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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Zweites Buch.

Stirling endlich, der Tristans Hauptwerk gesehen, hat dessen
Art gleichwol nicht ganz zutreffend geschildert. "Wenn auch
an Originalität der Erfindung dem Greco nicht zu vergleichen,
war er doch ein besserer Colorist --"; aber die ersten guten
Arbeiten des Greco enthalten die ganze venezianische Ueberlie-
ferung, von der in Tristan keine Spur geblieben ist. "Velazquez
hat von dessen glänzender Färbung gelernt, seiner Palette einige
brillante Tinten hinzuzusetzen", -- aber kein Maler war, zumal im
Anfang, glänzenden Farben so abgeneigt wie Velazquez. Endlich
nennt er Tristans Typen vulgär, ja die Madonna roh (coarseness);
aber man präge sich die feine, anmuthig ernste, huldvolle Maria
in den Magiern von S. Clara ein und vergleiche damit die haus-
backene Frau in Velazquez gleichnamigem Gemälde im Prado.

Dessen Werke nahmen erst nach seiner Rückkehr aus Italien
(1631) allmählich den freien Strich an, in dem man Aehnlichkeit
mit Greco finden kann. Bis dahin aber folgte er dem System
der Naturalisten. Der junge Maler, der sich mit seinen Alters-
genossen dem Chiaroscurismus zuneigte, entdeckte wahrschein-
lich in Tristan den einzigen Landsmann, der dieses System be-
reits befolgte. Und wenn er auf dem Wege nach Madrid Toledo
und dessen Kapitelsaal besucht hat, so begreift sich auch die
Eingenommenheit des Porträtisten für Tristan. Da von Gemälden
des letztern in Sevilla nichts bekannt ist, so wird er ihn erst auf
dieser Reise kennen gelernt haben, aber damals hatte er seinen
ersten Stil bereits gefunden.

Man sieht auch aus diesem Beispiele, wie die spanische
Malerei damals von selbst auf die Spuren der italienischen
Naturalisten gekommen ist. Was in Italien nur eine kurze, tumul-
tuarische Kampagne gewesen war, unternommen von Abenteurern,
gefolgt von einer ebenso vorübergehenden Invasion bei den an-
deren Nationen, das wurde, an den Ufern des Baetis, ein "gol-
denes Zeitalter", das Spanien seine besten Maler gegeben hat.
Aber ist dieser spanische Naturalismus durch den Anstoss von
Italien her ins Leben gerufen worden? Pacheco scheint es an-
zudeuten. Er nennt den Ribera denjenigen, "der heute in der
Praxis der Farben den Primat behaupte" (II, 84); er führt den
Caravaggio, diesen valiente imitador del natural, mehrmals auf,
und einmal in einer Reihe mit seinem Schwiegersohn. Da wo
er empfielt, sich für alles und allezeit an die Natur zu halten,
sagt er: "So machte es Miguel Angel Caravacho, und man sieht
es an seiner Kreuzigung Petri (obwol es eine Kopie ist) mit

Zweites Buch.

Stirling endlich, der Tristans Hauptwerk gesehen, hat dessen
Art gleichwol nicht ganz zutreffend geschildert. „Wenn auch
an Originalität der Erfindung dem Greco nicht zu vergleichen,
war er doch ein besserer Colorist —“; aber die ersten guten
Arbeiten des Greco enthalten die ganze venezianische Ueberlie-
ferung, von der in Tristan keine Spur geblieben ist. „Velazquez
hat von dessen glänzender Färbung gelernt, seiner Palette einige
brillante Tinten hinzuzusetzen“, — aber kein Maler war, zumal im
Anfang, glänzenden Farben so abgeneigt wie Velazquez. Endlich
nennt er Tristans Typen vulgär, ja die Madonna roh (coarseness);
aber man präge sich die feine, anmuthig ernste, huldvolle Maria
in den Magiern von S. Clara ein und vergleiche damit die haus-
backene Frau in Velazquez gleichnamigem Gemälde im Prado.

Dessen Werke nahmen erst nach seiner Rückkehr aus Italien
(1631) allmählich den freien Strich an, in dem man Aehnlichkeit
mit Greco finden kann. Bis dahin aber folgte er dem System
der Naturalisten. Der junge Maler, der sich mit seinen Alters-
genossen dem Chiaroscurismus zuneigte, entdeckte wahrschein-
lich in Tristan den einzigen Landsmann, der dieses System be-
reits befolgte. Und wenn er auf dem Wege nach Madrid Toledo
und dessen Kapitelsaal besucht hat, so begreift sich auch die
Eingenommenheit des Porträtisten für Tristan. Da von Gemälden
des letztern in Sevilla nichts bekannt ist, so wird er ihn erst auf
dieser Reise kennen gelernt haben, aber damals hatte er seinen
ersten Stil bereits gefunden.

Man sieht auch aus diesem Beispiele, wie die spanische
Malerei damals von selbst auf die Spuren der italienischen
Naturalisten gekommen ist. Was in Italien nur eine kurze, tumul-
tuarische Kampagne gewesen war, unternommen von Abenteurern,
gefolgt von einer ebenso vorübergehenden Invasion bei den an-
deren Nationen, das wurde, an den Ufern des Baetis, ein „gol-
denes Zeitalter“, das Spanien seine besten Maler gegeben hat.
Aber ist dieser spanische Naturalismus durch den Anstoss von
Italien her ins Leben gerufen worden? Pacheco scheint es an-
zudeuten. Er nennt den Ribera denjenigen, „der heute in der
Praxis der Farben den Primat behaupte“ (II, 84); er führt den
Caravaggio, diesen valiente imitador del natural, mehrmals auf,
und einmal in einer Reihe mit seinem Schwiegersohn. Da wo
er empfielt, sich für alles und allezeit an die Natur zu halten,
sagt er: „So machte es Miguel Angel Caravacho, und man sieht
es an seiner Kreuzigung Petri (obwol es eine Kopie ist) mit

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[120/0140] Zweites Buch. Stirling endlich, der Tristans Hauptwerk gesehen, hat dessen Art gleichwol nicht ganz zutreffend geschildert. „Wenn auch an Originalität der Erfindung dem Greco nicht zu vergleichen, war er doch ein besserer Colorist —“; aber die ersten guten Arbeiten des Greco enthalten die ganze venezianische Ueberlie- ferung, von der in Tristan keine Spur geblieben ist. „Velazquez hat von dessen glänzender Färbung gelernt, seiner Palette einige brillante Tinten hinzuzusetzen“, — aber kein Maler war, zumal im Anfang, glänzenden Farben so abgeneigt wie Velazquez. Endlich nennt er Tristans Typen vulgär, ja die Madonna roh (coarseness); aber man präge sich die feine, anmuthig ernste, huldvolle Maria in den Magiern von S. Clara ein und vergleiche damit die haus- backene Frau in Velazquez gleichnamigem Gemälde im Prado. Dessen Werke nahmen erst nach seiner Rückkehr aus Italien (1631) allmählich den freien Strich an, in dem man Aehnlichkeit mit Greco finden kann. Bis dahin aber folgte er dem System der Naturalisten. Der junge Maler, der sich mit seinen Alters- genossen dem Chiaroscurismus zuneigte, entdeckte wahrschein- lich in Tristan den einzigen Landsmann, der dieses System be- reits befolgte. Und wenn er auf dem Wege nach Madrid Toledo und dessen Kapitelsaal besucht hat, so begreift sich auch die Eingenommenheit des Porträtisten für Tristan. Da von Gemälden des letztern in Sevilla nichts bekannt ist, so wird er ihn erst auf dieser Reise kennen gelernt haben, aber damals hatte er seinen ersten Stil bereits gefunden. Man sieht auch aus diesem Beispiele, wie die spanische Malerei damals von selbst auf die Spuren der italienischen Naturalisten gekommen ist. Was in Italien nur eine kurze, tumul- tuarische Kampagne gewesen war, unternommen von Abenteurern, gefolgt von einer ebenso vorübergehenden Invasion bei den an- deren Nationen, das wurde, an den Ufern des Baetis, ein „gol- denes Zeitalter“, das Spanien seine besten Maler gegeben hat. Aber ist dieser spanische Naturalismus durch den Anstoss von Italien her ins Leben gerufen worden? Pacheco scheint es an- zudeuten. Er nennt den Ribera denjenigen, „der heute in der Praxis der Farben den Primat behaupte“ (II, 84); er führt den Caravaggio, diesen valiente imitador del natural, mehrmals auf, und einmal in einer Reihe mit seinem Schwiegersohn. Da wo er empfielt, sich für alles und allezeit an die Natur zu halten, sagt er: „So machte es Miguel Angel Caravacho, und man sieht es an seiner Kreuzigung Petri (obwol es eine Kopie ist) mit

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/140>, abgerufen am 22.11.2024.