Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

sagte einige Male: "Es geht keines weg!" So rang der ehr-
würdige Greis mehrere Stunden um seine Vollendung, und es
war, als wenn fernher Strahlen vom Reiche des Lichts sein
erhabenes Antlitz umleuchteten, und ihm Kraft im Kampfe zu-
führten. Sah er uns dann trauernd um sich her stehen, und
bemerkte er unser Leiden um ihn, so sagte er: "Habt Geduld!"
Später am Vormittage sah er einen befreundeten Geistlichen durch
die Thüre blicken, den er mit einem freundlichen Blicke begrüßte,
und der an sein Bett trat, und seine Gedanken aussprach, als:
"Derjenige, der dort am Kreuze litt, hilft Ihnen überwinden!"
worauf er erwiederte: "Ja wohl, daran zweifle ich nicht!" Und
als jener folgende Worte ausgesprochen:

"Wie wird mir dann, Erlöser! seyn,
Wenn ich mich deiner ganz zu freun,
Dich dort anbeten werde."

antwortete er mit: "Ja und Amen!"

Aber es nahete allgemach der ernste traurige Augenblick heran.
Der weitgeförderte Christ sollte den Kelch der Prüfungen gleich
seinem Erlöser, zum herrlichen Glaubenszeugnisse vor der Welt,
bis auf die Hefe trinken. -- Und es war die Mitte der heiligen
Woche. Mit seinem Heilande ging er dem Tode und der Vollen-
dung entgegen. Da, sein von Liebe und Würde strahlendes
Angesicht schauend, konnte man rufen: Tod, wo ist dein Sta-
chel! Hölle, wo ist dein Sieg! Gott aber sey Dank, der ihm
den Sieg verliehen durch seinen Herrn Jesum Christum!"

Immer suchte er uns, das Eine nach dem Andern, mit sei-
nem lieblichen feierlichen Blicke, und rief einmal: "Haltet an
im Gebet!" und wir unterließen es nicht.

Noch einige Male labte sich sein lechzender Gaumen durch
kühlendes Getränke, bis er zuletzt sagte: "Laß gut seyn, es geht
"nicht mehr hinunter!" Mehrmals stammelte er in seinem krampf-
haften Zustande Flehensworte zu dem Vollbringer, als: "Herr
schneide den Lebensfaden ab!" dann: "Vater, nimm meinen
Geist auf!" und jetzt glaubten wir den letzten Athemzug zu hö-
ren. Jedoch seine starke Natur ermannte sich noch ein wenig-
er bereitete sich auf den bevorstehenden Stoß durch eine gestreckte

42 *

ſagte einige Male: „Es geht keines weg!“ So rang der ehr-
wuͤrdige Greis mehrere Stunden um ſeine Vollendung, und es
war, als wenn fernher Strahlen vom Reiche des Lichts ſein
erhabenes Antlitz umleuchteten, und ihm Kraft im Kampfe zu-
fuͤhrten. Sah er uns dann trauernd um ſich her ſtehen, und
bemerkte er unſer Leiden um ihn, ſo ſagte er: „Habt Geduld!“
Spaͤter am Vormittage ſah er einen befreundeten Geiſtlichen durch
die Thuͤre blicken, den er mit einem freundlichen Blicke begruͤßte,
und der an ſein Bett trat, und ſeine Gedanken ausſprach, als:
„Derjenige, der dort am Kreuze litt, hilft Ihnen uͤberwinden!“
worauf er erwiederte: „Ja wohl, daran zweifle ich nicht!“ Und
als jener folgende Worte ausgeſprochen:

„Wie wird mir dann, Erloͤſer! ſeyn,
Wenn ich mich deiner ganz zu freun,
Dich dort anbeten werde.“

antwortete er mit: „Ja und Amen!“

Aber es nahete allgemach der ernſte traurige Augenblick heran.
Der weitgefoͤrderte Chriſt ſollte den Kelch der Pruͤfungen gleich
ſeinem Erloͤſer, zum herrlichen Glaubenszeugniſſe vor der Welt,
bis auf die Hefe trinken. — Und es war die Mitte der heiligen
Woche. Mit ſeinem Heilande ging er dem Tode und der Vollen-
dung entgegen. Da, ſein von Liebe und Wuͤrde ſtrahlendes
Angeſicht ſchauend, konnte man rufen: Tod, wo iſt dein Sta-
chel! Hoͤlle, wo iſt dein Sieg! Gott aber ſey Dank, der ihm
den Sieg verliehen durch ſeinen Herrn Jeſum Chriſtum!“

Immer ſuchte er uns, das Eine nach dem Andern, mit ſei-
nem lieblichen feierlichen Blicke, und rief einmal: „Haltet an
im Gebet!“ und wir unterließen es nicht.

Noch einige Male labte ſich ſein lechzender Gaumen durch
kuͤhlendes Getraͤnke, bis er zuletzt ſagte: „Laß gut ſeyn, es geht
„nicht mehr hinunter!“ Mehrmals ſtammelte er in ſeinem krampf-
haften Zuſtande Flehensworte zu dem Vollbringer, als: „Herr
ſchneide den Lebensfaden ab!“ dann: „Vater, nimm meinen
Geiſt auf!“ und jetzt glaubten wir den letzten Athemzug zu hoͤ-
ren. Jedoch ſeine ſtarke Natur ermannte ſich noch ein wenig-
er bereitete ſich auf den bevorſtehenden Stoß durch eine geſtreckte

42 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0655" n="647"/>
&#x017F;agte einige Male: &#x201E;Es geht keines weg!&#x201C; So rang der ehr-<lb/>
wu&#x0364;rdige Greis mehrere Stunden um &#x017F;eine Vollendung, und es<lb/>
war, als wenn fernher Strahlen vom Reiche des Lichts &#x017F;ein<lb/>
erhabenes Antlitz umleuchteten, und ihm Kraft im Kampfe zu-<lb/>
fu&#x0364;hrten. Sah er uns dann trauernd um &#x017F;ich her &#x017F;tehen, und<lb/>
bemerkte er un&#x017F;er Leiden um ihn, &#x017F;o &#x017F;agte er: &#x201E;Habt Geduld!&#x201C;<lb/>
Spa&#x0364;ter am Vormittage &#x017F;ah er einen befreundeten Gei&#x017F;tlichen durch<lb/>
die Thu&#x0364;re blicken, den er mit einem freundlichen Blicke begru&#x0364;ßte,<lb/>
und der an &#x017F;ein Bett trat, und &#x017F;eine Gedanken aus&#x017F;prach, als:<lb/>
&#x201E;Derjenige, der dort am Kreuze litt, hilft Ihnen u&#x0364;berwinden!&#x201C;<lb/>
worauf er erwiederte: &#x201E;Ja wohl, daran zweifle ich nicht!&#x201C; Und<lb/>
als jener folgende Worte ausge&#x017F;prochen:</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>&#x201E;Wie wird mir dann, Erlo&#x0364;&#x017F;er! &#x017F;eyn,</l><lb/>
          <l>Wenn ich mich deiner ganz zu freun,</l><lb/>
          <l>Dich dort anbeten werde.&#x201C;</l>
        </lg><lb/>
        <p>antwortete er mit: &#x201E;Ja und Amen!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Aber es nahete allgemach der ern&#x017F;te traurige Augenblick heran.<lb/>
Der weitgefo&#x0364;rderte Chri&#x017F;t &#x017F;ollte den Kelch der Pru&#x0364;fungen gleich<lb/>
&#x017F;einem Erlo&#x0364;&#x017F;er, zum herrlichen Glaubenszeugni&#x017F;&#x017F;e vor der Welt,<lb/>
bis auf die Hefe trinken. &#x2014; Und es war die Mitte der heiligen<lb/>
Woche. Mit &#x017F;einem Heilande ging er dem Tode und der Vollen-<lb/>
dung entgegen. Da, &#x017F;ein von Liebe und Wu&#x0364;rde &#x017F;trahlendes<lb/>
Ange&#x017F;icht &#x017F;chauend, konnte man rufen: Tod, wo i&#x017F;t dein Sta-<lb/>
chel! Ho&#x0364;lle, wo i&#x017F;t dein Sieg! Gott aber &#x017F;ey Dank, der ihm<lb/>
den Sieg verliehen durch &#x017F;einen Herrn Je&#x017F;um Chri&#x017F;tum!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Immer &#x017F;uchte er uns, das Eine nach dem Andern, mit &#x017F;ei-<lb/>
nem lieblichen feierlichen Blicke, und rief einmal: &#x201E;Haltet an<lb/>
im Gebet!&#x201C; und wir unterließen es nicht.</p><lb/>
        <p>Noch einige Male labte &#x017F;ich &#x017F;ein lechzender Gaumen durch<lb/>
ku&#x0364;hlendes Getra&#x0364;nke, bis er zuletzt &#x017F;agte: &#x201E;Laß gut &#x017F;eyn, es geht<lb/>
&#x201E;nicht mehr hinunter!&#x201C; Mehrmals &#x017F;tammelte er in &#x017F;einem krampf-<lb/>
haften Zu&#x017F;tande Flehensworte zu dem Vollbringer, als: &#x201E;Herr<lb/>
&#x017F;chneide den Lebensfaden ab!&#x201C; dann: &#x201E;Vater, nimm meinen<lb/>
Gei&#x017F;t auf!&#x201C; und jetzt glaubten wir den letzten Athemzug zu ho&#x0364;-<lb/>
ren. Jedoch &#x017F;eine &#x017F;tarke Natur ermannte &#x017F;ich noch ein wenig-<lb/>
er bereitete &#x017F;ich auf den bevor&#x017F;tehenden Stoß durch eine ge&#x017F;treckte<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">42 *</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[647/0655] ſagte einige Male: „Es geht keines weg!“ So rang der ehr- wuͤrdige Greis mehrere Stunden um ſeine Vollendung, und es war, als wenn fernher Strahlen vom Reiche des Lichts ſein erhabenes Antlitz umleuchteten, und ihm Kraft im Kampfe zu- fuͤhrten. Sah er uns dann trauernd um ſich her ſtehen, und bemerkte er unſer Leiden um ihn, ſo ſagte er: „Habt Geduld!“ Spaͤter am Vormittage ſah er einen befreundeten Geiſtlichen durch die Thuͤre blicken, den er mit einem freundlichen Blicke begruͤßte, und der an ſein Bett trat, und ſeine Gedanken ausſprach, als: „Derjenige, der dort am Kreuze litt, hilft Ihnen uͤberwinden!“ worauf er erwiederte: „Ja wohl, daran zweifle ich nicht!“ Und als jener folgende Worte ausgeſprochen: „Wie wird mir dann, Erloͤſer! ſeyn, Wenn ich mich deiner ganz zu freun, Dich dort anbeten werde.“ antwortete er mit: „Ja und Amen!“ Aber es nahete allgemach der ernſte traurige Augenblick heran. Der weitgefoͤrderte Chriſt ſollte den Kelch der Pruͤfungen gleich ſeinem Erloͤſer, zum herrlichen Glaubenszeugniſſe vor der Welt, bis auf die Hefe trinken. — Und es war die Mitte der heiligen Woche. Mit ſeinem Heilande ging er dem Tode und der Vollen- dung entgegen. Da, ſein von Liebe und Wuͤrde ſtrahlendes Angeſicht ſchauend, konnte man rufen: Tod, wo iſt dein Sta- chel! Hoͤlle, wo iſt dein Sieg! Gott aber ſey Dank, der ihm den Sieg verliehen durch ſeinen Herrn Jeſum Chriſtum!“ Immer ſuchte er uns, das Eine nach dem Andern, mit ſei- nem lieblichen feierlichen Blicke, und rief einmal: „Haltet an im Gebet!“ und wir unterließen es nicht. Noch einige Male labte ſich ſein lechzender Gaumen durch kuͤhlendes Getraͤnke, bis er zuletzt ſagte: „Laß gut ſeyn, es geht „nicht mehr hinunter!“ Mehrmals ſtammelte er in ſeinem krampf- haften Zuſtande Flehensworte zu dem Vollbringer, als: „Herr ſchneide den Lebensfaden ab!“ dann: „Vater, nimm meinen Geiſt auf!“ und jetzt glaubten wir den letzten Athemzug zu hoͤ- ren. Jedoch ſeine ſtarke Natur ermannte ſich noch ein wenig- er bereitete ſich auf den bevorſtehenden Stoß durch eine geſtreckte 42 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/655
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 647. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/655>, abgerufen am 19.05.2024.