Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.Erstes Buch. der Mittheilung des dort anwesenden Deutschen Andreas Schmidt:Alles übrige, altes und neues sei Malerei, dieses Bild allein Wahrheit. Und dieses Wort hatte 1650 wol mehr zu bedeuten, als irgendwann vorher oder nachher. Es drückt auch das Ideal des Meisters selbst aus und wahrscheinlich wörtlich. Dasselbe hört man noch heute die Künstler sagen vor dem Bildniss des damals regierenden Innocenz X, welches er, wie schon zwanzig Jahr früher sein eigenes Bildniss, in der "Kapitale der Kunst" zurückgelassen hat. Von dem Eindruck dieser ausserordentlichen Pabstfigur, die ich im Frühjahr 1867 zum erstenmale in der Ga- lerie Doria sah, datirt auch (wenn ich mich selbst anführen darf) mein Interesse an Velazquez, und damit der erste Anstoss zu den Reisen und Studien, aus welchen dieses Buch hervor- gegangen ist. Velazquez gehört zu denen, die mit keinem andern verglichen Man hat Devotion und Mystik als das eigenthümliche und be- Erstes Buch. der Mittheilung des dort anwesenden Deutschen Andreas Schmidt:Alles übrige, altes und neues sei Malerei, dieses Bild allein Wahrheit. Und dieses Wort hatte 1650 wol mehr zu bedeuten, als irgendwann vorher oder nachher. Es drückt auch das Ideal des Meisters selbst aus und wahrscheinlich wörtlich. Dasselbe hört man noch heute die Künstler sagen vor dem Bildniss des damals regierenden Innocenz X, welches er, wie schon zwanzig Jahr früher sein eigenes Bildniss, in der „Kapitale der Kunst“ zurückgelassen hat. Von dem Eindruck dieser ausserordentlichen Pabstfigur, die ich im Frühjahr 1867 zum erstenmale in der Ga- lerie Doria sah, datirt auch (wenn ich mich selbst anführen darf) mein Interesse an Velazquez, und damit der erste Anstoss zu den Reisen und Studien, aus welchen dieses Buch hervor- gegangen ist. Velazquez gehört zu denen, die mit keinem andern verglichen Man hat Devotion und Mystik als das eigenthümliche und be- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0024" n="4"/><fw place="top" type="header">Erstes Buch.</fw><lb/> der Mittheilung des dort anwesenden Deutschen Andreas Schmidt:<lb/> Alles übrige, altes und neues sei Malerei, dieses Bild allein<lb/> Wahrheit. Und dieses Wort hatte 1650 wol mehr zu bedeuten,<lb/> als irgendwann vorher oder nachher. Es drückt auch das Ideal<lb/> des Meisters selbst aus und wahrscheinlich wörtlich. Dasselbe<lb/> hört man noch heute die Künstler sagen vor dem Bildniss des<lb/> damals regierenden Innocenz X, welches er, wie schon zwanzig<lb/> Jahr früher sein eigenes Bildniss, in der „Kapitale der Kunst“<lb/> zurückgelassen hat. Von dem Eindruck dieser ausserordentlichen<lb/> Pabstfigur, die ich im Frühjahr 1867 zum erstenmale in der Ga-<lb/> lerie Doria sah, datirt auch (wenn ich mich selbst anführen<lb/> darf) mein Interesse an Velazquez, und damit der erste Anstoss<lb/> zu den Reisen und Studien, aus welchen dieses Buch hervor-<lb/> gegangen ist.</p><lb/> <p>Velazquez gehört zu denen, die mit keinem andern verglichen<lb/> werden können. Wer solche Leute in eine kurze Formel fassen<lb/> will, wird in Allgemeinheiten und Superlative verfallen. Dem<lb/> Hofmaler Carl III. war er der erste der Naturalisten; „wenn die<lb/> Malerei, sagt Charles Blanc, nur eine zweite Geburt der Schöpfung<lb/> wäre, Velazquez würde ohne Widerspruch der grösste Maler<lb/> sein.“ Waagen, der ihn noch in hohem Alter kennen lernte,<lb/> schien er den Realismus der spanischen Schule in seiner ganzen<lb/> Einseitigkeit, aber auch in seiner grössten Vollkommenheit zu<lb/> repräsentiren. Er kann sich aber nicht enthalten hinzuzufügen:<lb/> „Ja, insofern es darauf ankommt, die Menschen, wie sie sind, in<lb/> grösster Lebendigkeit der Auffassung, in höchster Treue in Form<lb/> und Farbe mit der seltensten Meisterschaft des ganz freien und<lb/> breiten Vortrags wiederzugeben, stehe ich nicht an, ihn für den<lb/> grössten Maler zu halten, welcher je gelebt hat.“ Beulé nannte<lb/> ihn den grössten Coloristen überhaupt, W. Bürger endlich <hi rendition="#i">le<lb/> peintre le plus peintre qui fût jamais.</hi></p><lb/> <p>Man hat Devotion und Mystik als das eigenthümliche und be-<lb/> herrschende Merkmal der spanischen Kunst bezeichnet, dies könnte<lb/> richtig sein von ihren Stoffen und von der strengen Kirchlichkeit<lb/> der Künstler. Aber wer will behaupten, dass Spanien sich in<lb/> der religiösen Malerei mit Italien messen kann? Wo sind seine<lb/> Giotto, seine Fiesole und Perugino? Vergebens sucht man nach<lb/> einem Denkmal, das sich der Sixtinischen Madonna und der Disputa,<lb/> oder der Anbetung des Lamms in Gent und Tizians Asunta an<lb/> die Seite stellen kann, so wenig wie Spanien einen Dante und Mil-<lb/> ton hervorgebracht hat. Sie haben den einen und einzigen Murillo,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [4/0024]
Erstes Buch.
der Mittheilung des dort anwesenden Deutschen Andreas Schmidt:
Alles übrige, altes und neues sei Malerei, dieses Bild allein
Wahrheit. Und dieses Wort hatte 1650 wol mehr zu bedeuten,
als irgendwann vorher oder nachher. Es drückt auch das Ideal
des Meisters selbst aus und wahrscheinlich wörtlich. Dasselbe
hört man noch heute die Künstler sagen vor dem Bildniss des
damals regierenden Innocenz X, welches er, wie schon zwanzig
Jahr früher sein eigenes Bildniss, in der „Kapitale der Kunst“
zurückgelassen hat. Von dem Eindruck dieser ausserordentlichen
Pabstfigur, die ich im Frühjahr 1867 zum erstenmale in der Ga-
lerie Doria sah, datirt auch (wenn ich mich selbst anführen
darf) mein Interesse an Velazquez, und damit der erste Anstoss
zu den Reisen und Studien, aus welchen dieses Buch hervor-
gegangen ist.
Velazquez gehört zu denen, die mit keinem andern verglichen
werden können. Wer solche Leute in eine kurze Formel fassen
will, wird in Allgemeinheiten und Superlative verfallen. Dem
Hofmaler Carl III. war er der erste der Naturalisten; „wenn die
Malerei, sagt Charles Blanc, nur eine zweite Geburt der Schöpfung
wäre, Velazquez würde ohne Widerspruch der grösste Maler
sein.“ Waagen, der ihn noch in hohem Alter kennen lernte,
schien er den Realismus der spanischen Schule in seiner ganzen
Einseitigkeit, aber auch in seiner grössten Vollkommenheit zu
repräsentiren. Er kann sich aber nicht enthalten hinzuzufügen:
„Ja, insofern es darauf ankommt, die Menschen, wie sie sind, in
grösster Lebendigkeit der Auffassung, in höchster Treue in Form
und Farbe mit der seltensten Meisterschaft des ganz freien und
breiten Vortrags wiederzugeben, stehe ich nicht an, ihn für den
grössten Maler zu halten, welcher je gelebt hat.“ Beulé nannte
ihn den grössten Coloristen überhaupt, W. Bürger endlich le
peintre le plus peintre qui fût jamais.
Man hat Devotion und Mystik als das eigenthümliche und be-
herrschende Merkmal der spanischen Kunst bezeichnet, dies könnte
richtig sein von ihren Stoffen und von der strengen Kirchlichkeit
der Künstler. Aber wer will behaupten, dass Spanien sich in
der religiösen Malerei mit Italien messen kann? Wo sind seine
Giotto, seine Fiesole und Perugino? Vergebens sucht man nach
einem Denkmal, das sich der Sixtinischen Madonna und der Disputa,
oder der Anbetung des Lamms in Gent und Tizians Asunta an
die Seite stellen kann, so wenig wie Spanien einen Dante und Mil-
ton hervorgebracht hat. Sie haben den einen und einzigen Murillo,
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