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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Die Schule von Toledo.
Lob des Greco und des Velazquez so wie aus apokryphen Bildern
in Madrid, die man ihm wieder auf Grund jener Schlüsse bei-
legte1). Sein Hauptwerk in Yepes, der Altar der Nonnenkirche
von S. Clara in Toledo, die Enthauptung des Täufers im Carmen
Descalzo, selbst der etwas rohe heil. Franz im Louvre geben
von ihm eine deutliche, von jenem Phantom abweichende Vor-
stellung, zu der das Urtheil der alten Schriftsteller übrigens
ganz stimmt.

Während aber der Mudo und el Greco nach unseren Begriffen
Coloristen waren, so ist Tristan ein Chiaroscurist. Ein grelles
Oberlicht erhellt in scharfen Umrissen die Hauptgestalten, deren
schwärzliche Schatten in den dunklen Grund versinken. Nur ver-
steht er nicht die Kunst der Massen, er zerreisst die Flächen
durch gehäuftes, kriechendes Gefältel. Ueberhaupt liebt er starke
Accente in Form und Farbe, wie in Beleuchtung. Seine heiligen
Historien haben einen nationalen Zug von Ernst und selbst Adel;
seine Erfindung, seine Geberden sind nicht ohne Leichtigkeit;
aber die Köpfe bleiben etwas allgemein und wenig bedeutend;
den Frauen jedoch fehlt eine gewisse Feinheit und Anmuth kei-
neswegs. Man merkt ihm die Uebergangszeit an: er hat nicht
mehr die gelehrte Zeichnung der Manieristen und erst halb den
Geschmack der Natur und des Modells. -- Uebereinstimmend hier-
mit nannten ihn Zeitgenossen einen "zweiten Caravaggio",
und Martinez behauptet sogar, dass er bei Ribera studirt habe;
aber Tristan malte sein Hauptwerk in Yepes im Jahre 1616, als
jener noch im Sold seines Schwiegervaters Dutzendarbeiten lie-
ferte. Dass Tristan ganz unabhängig auf seinen Chiaroscurostil
kam und darin den Sevillanern voraneilte, beweist, dass er, wenn
auch kein bedeutender, doch auch kein ganz "obscurer" Künstler
gewesen ist, wie man ihn genannt hat.

Einen günstigen Begriff von ihm als Bildnissmaler giebt die
Halbfigur des Cardinals Sandoval im Wintersaal des Kapitels
von Toledo, wohl das beste Stück jener stattlichen Prälaten-
galerie. Die gute Beobachtung des Künstlers zeigt sich in der
dem Erzbischof vielleicht eigenthümlichen Haltung des Kopfs und
dem Blick ruhiger Penetration in den grossen dunklen Augen des

1) Z. B. den S. Benito (Nr. 2124) der die mühsam fleissige Copie eines Greco
ist; das Bildniss eines alten Mannes (Nr. 1048) von einem Maler der Tintoretto
sich angesehn hat; einen phantastischen Mönchsconvent in der Akademie, jetzt
richtig dem Genueser Al. Magnasco wiedergegeben; ein Bildniss des Lope in der
Ermitage u. a.

Die Schule von Toledo.
Lob des Greco und des Velazquez so wie aus apokryphen Bildern
in Madrid, die man ihm wieder auf Grund jener Schlüsse bei-
legte1). Sein Hauptwerk in Yepes, der Altar der Nonnenkirche
von S. Clara in Toledo, die Enthauptung des Täufers im Carmen
Descalzo, selbst der etwas rohe heil. Franz im Louvre geben
von ihm eine deutliche, von jenem Phantom abweichende Vor-
stellung, zu der das Urtheil der alten Schriftsteller übrigens
ganz stimmt.

Während aber der Mudo und el Greco nach unseren Begriffen
Coloristen waren, so ist Tristan ein Chiaroscurist. Ein grelles
Oberlicht erhellt in scharfen Umrissen die Hauptgestalten, deren
schwärzliche Schatten in den dunklen Grund versinken. Nur ver-
steht er nicht die Kunst der Massen, er zerreisst die Flächen
durch gehäuftes, kriechendes Gefältel. Ueberhaupt liebt er starke
Accente in Form und Farbe, wie in Beleuchtung. Seine heiligen
Historien haben einen nationalen Zug von Ernst und selbst Adel;
seine Erfindung, seine Geberden sind nicht ohne Leichtigkeit;
aber die Köpfe bleiben etwas allgemein und wenig bedeutend;
den Frauen jedoch fehlt eine gewisse Feinheit und Anmuth kei-
neswegs. Man merkt ihm die Uebergangszeit an: er hat nicht
mehr die gelehrte Zeichnung der Manieristen und erst halb den
Geschmack der Natur und des Modells. — Uebereinstimmend hier-
mit nannten ihn Zeitgenossen einen „zweiten Caravaggio“,
und Martinez behauptet sogar, dass er bei Ribera studirt habe;
aber Tristan malte sein Hauptwerk in Yepes im Jahre 1616, als
jener noch im Sold seines Schwiegervaters Dutzendarbeiten lie-
ferte. Dass Tristan ganz unabhängig auf seinen Chiaroscurostil
kam und darin den Sevillanern voraneilte, beweist, dass er, wenn
auch kein bedeutender, doch auch kein ganz „obscurer“ Künstler
gewesen ist, wie man ihn genannt hat.

Einen günstigen Begriff von ihm als Bildnissmaler giebt die
Halbfigur des Cardinals Sandoval im Wintersaal des Kapitels
von Toledo, wohl das beste Stück jener stattlichen Prälaten-
galerie. Die gute Beobachtung des Künstlers zeigt sich in der
dem Erzbischof vielleicht eigenthümlichen Haltung des Kopfs und
dem Blick ruhiger Penetration in den grossen dunklen Augen des

1) Z. B. den S. Benito (Nr. 2124) der die mühsam fleissige Copie eines Greco
ist; das Bildniss eines alten Mannes (Nr. 1048) von einem Maler der Tintoretto
sich angesehn hat; einen phantastischen Mönchsconvent in der Akademie, jetzt
richtig dem Genueser Al. Magnasco wiedergegeben; ein Bildniss des Lope in der
Ermitage u. a.
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[83/0103] Die Schule von Toledo. Lob des Greco und des Velazquez so wie aus apokryphen Bildern in Madrid, die man ihm wieder auf Grund jener Schlüsse bei- legte 1). Sein Hauptwerk in Yepes, der Altar der Nonnenkirche von S. Clara in Toledo, die Enthauptung des Täufers im Carmen Descalzo, selbst der etwas rohe heil. Franz im Louvre geben von ihm eine deutliche, von jenem Phantom abweichende Vor- stellung, zu der das Urtheil der alten Schriftsteller übrigens ganz stimmt. Während aber der Mudo und el Greco nach unseren Begriffen Coloristen waren, so ist Tristan ein Chiaroscurist. Ein grelles Oberlicht erhellt in scharfen Umrissen die Hauptgestalten, deren schwärzliche Schatten in den dunklen Grund versinken. Nur ver- steht er nicht die Kunst der Massen, er zerreisst die Flächen durch gehäuftes, kriechendes Gefältel. Ueberhaupt liebt er starke Accente in Form und Farbe, wie in Beleuchtung. Seine heiligen Historien haben einen nationalen Zug von Ernst und selbst Adel; seine Erfindung, seine Geberden sind nicht ohne Leichtigkeit; aber die Köpfe bleiben etwas allgemein und wenig bedeutend; den Frauen jedoch fehlt eine gewisse Feinheit und Anmuth kei- neswegs. Man merkt ihm die Uebergangszeit an: er hat nicht mehr die gelehrte Zeichnung der Manieristen und erst halb den Geschmack der Natur und des Modells. — Uebereinstimmend hier- mit nannten ihn Zeitgenossen einen „zweiten Caravaggio“, und Martinez behauptet sogar, dass er bei Ribera studirt habe; aber Tristan malte sein Hauptwerk in Yepes im Jahre 1616, als jener noch im Sold seines Schwiegervaters Dutzendarbeiten lie- ferte. Dass Tristan ganz unabhängig auf seinen Chiaroscurostil kam und darin den Sevillanern voraneilte, beweist, dass er, wenn auch kein bedeutender, doch auch kein ganz „obscurer“ Künstler gewesen ist, wie man ihn genannt hat. Einen günstigen Begriff von ihm als Bildnissmaler giebt die Halbfigur des Cardinals Sandoval im Wintersaal des Kapitels von Toledo, wohl das beste Stück jener stattlichen Prälaten- galerie. Die gute Beobachtung des Künstlers zeigt sich in der dem Erzbischof vielleicht eigenthümlichen Haltung des Kopfs und dem Blick ruhiger Penetration in den grossen dunklen Augen des 1) Z. B. den S. Benito (Nr. 2124) der die mühsam fleissige Copie eines Greco ist; das Bildniss eines alten Mannes (Nr. 1048) von einem Maler der Tintoretto sich angesehn hat; einen phantastischen Mönchsconvent in der Akademie, jetzt richtig dem Genueser Al. Magnasco wiedergegeben; ein Bildniss des Lope in der Ermitage u. a.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/103>, abgerufen am 25.11.2024.