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Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

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er an seine Gebetserhörungen glaubte und nur er verstand
sich hierin selbst, und die Bedingungen, unter welchen er daran
glauben durfte. Auch läßt sich seine Lage mit der eines Geistli-
chen vergleichen, welcher von allen Seiten zur Zeit der Noth
angegangen wird, um zu helfen, und der, christlich wie er ist,
lieber selbst darbt, als Herz und Hand verschließt.

Geldgedanken lagen einem Stilling am entferntesten unter
allen, dieses Gift des geistigen Lebens, das in die schönsten Ideen
zerstörend einfließt. Wer das geheime Märtyrerthum kennt,
worin diejenigen leiden, welche des Geistes Geschäfte treiben,
und durch Nahrungssorgen unterbrochen werden, mag es einem
Stilling hoch anrechnen, daß er sich mit seiner Christenkraft über
das Plus und Minus und die leidigen Zahlbegriffe erhob, und
ungestört in seinem größeren Berufe fortwirkte. Darum verließ
ihn auch die Vorsehung nicht. Sie erweckte ihm Freunde, die
ebenfalls groß dachten, und sich in reicherem oder höherem Stande
befanden, die es ihm dann möglich machten, seinem wahren
Berufe ganz und freudig zu leben, und der vielfache Wohlthäter
von Vielen zu seyn. Nahm er von hundert Augenkuren nichts,
so gab es unter den dankbaren Seelen, welchen er des Leibes
Auge wieder glücklich geöffnet, auch manche, die mit irdischen
Gütern gesegnet waren, und die durch ihre freiwilligen Geschenke
ihn in den Stand setzten, Andern wieder auf mehrfache Weise
zu helfen. Dank Euch, Ihr Edlen, nah und fern, die Ihr ent-
weder noch hienieden, oder schon droben die Früchte Eurer
Werke genießet!

Stillings Ehegattinnen stimmten auch ganz in seine Wohl-
thätigkeit ein, und so war es nichts Geringes für seine letztere,
daß sich bei seinen vermehrten Geschäften die Hülfsbedürftigen
oft an sie zunächst wendeten. Ihr Herz kannte keine Gränzen
im Wohlthun, aber strenge gebietend setzten sich dann die häus-
lichen Umstände entgegen. Hierzu kam nun ihre natürliche Sorg-
lichkeit, und das machte dann ihr sowohl als ihrem Manne nicht
wenig Noth, bis sie es endlich durch sein ernstes Zureden und
ihre liebevolle Achtung gegen ihn, zu einer frommen Ergebung
selbst so weit brachte, daß ein Blick auf ihre Christenstärke auch
ihn wiederum stärkte. So geschah es, daß sie einer Klippe ent-

43 *

er an ſeine Gebetserhoͤrungen glaubte und nur er verſtand
ſich hierin ſelbſt, und die Bedingungen, unter welchen er daran
glauben durfte. Auch laͤßt ſich ſeine Lage mit der eines Geiſtli-
chen vergleichen, welcher von allen Seiten zur Zeit der Noth
angegangen wird, um zu helfen, und der, chriſtlich wie er iſt,
lieber ſelbſt darbt, als Herz und Hand verſchließt.

Geldgedanken lagen einem Stilling am entfernteſten unter
allen, dieſes Gift des geiſtigen Lebens, das in die ſchoͤnſten Ideen
zerſtoͤrend einfließt. Wer das geheime Maͤrtyrerthum kennt,
worin diejenigen leiden, welche des Geiſtes Geſchaͤfte treiben,
und durch Nahrungsſorgen unterbrochen werden, mag es einem
Stilling hoch anrechnen, daß er ſich mit ſeiner Chriſtenkraft uͤber
das Plus und Minus und die leidigen Zahlbegriffe erhob, und
ungeſtoͤrt in ſeinem groͤßeren Berufe fortwirkte. Darum verließ
ihn auch die Vorſehung nicht. Sie erweckte ihm Freunde, die
ebenfalls groß dachten, und ſich in reicherem oder hoͤherem Stande
befanden, die es ihm dann moͤglich machten, ſeinem wahren
Berufe ganz und freudig zu leben, und der vielfache Wohlthaͤter
von Vielen zu ſeyn. Nahm er von hundert Augenkuren nichts,
ſo gab es unter den dankbaren Seelen, welchen er des Leibes
Auge wieder gluͤcklich geoͤffnet, auch manche, die mit irdiſchen
Guͤtern geſegnet waren, und die durch ihre freiwilligen Geſchenke
ihn in den Stand ſetzten, Andern wieder auf mehrfache Weiſe
zu helfen. Dank Euch, Ihr Edlen, nah und fern, die Ihr ent-
weder noch hienieden, oder ſchon droben die Fruͤchte Eurer
Werke genießet!

Stillings Ehegattinnen ſtimmten auch ganz in ſeine Wohl-
thaͤtigkeit ein, und ſo war es nichts Geringes fuͤr ſeine letztere,
daß ſich bei ſeinen vermehrten Geſchaͤften die Huͤlfsbeduͤrftigen
oft an ſie zunaͤchſt wendeten. Ihr Herz kannte keine Graͤnzen
im Wohlthun, aber ſtrenge gebietend ſetzten ſich dann die haͤus-
lichen Umſtaͤnde entgegen. Hierzu kam nun ihre natuͤrliche Sorg-
lichkeit, und das machte dann ihr ſowohl als ihrem Manne nicht
wenig Noth, bis ſie es endlich durch ſein ernſtes Zureden und
ihre liebevolle Achtung gegen ihn, zu einer frommen Ergebung
ſelbſt ſo weit brachte, daß ein Blick auf ihre Chriſtenſtaͤrke auch
ihn wiederum ſtaͤrkte. So geſchah es, daß ſie einer Klippe ent-

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[663/0671] er an ſeine Gebetserhoͤrungen glaubte und nur er verſtand ſich hierin ſelbſt, und die Bedingungen, unter welchen er daran glauben durfte. Auch laͤßt ſich ſeine Lage mit der eines Geiſtli- chen vergleichen, welcher von allen Seiten zur Zeit der Noth angegangen wird, um zu helfen, und der, chriſtlich wie er iſt, lieber ſelbſt darbt, als Herz und Hand verſchließt. Geldgedanken lagen einem Stilling am entfernteſten unter allen, dieſes Gift des geiſtigen Lebens, das in die ſchoͤnſten Ideen zerſtoͤrend einfließt. Wer das geheime Maͤrtyrerthum kennt, worin diejenigen leiden, welche des Geiſtes Geſchaͤfte treiben, und durch Nahrungsſorgen unterbrochen werden, mag es einem Stilling hoch anrechnen, daß er ſich mit ſeiner Chriſtenkraft uͤber das Plus und Minus und die leidigen Zahlbegriffe erhob, und ungeſtoͤrt in ſeinem groͤßeren Berufe fortwirkte. Darum verließ ihn auch die Vorſehung nicht. Sie erweckte ihm Freunde, die ebenfalls groß dachten, und ſich in reicherem oder hoͤherem Stande befanden, die es ihm dann moͤglich machten, ſeinem wahren Berufe ganz und freudig zu leben, und der vielfache Wohlthaͤter von Vielen zu ſeyn. Nahm er von hundert Augenkuren nichts, ſo gab es unter den dankbaren Seelen, welchen er des Leibes Auge wieder gluͤcklich geoͤffnet, auch manche, die mit irdiſchen Guͤtern geſegnet waren, und die durch ihre freiwilligen Geſchenke ihn in den Stand ſetzten, Andern wieder auf mehrfache Weiſe zu helfen. Dank Euch, Ihr Edlen, nah und fern, die Ihr ent- weder noch hienieden, oder ſchon droben die Fruͤchte Eurer Werke genießet! Stillings Ehegattinnen ſtimmten auch ganz in ſeine Wohl- thaͤtigkeit ein, und ſo war es nichts Geringes fuͤr ſeine letztere, daß ſich bei ſeinen vermehrten Geſchaͤften die Huͤlfsbeduͤrftigen oft an ſie zunaͤchſt wendeten. Ihr Herz kannte keine Graͤnzen im Wohlthun, aber ſtrenge gebietend ſetzten ſich dann die haͤus- lichen Umſtaͤnde entgegen. Hierzu kam nun ihre natuͤrliche Sorg- lichkeit, und das machte dann ihr ſowohl als ihrem Manne nicht wenig Noth, bis ſie es endlich durch ſein ernſtes Zureden und ihre liebevolle Achtung gegen ihn, zu einer frommen Ergebung ſelbſt ſo weit brachte, daß ein Blick auf ihre Chriſtenſtaͤrke auch ihn wiederum ſtaͤrkte. So geſchah es, daß ſie einer Klippe ent- 43 *

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Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 663. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/671>, abgerufen am 19.05.2024.