In den „Siegen des Jahres 1638“ trat ein Weib
aus dem Volke auf, das den Cardinalinfanten aus der Ferne
liebte, ihm folgte und zwei Bildnisse desselben in Cardinals- und
in Offiziertracht auf dem Leibe trug. Es lag im Interesse des
Ministers, durch solche Spiele den Geschmack am Krieg zu
nähren und die Führer populär zu machen. Das Publikum hielt
auf Wahrheit, und als Lope den D. Gonzalo und Santa Cruz
ungeschichtlicher Weise in die Lützener Schlacht einführte, brach
ein Sturm von Entrüstung los.

Jene grossen Historien für den Saal „der Königreiche“ ent-
hielten zwölf Schlachten und Landungen, Belagerungen und Ent-
sätze; sie vertheilten sich unter neun Feldherrn — und sieben
Maler. Sie gehörten sämmtlich der laufenden Regierung an;
aber die Glorien, welche jene Neune umstrahlten, sammelten sich
doch auf das Haupt des Conde Duque, der den König meist zu
diesen Kriegen verleitet hatte. Da sah man Siege über Hollän-
der und Engländer, über protestantische Liga und italienische
Conföderirte, in alter und neuer Welt. Merkwürdig war, wie
man bei solcher Zerrüttung noch soviele militärische Erfolge
erzielte. In den Cortes von 1638, wo sich ergab, dass man seit
1632 über 72 Millionen Dukaten für Kriegszwecke verbraucht
hatte, ohne die Geschenke von Neapel und Sicilien, erklärte
ein gewisser Juan de Castilla, solche Thaten hätten ihres gleichen
nicht in irgend welchen Zeiten der Monarchie; man solle bei
S. M. beantragen, er möge Olivares, dessen Eifer und Sorge
man sie verdanke, die Gunst gewähren, einmal des Jahres an
seiner Tafel mit zu essen 1).

Die Auswahl der Begebenheiten hatte natürlich dieser selbst
getroffen, die Künstler wird wol Velazquez mit dem alten Zeichen-

1) Novoa in den Documentos inéditos 77, 419.
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[346/0372] Viertes Buch. allegorisch-mythologischem Spuk, Musik und Geistern, Grosses und Burleskes nebeneinander, die aristophanische Keckheit in Ein- führung lebender hoher Personen, die Staats- und Kriegsgeheim- nisse ausplauderten — diess alles gab ein wunderliches Ganze, das aber dem Geschmack aller Klassen entsprach. Lope hatte in seinem Gustav Adolf nicht nur die Schweden mit wenig Respekt von kaiserlichen und katholischen Majestäten räsonniren lassen; er hatte selbst letztern die Regeln guten Regiments ge- predigt; die Infantin ernste Fragen mit dem Hofnarren er- örtern lassen. In den „Siegen des Jahres 1638“ trat ein Weib aus dem Volke auf, das den Cardinalinfanten aus der Ferne liebte, ihm folgte und zwei Bildnisse desselben in Cardinals- und in Offiziertracht auf dem Leibe trug. Es lag im Interesse des Ministers, durch solche Spiele den Geschmack am Krieg zu nähren und die Führer populär zu machen. Das Publikum hielt auf Wahrheit, und als Lope den D. Gonzalo und Santa Cruz ungeschichtlicher Weise in die Lützener Schlacht einführte, brach ein Sturm von Entrüstung los. Jene grossen Historien für den Saal „der Königreiche“ ent- hielten zwölf Schlachten und Landungen, Belagerungen und Ent- sätze; sie vertheilten sich unter neun Feldherrn — und sieben Maler. Sie gehörten sämmtlich der laufenden Regierung an; aber die Glorien, welche jene Neune umstrahlten, sammelten sich doch auf das Haupt des Conde Duque, der den König meist zu diesen Kriegen verleitet hatte. Da sah man Siege über Hollän- der und Engländer, über protestantische Liga und italienische Conföderirte, in alter und neuer Welt. Merkwürdig war, wie man bei solcher Zerrüttung noch soviele militärische Erfolge erzielte. In den Cortes von 1638, wo sich ergab, dass man seit 1632 über 72 Millionen Dukaten für Kriegszwecke verbraucht hatte, ohne die Geschenke von Neapel und Sicilien, erklärte ein gewisser Juan de Castilla, solche Thaten hätten ihres gleichen nicht in irgend welchen Zeiten der Monarchie; man solle bei S. M. beantragen, er möge Olivares, dessen Eifer und Sorge man sie verdanke, die Gunst gewähren, einmal des Jahres an seiner Tafel mit zu essen 1). Die Auswahl der Begebenheiten hatte natürlich dieser selbst getroffen, die Künstler wird wol Velazquez mit dem alten Zeichen- 1) Novoa in den Documentos inéditos 77, 419.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/372>, abgerufen am 24.11.2024.