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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Kunst und Künstler.
Wie viele hätten ihre langen unsteten Wanderjahre hier für immer ab-
geschlossen. Hier entdeckten sie neue Pfade ihrer Kunst, sie genössen
Freiheit nach ihres Herzens Lust, fänden Arbeit und Gönner die Fülle.
Ausländer würden den Einheimischen nicht nachgesetzt, Neuerer fänden
keine Schwierigkeit, neben den angesehenen alten Herren aufzukommen.
Er bestätigte mir, was ich so oft von unserm Marques de la Torre
[Crescenzi] in Madrid gehört, dessen Familie vielen Künstlern die Mittel
zu ihrer Ausbildung und Beschäftigung gewährt; man rühmte mir auch
den Marchese Vicencio Giustiniani. Die Maler würden hier mit Ritter-
kreuzen geschmückt, zuweilen einer mit mehreren nacheinander (wie der
Cavalier d'Arpino), Cardinäle höben ihre Kinder aus der Taufe (z. B.
Domenichino's), sie bauten sich Paläste. Er rieth mir indess, nicht ihre
Gesellschaft aufzusuchen. Sie würden zu sehr verwöhnt. Sie schienen
zu erwarten, dass Päbste und Cardinäle bei ihnen antichambrirten, was
auch manchmal der Fall sei; den meisten sei am wohlsten in den Ho-
sterien und manche (wie Celio) seien ungeniessbare Sonderlinge. Andere
spritzten wie Kröten bei jeder Berührung ihre satirische Galle aus gegen
alle lebenden Collegen und oft auch gegen grosse Künstler der Vorzeit;
etliche seien durch Grössenwahn oder weibische Empfindlichkeit unaus-
stehlich. Als Paul V dem Guido erlaubt hatte den Hut aufzubehalten,
prahlte er hernach, er würde es auch ohne die Erlaubniss in der Folge
gethan haben. Die Geschichte vermehrte noch meine Abneigung gegen
diesen Spieler, der sich meiner Ansicht nach von allen seiner Schule
am meisten von der gesunden Wahrheit entfernt hat, in der Farbe ge-
wiss, aber auch im übrigen.

"Ich fragte nun nach dem Padovaner [Ottavio Lioni], dessen feine
und charaktervolle Bildnisse in punktirter Manier mit der Nadel ich
bei Dir gesehen hatte; hörte aber dass er im vorigen Jahre, 52 Jahre
alt, gestorben sei. Dagegen war Antonio Tempesta noch am Leben, er ist
74 Jahre alt. Keinen grösseren giebt es jetzt dort in Jagden, Triumph-
zügen und Reiter-Schlachten. Da es Zeit war aufzubrechen, so wandten
wir uns nach dem Monte Cavallo, wo wir den grossen Cavalcadenfries
von seiner Hand in der Loggia des päbstlichen Palasts sahen. Die Rede
kam dann auf Michelangelo von Caravaggio, aber der ehrwürdige Herr
sprach von diesem uomo fantastico e bestiale (so nannte er ihn), wie
Vicencio [Carducho] in Madrid, doch schien die Abneigung noch mehr dem
Schweif zu gelten, der hier in Rom von ihm zurückgeblieben ist. Seine
besten Sachen würde ich bei dem Marchese Vicencio in der Via S. Luis
sehen, der jungen Leuten gerne Gelegenheit gebe, diese Vorbilder der na-
türlichen Malerei zu studiren; er nannte einen Mailänder Francesco Parone,
den wir dort finden würden. Einer von diesen, ein hier geborener

Kunst und Künstler.
Wie viele hätten ihre langen unsteten Wanderjahre hier für immer ab-
geschlossen. Hier entdeckten sie neue Pfade ihrer Kunst, sie genössen
Freiheit nach ihres Herzens Lust, fänden Arbeit und Gönner die Fülle.
Ausländer würden den Einheimischen nicht nachgesetzt, Neuerer fänden
keine Schwierigkeit, neben den angesehenen alten Herren aufzukommen.
Er bestätigte mir, was ich so oft von unserm Marques de la Torre
[Crescenzi] in Madrid gehört, dessen Familie vielen Künstlern die Mittel
zu ihrer Ausbildung und Beschäftigung gewährt; man rühmte mir auch
den Marchese Vicencio Giustiniani. Die Maler würden hier mit Ritter-
kreuzen geschmückt, zuweilen einer mit mehreren nacheinander (wie der
Cavalier d’Arpino), Cardinäle höben ihre Kinder aus der Taufe (z. B.
Domenichino’s), sie bauten sich Paläste. Er rieth mir indess, nicht ihre
Gesellschaft aufzusuchen. Sie würden zu sehr verwöhnt. Sie schienen
zu erwarten, dass Päbste und Cardinäle bei ihnen antichambrirten, was
auch manchmal der Fall sei; den meisten sei am wohlsten in den Ho-
sterien und manche (wie Celio) seien ungeniessbare Sonderlinge. Andere
spritzten wie Kröten bei jeder Berührung ihre satirische Galle aus gegen
alle lebenden Collegen und oft auch gegen grosse Künstler der Vorzeit;
etliche seien durch Grössenwahn oder weibische Empfindlichkeit unaus-
stehlich. Als Paul V dem Guido erlaubt hatte den Hut aufzubehalten,
prahlte er hernach, er würde es auch ohne die Erlaubniss in der Folge
gethan haben. Die Geschichte vermehrte noch meine Abneigung gegen
diesen Spieler, der sich meiner Ansicht nach von allen seiner Schule
am meisten von der gesunden Wahrheit entfernt hat, in der Farbe ge-
wiss, aber auch im übrigen.

„Ich fragte nun nach dem Padovaner [Ottavio Lioni], dessen feine
und charaktervolle Bildnisse in punktirter Manier mit der Nadel ich
bei Dir gesehen hatte; hörte aber dass er im vorigen Jahre, 52 Jahre
alt, gestorben sei. Dagegen war Antonio Tempesta noch am Leben, er ist
74 Jahre alt. Keinen grösseren giebt es jetzt dort in Jagden, Triumph-
zügen und Reiter-Schlachten. Da es Zeit war aufzubrechen, so wandten
wir uns nach dem Monte Cavallo, wo wir den grossen Cavalcadenfries
von seiner Hand in der Loggia des päbstlichen Palasts sahen. Die Rede
kam dann auf Michelangelo von Caravaggio, aber der ehrwürdige Herr
sprach von diesem uomo fantastico e bestiale (so nannte er ihn), wie
Vicencio [Carducho] in Madrid, doch schien die Abneigung noch mehr dem
Schweif zu gelten, der hier in Rom von ihm zurückgeblieben ist. Seine
besten Sachen würde ich bei dem Marchese Vicencio in der Via S. Luis
sehen, der jungen Leuten gerne Gelegenheit gebe, diese Vorbilder der na-
türlichen Malerei zu studiren; er nannte einen Mailänder Francesco Parone,
den wir dort finden würden. Einer von diesen, ein hier geborener

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[287/0313] Kunst und Künstler. Wie viele hätten ihre langen unsteten Wanderjahre hier für immer ab- geschlossen. Hier entdeckten sie neue Pfade ihrer Kunst, sie genössen Freiheit nach ihres Herzens Lust, fänden Arbeit und Gönner die Fülle. Ausländer würden den Einheimischen nicht nachgesetzt, Neuerer fänden keine Schwierigkeit, neben den angesehenen alten Herren aufzukommen. Er bestätigte mir, was ich so oft von unserm Marques de la Torre [Crescenzi] in Madrid gehört, dessen Familie vielen Künstlern die Mittel zu ihrer Ausbildung und Beschäftigung gewährt; man rühmte mir auch den Marchese Vicencio Giustiniani. Die Maler würden hier mit Ritter- kreuzen geschmückt, zuweilen einer mit mehreren nacheinander (wie der Cavalier d’Arpino), Cardinäle höben ihre Kinder aus der Taufe (z. B. Domenichino’s), sie bauten sich Paläste. Er rieth mir indess, nicht ihre Gesellschaft aufzusuchen. Sie würden zu sehr verwöhnt. Sie schienen zu erwarten, dass Päbste und Cardinäle bei ihnen antichambrirten, was auch manchmal der Fall sei; den meisten sei am wohlsten in den Ho- sterien und manche (wie Celio) seien ungeniessbare Sonderlinge. Andere spritzten wie Kröten bei jeder Berührung ihre satirische Galle aus gegen alle lebenden Collegen und oft auch gegen grosse Künstler der Vorzeit; etliche seien durch Grössenwahn oder weibische Empfindlichkeit unaus- stehlich. Als Paul V dem Guido erlaubt hatte den Hut aufzubehalten, prahlte er hernach, er würde es auch ohne die Erlaubniss in der Folge gethan haben. Die Geschichte vermehrte noch meine Abneigung gegen diesen Spieler, der sich meiner Ansicht nach von allen seiner Schule am meisten von der gesunden Wahrheit entfernt hat, in der Farbe ge- wiss, aber auch im übrigen. „Ich fragte nun nach dem Padovaner [Ottavio Lioni], dessen feine und charaktervolle Bildnisse in punktirter Manier mit der Nadel ich bei Dir gesehen hatte; hörte aber dass er im vorigen Jahre, 52 Jahre alt, gestorben sei. Dagegen war Antonio Tempesta noch am Leben, er ist 74 Jahre alt. Keinen grösseren giebt es jetzt dort in Jagden, Triumph- zügen und Reiter-Schlachten. Da es Zeit war aufzubrechen, so wandten wir uns nach dem Monte Cavallo, wo wir den grossen Cavalcadenfries von seiner Hand in der Loggia des päbstlichen Palasts sahen. Die Rede kam dann auf Michelangelo von Caravaggio, aber der ehrwürdige Herr sprach von diesem uomo fantastico e bestiale (so nannte er ihn), wie Vicencio [Carducho] in Madrid, doch schien die Abneigung noch mehr dem Schweif zu gelten, der hier in Rom von ihm zurückgeblieben ist. Seine besten Sachen würde ich bei dem Marchese Vicencio in der Via S. Luis sehen, der jungen Leuten gerne Gelegenheit gebe, diese Vorbilder der na- türlichen Malerei zu studiren; er nannte einen Mailänder Francesco Parone, den wir dort finden würden. Einer von diesen, ein hier geborener

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/313>, abgerufen am 24.11.2024.