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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Zweites Buch.
Tapisserien von Seide und Gold. Den Höhepunkt erreichte dieser
Luxus um die Mitte des Jahrhunderts unter Carl V 1). Diese
Art des Zimmerschmucks hatte den Vortheil der Beweglichkeit:
sie gingen nicht wie Fresken mit den Mauern zu Grunde, sie
konnten im Sommer abgenommen und zusammengerollt werden,
die kostbarsten wurden für besondere Feste reservirt und auf
Reisen mitgenommen. Lope, scherzhaft über den Ursprung
dieses Geschmackes philosophirend, meint, sie sollten andeuten,
dass im Palast die Wände Ohren haben 2). Von dem Reichthum
der im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert eingeführten
und bestellten flandrischen Tapisserien gibt der noch jetzt vor-
handene und bei Festen im Palast zur Verwendung kommende
Vorrath einen Begriff. Beim Tode Carl II wurden sie unter 93
Nummern, meist Serien, inventarisirt. Diese Schätze setzten fremde
Gäste in Erstaunen; Gramont nennt in seinen Memoiren die Ta-
pisserien des königlichen Schlosses "viel schöner als die der
Krone Frankreichs" und gibt ihre Zahl auf achthundert an. Er
sagte später einmal zu Philipp V, er möge deren vierhundert
verkaufen, um seine Soldaten (oder Schulden) zu bezahlen; er
würde noch genug behalten für vier Schlösser wie das seinige.

Bei grossen Kirchenfesten, beim Fronleichnamfest oder wie
z. B. am 21. Juli 1624 bei Gelegenheit eines Ketzergerichts,
wurden die grossen Höfe und die Corridore des Palastes mit
Tapisserien behängt. Dazwischen liessen die königlichen Per-
sonen Altäre aufbauen, für welche die Schatzkammer ihre Silber-
und Goldgefässe, Kassetten und Tischchen von edlen Steinen ent-
leerte, die Orden von Madrid, ja die Kirchen Toledos und der
Escorial beisteuern mussten. Venturini sah in der Guardaropa
diese "Haufen (cataste) indischer und vlämischer Tapeten" längs
den Wänden, daneben Holzmodelle spanischer Städte, ein Magazin
von Ebenholz und roth ausgeschlagene, gold- und perlenge-
stickte Sessel. Sie vergegenwärtigen die Wandlungen des
niederländischen Geschmacks von Roger van der Weyden bis
zum Eindringen der italienischen Cartons und weiter. Für jedes
Bedürfniss war gesorgt; es gab religiös symbolische Darstellungen,

1) Le loro case da poco tempo in qua sono assai ornate di tapezzerie. Ba-
doer, Relazione di Spagna 1557.
2) ? De que piensas que nacio Hacer figuras en ellas?
De avisar de que tras dellas Siempre algun vivo escucho.
(El perro del hortelano II, 3.)

Zweites Buch.
Tapisserien von Seide und Gold. Den Höhepunkt erreichte dieser
Luxus um die Mitte des Jahrhunderts unter Carl V 1). Diese
Art des Zimmerschmucks hatte den Vortheil der Beweglichkeit:
sie gingen nicht wie Fresken mit den Mauern zu Grunde, sie
konnten im Sommer abgenommen und zusammengerollt werden,
die kostbarsten wurden für besondere Feste reservirt und auf
Reisen mitgenommen. Lope, scherzhaft über den Ursprung
dieses Geschmackes philosophirend, meint, sie sollten andeuten,
dass im Palast die Wände Ohren haben 2). Von dem Reichthum
der im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert eingeführten
und bestellten flandrischen Tapisserien gibt der noch jetzt vor-
handene und bei Festen im Palast zur Verwendung kommende
Vorrath einen Begriff. Beim Tode Carl II wurden sie unter 93
Nummern, meist Serien, inventarisirt. Diese Schätze setzten fremde
Gäste in Erstaunen; Gramont nennt in seinen Memoiren die Ta-
pisserien des königlichen Schlosses „viel schöner als die der
Krone Frankreichs“ und gibt ihre Zahl auf achthundert an. Er
sagte später einmal zu Philipp V, er möge deren vierhundert
verkaufen, um seine Soldaten (oder Schulden) zu bezahlen; er
würde noch genug behalten für vier Schlösser wie das seinige.

Bei grossen Kirchenfesten, beim Fronleichnamfest oder wie
z. B. am 21. Juli 1624 bei Gelegenheit eines Ketzergerichts,
wurden die grossen Höfe und die Corridore des Palastes mit
Tapisserien behängt. Dazwischen liessen die königlichen Per-
sonen Altäre aufbauen, für welche die Schatzkammer ihre Silber-
und Goldgefässe, Kassetten und Tischchen von edlen Steinen ent-
leerte, die Orden von Madrid, ja die Kirchen Toledos und der
Escorial beisteuern mussten. Venturini sah in der Guardaropa
diese „Haufen (cataste) indischer und vlämischer Tapeten“ längs
den Wänden, daneben Holzmodelle spanischer Städte, ein Magazin
von Ebenholz und roth ausgeschlagene, gold- und perlenge-
stickte Sessel. Sie vergegenwärtigen die Wandlungen des
niederländischen Geschmacks von Roger van der Weyden bis
zum Eindringen der italienischen Cartons und weiter. Für jedes
Bedürfniss war gesorgt; es gab religiös symbolische Darstellungen,

1) Le loro case da poco tempo in quà sono assai ornate di tapezzerie. Ba-
doer, Relazione di Spagna 1557.
2) ¿ De qué piensas que nació Hacer figuras en ellas?
De avisar de que tras dellas Siempre algun vivo escuchó.
(El perro del hortelano II, 3.)
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[186/0208] Zweites Buch. Tapisserien von Seide und Gold. Den Höhepunkt erreichte dieser Luxus um die Mitte des Jahrhunderts unter Carl V 1). Diese Art des Zimmerschmucks hatte den Vortheil der Beweglichkeit: sie gingen nicht wie Fresken mit den Mauern zu Grunde, sie konnten im Sommer abgenommen und zusammengerollt werden, die kostbarsten wurden für besondere Feste reservirt und auf Reisen mitgenommen. Lope, scherzhaft über den Ursprung dieses Geschmackes philosophirend, meint, sie sollten andeuten, dass im Palast die Wände Ohren haben 2). Von dem Reichthum der im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert eingeführten und bestellten flandrischen Tapisserien gibt der noch jetzt vor- handene und bei Festen im Palast zur Verwendung kommende Vorrath einen Begriff. Beim Tode Carl II wurden sie unter 93 Nummern, meist Serien, inventarisirt. Diese Schätze setzten fremde Gäste in Erstaunen; Gramont nennt in seinen Memoiren die Ta- pisserien des königlichen Schlosses „viel schöner als die der Krone Frankreichs“ und gibt ihre Zahl auf achthundert an. Er sagte später einmal zu Philipp V, er möge deren vierhundert verkaufen, um seine Soldaten (oder Schulden) zu bezahlen; er würde noch genug behalten für vier Schlösser wie das seinige. Bei grossen Kirchenfesten, beim Fronleichnamfest oder wie z. B. am 21. Juli 1624 bei Gelegenheit eines Ketzergerichts, wurden die grossen Höfe und die Corridore des Palastes mit Tapisserien behängt. Dazwischen liessen die königlichen Per- sonen Altäre aufbauen, für welche die Schatzkammer ihre Silber- und Goldgefässe, Kassetten und Tischchen von edlen Steinen ent- leerte, die Orden von Madrid, ja die Kirchen Toledos und der Escorial beisteuern mussten. Venturini sah in der Guardaropa diese „Haufen (cataste) indischer und vlämischer Tapeten“ längs den Wänden, daneben Holzmodelle spanischer Städte, ein Magazin von Ebenholz und roth ausgeschlagene, gold- und perlenge- stickte Sessel. Sie vergegenwärtigen die Wandlungen des niederländischen Geschmacks von Roger van der Weyden bis zum Eindringen der italienischen Cartons und weiter. Für jedes Bedürfniss war gesorgt; es gab religiös symbolische Darstellungen, 1) Le loro case da poco tempo in quà sono assai ornate di tapezzerie. Ba- doer, Relazione di Spagna 1557. 2) ¿ De qué piensas que nació Hacer figuras en ellas? De avisar de que tras dellas Siempre algun vivo escuchó. (El perro del hortelano II, 3.)

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/208>, abgerufen am 24.11.2024.