Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.Apokryphen. Die verschiedensten Sorten schlechter und mittlerer Malerei sind hiervertreten. Der Katalog Curtis zählt deren etwa siebzig auf (acht aus der Galerie Aguado). Schwerlich ein Dutzend von ihnen mögen mit dem Meister zusammenhängen. Aus den beschriebenen echten kann man hinreichende Gründe für ihre Verdammniss gewinnen. Ausser der schlichten, vollkommenen Wahrheit (die aber oft gar Wer die echten Bodegones aufmerksam betrachtet hat, wird viele In solchen Apokryphen verfolgt uns natürlich jener lachende Bauern- 1) E '1 conte di Villa Mediana hebbe la mezza figura di Davide, el' ritratto
di un giouine con un fior di melarancio in mano. Bellori, Vite etc. p. 214. Apokryphen. Die verschiedensten Sorten schlechter und mittlerer Malerei sind hiervertreten. Der Katalog Curtis zählt deren etwa siebzig auf (acht aus der Galerie Aguado). Schwerlich ein Dutzend von ihnen mögen mit dem Meister zusammenhängen. Aus den beschriebenen echten kann man hinreichende Gründe für ihre Verdammniss gewinnen. Ausser der schlichten, vollkommenen Wahrheit (die aber oft gar Wer die echten Bodegones aufmerksam betrachtet hat, wird viele In solchen Apokryphen verfolgt uns natürlich jener lachende Bauern- 1) E ’1 conte di Villa Mediana hebbe la mezza figura di Davide, el’ ritratto
di un giouine con un fior di melarancio in mano. Bellori, Vite etc. p. 214. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0157" n="137"/><fw place="top" type="header">Apokryphen.</fw><lb/> Die verschiedensten Sorten schlechter und mittlerer Malerei sind hier<lb/> vertreten. Der Katalog Curtis zählt deren etwa siebzig auf (acht aus<lb/> der Galerie Aguado). Schwerlich ein Dutzend von ihnen mögen mit<lb/> dem Meister zusammenhängen. Aus den beschriebenen echten kann man<lb/> hinreichende Gründe für ihre Verdammniss gewinnen.</p><lb/> <p>Ausser der schlichten, vollkommenen Wahrheit (die aber oft gar<lb/> zu gütig bescheinigt wird, sobald nur der Gegenstand recht platt<lb/> ist), erreicht mit den einfachsten Mitteln, gehören zu den Kennzeichen<lb/> der Echtheit die breite und für die Jugend des Malers merkwürdig feste<lb/> Hand in äusserer und innerer Zeichnung, die Nüchternheit der Farbe,<lb/> die Sparsamkeit des Impasto und die sehr durchstudirten Gewandmotive.<lb/> Aber bei aller Niedrigkeit der Sphäre ein sehr bestimmter Geschmack<lb/> — in dem Kreis der Modelle, in dem recht haushälterischen Inventar<lb/> der „todten Natur“, in der Geringschätzung wolfeiler Effekte, endlich<lb/> in dem Bedürfniss, diese anspruchlosen Studien durch gewisse Motive<lb/> der Anordnung, Verkürzung und des Helldunkels auf den Rang eines<lb/> Kunstwerks zu erheben. Nichts Rohes, Improvisirtes ist je von seiner<lb/> Hand gekommen. —</p><lb/> <p>Wer die echten Bodegones aufmerksam betrachtet hat, wird viele<lb/> Gemälde schon nach der blossen Beschreibung der Malweise, manche<lb/> sogar nach der des Gegenstandes getrost dem Meister absprechen können.<lb/> Ueber die folgenden urtheile ich indess nach eigener Anschauung. Der<lb/> Leser kann diese <hi rendition="#i">einmalige</hi> Probe einer Kritik der Pseudovelazquez<lb/> überschlagen.</p><lb/> <p>In solchen Apokryphen verfolgt uns natürlich jener lachende Bauern-<lb/> bursche. Der Junge mit der Orangenblüte im Belvedere zu Wien (Nr. 623)<lb/> hat seine Taufe wol nur dieser Notiz zu verdanken; Ton des Fleisches,<lb/> Farbenauftrag und Stil sind dem Meister ganz fremd. Diess Bild scheint<lb/> die ausgeführte Improvisation eines Malers, der bloss das groteske<lb/> Grinsen eines schwachsinnigen Knaben naturgetreu auffangen wollte, was<lb/> ihm auch unübertrefflich gelungen ist. Diese leere Grimasse drückt die<lb/> plötzliche, berauschende Wirkung des starken süssen Blütendufts auf<lb/> ein schwaches Gehirn aus. Dabei presst er die Hand ans Zwerchfell,<lb/> zeigt die Wunderblume triumphirend, und reisst — mit einem Ah!<lb/> den Mund auf, wobei zwei Reihen ungleicher Zähne — mit Speichel-<lb/> faden — zum Vorschein kommen. Das Bild passte in einen psychia-<lb/> trischen Bilderatlas. Sollte es eine Studie Caravaggio’s sein, von dem<lb/> eine solche Figur im Besitz des Grafen Tassis erwähnt wird? <note place="foot" n="1)">E ’1 conte di Villa Mediana hebbe la mezza figura di Davide, el’ ritratto<lb/> di un giouine <hi rendition="#i">con un fior di melarancio</hi> in mano. Bellori, Vite etc. p. 214.</note>.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [137/0157]
Apokryphen.
Die verschiedensten Sorten schlechter und mittlerer Malerei sind hier
vertreten. Der Katalog Curtis zählt deren etwa siebzig auf (acht aus
der Galerie Aguado). Schwerlich ein Dutzend von ihnen mögen mit
dem Meister zusammenhängen. Aus den beschriebenen echten kann man
hinreichende Gründe für ihre Verdammniss gewinnen.
Ausser der schlichten, vollkommenen Wahrheit (die aber oft gar
zu gütig bescheinigt wird, sobald nur der Gegenstand recht platt
ist), erreicht mit den einfachsten Mitteln, gehören zu den Kennzeichen
der Echtheit die breite und für die Jugend des Malers merkwürdig feste
Hand in äusserer und innerer Zeichnung, die Nüchternheit der Farbe,
die Sparsamkeit des Impasto und die sehr durchstudirten Gewandmotive.
Aber bei aller Niedrigkeit der Sphäre ein sehr bestimmter Geschmack
— in dem Kreis der Modelle, in dem recht haushälterischen Inventar
der „todten Natur“, in der Geringschätzung wolfeiler Effekte, endlich
in dem Bedürfniss, diese anspruchlosen Studien durch gewisse Motive
der Anordnung, Verkürzung und des Helldunkels auf den Rang eines
Kunstwerks zu erheben. Nichts Rohes, Improvisirtes ist je von seiner
Hand gekommen. —
Wer die echten Bodegones aufmerksam betrachtet hat, wird viele
Gemälde schon nach der blossen Beschreibung der Malweise, manche
sogar nach der des Gegenstandes getrost dem Meister absprechen können.
Ueber die folgenden urtheile ich indess nach eigener Anschauung. Der
Leser kann diese einmalige Probe einer Kritik der Pseudovelazquez
überschlagen.
In solchen Apokryphen verfolgt uns natürlich jener lachende Bauern-
bursche. Der Junge mit der Orangenblüte im Belvedere zu Wien (Nr. 623)
hat seine Taufe wol nur dieser Notiz zu verdanken; Ton des Fleisches,
Farbenauftrag und Stil sind dem Meister ganz fremd. Diess Bild scheint
die ausgeführte Improvisation eines Malers, der bloss das groteske
Grinsen eines schwachsinnigen Knaben naturgetreu auffangen wollte, was
ihm auch unübertrefflich gelungen ist. Diese leere Grimasse drückt die
plötzliche, berauschende Wirkung des starken süssen Blütendufts auf
ein schwaches Gehirn aus. Dabei presst er die Hand ans Zwerchfell,
zeigt die Wunderblume triumphirend, und reisst — mit einem Ah!
den Mund auf, wobei zwei Reihen ungleicher Zähne — mit Speichel-
faden — zum Vorschein kommen. Das Bild passte in einen psychia-
trischen Bilderatlas. Sollte es eine Studie Caravaggio’s sein, von dem
eine solche Figur im Besitz des Grafen Tassis erwähnt wird? 1).
1) E ’1 conte di Villa Mediana hebbe la mezza figura di Davide, el’ ritratto
di un giouine con un fior di melarancio in mano. Bellori, Vite etc. p. 214.
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