Jusepe Ribera hatte sich unter italischem Himmel und, wie so viele fremde Maler, unter den wechselnden Einwirkungen eines freien Wanderlebens zum Künstler durchgearbeitet. Es war ein Beweis seltener Kraft des Charakters, wenn das Ergebniss eine künstlerische Durchbildung war, wie er sie besser kaum in strengster Schule hätte empfangen können. Wahrscheinlich waren es die Lehren und Erzählungen seines Meisters Ribalta in Valencia, die ihn auf die lombardische Schule hingewiesen hatten; er hatte sich nach Parma gewandt, und so in Correggio vertieft, dass eine dort von ihm ausgemalte Kapelle damals oft von Reisenden für eine Arbeit dieses Meisters gehalten wurde 1). Diess war der ursprüngliche Spagnoletto. Allein seit Correggio war der Geschmack in Italien ein ganz anderer geworden. Das Publikum dieses Jahrhunderts verlangte derbere Kost als Poesie des Lichts, heiter unbefangene Umdichtung kirchlicher Legenden bloss nach dem freien Kanon von Schönheit und Liebreiz. Cara- vaggio's, auch eines Lombarden, neue Art machte selbst im Schooss der Schule von Bologna einen stärkeren Eindruck als die dort aufgerichteten erhabenen Muster der Vorzeit: Guido, Guercino gingen zu der plastischen, pastosen Manier über. Zwar dem Gründer des "Naturalismus" waren jene anspruchlosen, echt malerischen Motive aus dem alltäglichen Leben nach nieder- ländischer Art die liebsten; er war glücklich in Wahl frischer, hübscher, jugendlicher Modelle. Aber die Mehrzahl der Besteller verlangte Realitäten ganz anderer Art. Die Zeit war gross in der Technik der Folterkammer. Agostino Caracci hatte die Schindung des hl. Bartolomäus mit dem Phlegma einer anato- mischen Demonstration dargestellt, Poussin in kunstgerechter Ab- haspelung des Darms des hl. Erasmus den Preis der Grässlich- keit und Geschmacklosigkeit gewonnen, Guido in der Kreuzigung des Petrus das Muster eines Henkerstücks gegeben, und Dome- nichino in der rührenden Scene des letzten Abendmahls des hl. Hieronymus den Kirchenvater als Bild der Greisenhaftigkeit im ekelhaftesten Verfall darstellen zu müssen geglaubt. Ribera, der anfangs nur den Antrieben seines malerischen Gefühls ge- folgt war und in Folge dessen mit Noth zu kämpfen hatte, lernte, dass wer seine Zeit beherrschen will, ihr dienen muss. Er
1) L. Scaramuccia, le finezze de penelli italiani. Pavia 1674, S. 174. Die Kirche war S. Maria Blanca de' PP. Scalzi. Aus jener Zeit ist dort nur noch ein ganz verdorbenes Bild des hl. Martin geblieben, in S. Andrea.
Drittes Buch.
Jusepe Ribera hatte sich unter italischem Himmel und, wie so viele fremde Maler, unter den wechselnden Einwirkungen eines freien Wanderlebens zum Künstler durchgearbeitet. Es war ein Beweis seltener Kraft des Charakters, wenn das Ergebniss eine künstlerische Durchbildung war, wie er sie besser kaum in strengster Schule hätte empfangen können. Wahrscheinlich waren es die Lehren und Erzählungen seines Meisters Ribalta in Valencia, die ihn auf die lombardische Schule hingewiesen hatten; er hatte sich nach Parma gewandt, und so in Correggio vertieft, dass eine dort von ihm ausgemalte Kapelle damals oft von Reisenden für eine Arbeit dieses Meisters gehalten wurde 1). Diess war der ursprüngliche Spagnoletto. Allein seit Correggio war der Geschmack in Italien ein ganz anderer geworden. Das Publikum dieses Jahrhunderts verlangte derbere Kost als Poesie des Lichts, heiter unbefangene Umdichtung kirchlicher Legenden bloss nach dem freien Kanon von Schönheit und Liebreiz. Cara- vaggio’s, auch eines Lombarden, neue Art machte selbst im Schooss der Schule von Bologna einen stärkeren Eindruck als die dort aufgerichteten erhabenen Muster der Vorzeit: Guido, Guercino gingen zu der plastischen, pastosen Manier über. Zwar dem Gründer des „Naturalismus“ waren jene anspruchlosen, echt malerischen Motive aus dem alltäglichen Leben nach nieder- ländischer Art die liebsten; er war glücklich in Wahl frischer, hübscher, jugendlicher Modelle. Aber die Mehrzahl der Besteller verlangte Realitäten ganz anderer Art. Die Zeit war gross in der Technik der Folterkammer. Agostino Caracci hatte die Schindung des hl. Bartolomäus mit dem Phlegma einer anato- mischen Demonstration dargestellt, Poussin in kunstgerechter Ab- haspelung des Darms des hl. Erasmus den Preis der Grässlich- keit und Geschmacklosigkeit gewonnen, Guido in der Kreuzigung des Petrus das Muster eines Henkerstücks gegeben, und Dome- nichino in der rührenden Scene des letzten Abendmahls des hl. Hieronymus den Kirchenvater als Bild der Greisenhaftigkeit im ekelhaftesten Verfall darstellen zu müssen geglaubt. Ribera, der anfangs nur den Antrieben seines malerischen Gefühls ge- folgt war und in Folge dessen mit Noth zu kämpfen hatte, lernte, dass wer seine Zeit beherrschen will, ihr dienen muss. Er
1) L. Scaramuccia, le finezze de penelli italiani. Pavia 1674, S. 174. Die Kirche war S. Maria Blanca de’ PP. Scalzi. Aus jener Zeit ist dort nur noch ein ganz verdorbenes Bild des hl. Martin geblieben, in S. Andrea.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0348"n="322"/><fwplace="top"type="header">Drittes Buch.</fw><lb/><p>Jusepe Ribera hatte sich unter italischem Himmel und, wie<lb/>
so viele fremde Maler, unter den wechselnden Einwirkungen eines<lb/>
freien Wanderlebens zum Künstler durchgearbeitet. Es war ein<lb/>
Beweis seltener Kraft des Charakters, wenn das Ergebniss eine<lb/>
künstlerische Durchbildung war, wie er sie besser kaum in<lb/>
strengster Schule hätte empfangen können. Wahrscheinlich<lb/>
waren es die Lehren und Erzählungen seines Meisters Ribalta<lb/>
in Valencia, die ihn auf die lombardische Schule hingewiesen<lb/>
hatten; er hatte sich nach Parma gewandt, und so in Correggio<lb/>
vertieft, dass eine dort von ihm ausgemalte Kapelle damals oft<lb/>
von Reisenden für eine Arbeit dieses Meisters gehalten wurde <noteplace="foot"n="1)">L. Scaramuccia, le finezze de penelli italiani. Pavia 1674, S. 174. Die<lb/>
Kirche war S. Maria Blanca de’ PP. Scalzi. Aus jener Zeit ist dort nur noch ein<lb/>
ganz verdorbenes Bild des hl. Martin geblieben, in S. Andrea.</note>.<lb/>
Diess war der ursprüngliche Spagnoletto. Allein seit Correggio<lb/>
war der Geschmack in Italien ein ganz anderer geworden. Das<lb/>
Publikum dieses Jahrhunderts verlangte derbere Kost als Poesie<lb/>
des Lichts, heiter unbefangene Umdichtung kirchlicher Legenden<lb/>
bloss nach dem freien Kanon von Schönheit und Liebreiz. Cara-<lb/>
vaggio’s, auch eines Lombarden, neue Art machte selbst im<lb/>
Schooss der Schule von Bologna einen stärkeren Eindruck als<lb/>
die dort aufgerichteten erhabenen Muster der Vorzeit: Guido,<lb/>
Guercino gingen zu der plastischen, pastosen Manier über. Zwar<lb/>
dem Gründer des „Naturalismus“ waren jene anspruchlosen,<lb/>
echt malerischen Motive aus dem alltäglichen Leben nach nieder-<lb/>
ländischer Art die liebsten; er war glücklich in Wahl frischer,<lb/>
hübscher, jugendlicher Modelle. Aber die Mehrzahl der Besteller<lb/>
verlangte Realitäten ganz anderer Art. Die Zeit war gross in<lb/>
der Technik der Folterkammer. Agostino Caracci hatte die<lb/>
Schindung des hl. Bartolomäus mit dem Phlegma einer anato-<lb/>
mischen Demonstration dargestellt, Poussin in kunstgerechter Ab-<lb/>
haspelung des Darms des hl. Erasmus den Preis der Grässlich-<lb/>
keit und Geschmacklosigkeit gewonnen, Guido in der Kreuzigung<lb/>
des Petrus das Muster eines Henkerstücks gegeben, und Dome-<lb/>
nichino in der rührenden Scene des letzten Abendmahls des hl.<lb/>
Hieronymus den Kirchenvater als Bild der Greisenhaftigkeit<lb/>
im ekelhaftesten Verfall darstellen zu müssen geglaubt. Ribera,<lb/>
der anfangs nur den Antrieben seines malerischen Gefühls ge-<lb/>
folgt war und in Folge dessen mit Noth zu kämpfen hatte, lernte,<lb/>
dass wer seine Zeit beherrschen will, ihr dienen muss. Er<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[322/0348]
Drittes Buch.
Jusepe Ribera hatte sich unter italischem Himmel und, wie
so viele fremde Maler, unter den wechselnden Einwirkungen eines
freien Wanderlebens zum Künstler durchgearbeitet. Es war ein
Beweis seltener Kraft des Charakters, wenn das Ergebniss eine
künstlerische Durchbildung war, wie er sie besser kaum in
strengster Schule hätte empfangen können. Wahrscheinlich
waren es die Lehren und Erzählungen seines Meisters Ribalta
in Valencia, die ihn auf die lombardische Schule hingewiesen
hatten; er hatte sich nach Parma gewandt, und so in Correggio
vertieft, dass eine dort von ihm ausgemalte Kapelle damals oft
von Reisenden für eine Arbeit dieses Meisters gehalten wurde 1).
Diess war der ursprüngliche Spagnoletto. Allein seit Correggio
war der Geschmack in Italien ein ganz anderer geworden. Das
Publikum dieses Jahrhunderts verlangte derbere Kost als Poesie
des Lichts, heiter unbefangene Umdichtung kirchlicher Legenden
bloss nach dem freien Kanon von Schönheit und Liebreiz. Cara-
vaggio’s, auch eines Lombarden, neue Art machte selbst im
Schooss der Schule von Bologna einen stärkeren Eindruck als
die dort aufgerichteten erhabenen Muster der Vorzeit: Guido,
Guercino gingen zu der plastischen, pastosen Manier über. Zwar
dem Gründer des „Naturalismus“ waren jene anspruchlosen,
echt malerischen Motive aus dem alltäglichen Leben nach nieder-
ländischer Art die liebsten; er war glücklich in Wahl frischer,
hübscher, jugendlicher Modelle. Aber die Mehrzahl der Besteller
verlangte Realitäten ganz anderer Art. Die Zeit war gross in
der Technik der Folterkammer. Agostino Caracci hatte die
Schindung des hl. Bartolomäus mit dem Phlegma einer anato-
mischen Demonstration dargestellt, Poussin in kunstgerechter Ab-
haspelung des Darms des hl. Erasmus den Preis der Grässlich-
keit und Geschmacklosigkeit gewonnen, Guido in der Kreuzigung
des Petrus das Muster eines Henkerstücks gegeben, und Dome-
nichino in der rührenden Scene des letzten Abendmahls des hl.
Hieronymus den Kirchenvater als Bild der Greisenhaftigkeit
im ekelhaftesten Verfall darstellen zu müssen geglaubt. Ribera,
der anfangs nur den Antrieben seines malerischen Gefühls ge-
folgt war und in Folge dessen mit Noth zu kämpfen hatte, lernte,
dass wer seine Zeit beherrschen will, ihr dienen muss. Er
1) L. Scaramuccia, le finezze de penelli italiani. Pavia 1674, S. 174. Die
Kirche war S. Maria Blanca de’ PP. Scalzi. Aus jener Zeit ist dort nur noch ein
ganz verdorbenes Bild des hl. Martin geblieben, in S. Andrea.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/348>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.