Gegen Tagesanbruch rief er seinem jüngsten Sohne, er solle ihm ein Pfeifchen stopfen, was ihm behaglich schmeckte. An demselben Morgen des ersten Aprils, als seine Kinder bei ihm waren, und mit uns noch einer meiner Brüder, den er des Abends vorher nach dessen Ankunft um das Wohlergehen der Seinigen befragt hatte, ermahnte er uns also: "Liebe Kin- "der, befleißigt Euch der wahren Gottesfurcht! "da meint man als, es sey gethan, wenn man nur "in die Kirche und zum heiligen Nachtmahl blos "gehe; aber die gänzliche Ergebung in den Wil- "len Gottes, beständiger Umgang mit ihm, und "Gebet, das ist es!"
Als darauf seine zweite Tochter ihn bat, im Himmel mit seiner verklärten Gattin Fürbitte für die Seinigen einzulegen, antwortete er in seiner einfachen Art: "Ja, da muß man "erst sehen, wie es jenseits der Gebrauch ist, dann "bitten wir für Euch!"
Darauf betete er jenen Vers aus dem Hallischen Gesang- buche, Lied 11, 22.
"Ich rühme mich einzig der blutenden Wunden, "Die Jesus an Händen und Füßen empfunden. "Drein will ich mich wickeln recht christlich zu leben, "Daß einst ich Himmelan fröhlich kann streben!"
Und als er hörte, daß seine dritte Tochter ihre Schwester fragte, wo diese Worte stünden, gab er die neben ihm liegende Hallische Sammlung geistlicher Lieder seiner zweiten Tochter, ließ sie einige der schönsten Lieder aufschlagen und zeichnen, und be- fahl an, solche ihre Kinder im Institute im Choral gut singen lernen zu lassen, und sagte: "Lernt brav Verse und Sprüche auswendig, man kann sie brauchen!" Zugleich empfahl er ihr, die Kirchenlieder immer nur in der ächten einfachen Kirchenme- lodie, ohne Künstelei, singen zu lassen. Denn er liebte auch im Kirchlichen das Einfache, Erhabene. Darauf sagte er ihr, als von gewissen Freunden die Rede war: "Schreibe den Lieben, "ich hätte mich viel in den letzten Tagen mit ihnen beschäftigt, "ich hätte sie lieb, und wir würden einmal Stoff genug zum "Gespräche finden." Von denselbigen sagte er auch hernach: "Sie sind vom Herrn geliebt."
Gegen Tagesanbruch rief er ſeinem juͤngſten Sohne, er ſolle ihm ein Pfeifchen ſtopfen, was ihm behaglich ſchmeckte. An demſelben Morgen des erſten Aprils, als ſeine Kinder bei ihm waren, und mit uns noch einer meiner Bruͤder, den er des Abends vorher nach deſſen Ankunft um das Wohlergehen der Seinigen befragt hatte, ermahnte er uns alſo: „Liebe Kin- „der, befleißigt Euch der wahren Gottesfurcht! „da meint man als, es ſey gethan, wenn man nur „in die Kirche und zum heiligen Nachtmahl blos „gehe; aber die gaͤnzliche Ergebung in den Wil- „len Gottes, beſtaͤndiger Umgang mit ihm, und „Gebet, das iſt es!“
Als darauf ſeine zweite Tochter ihn bat, im Himmel mit ſeiner verklaͤrten Gattin Fuͤrbitte fuͤr die Seinigen einzulegen, antwortete er in ſeiner einfachen Art: „Ja, da muß man „erſt ſehen, wie es jenſeits der Gebrauch iſt, dann „bitten wir fuͤr Euch!“
Darauf betete er jenen Vers aus dem Halliſchen Geſang- buche, Lied 11, 22.
„Ich rühme mich einzig der blutenden Wunden, „Die Jeſus an Händen und Füßen empfunden. „Drein will ich mich wickeln recht chriſtlich zu leben, „Daß einſt ich Himmelan fröhlich kann ſtreben!“
Und als er hoͤrte, daß ſeine dritte Tochter ihre Schweſter fragte, wo dieſe Worte ſtuͤnden, gab er die neben ihm liegende Halliſche Sammlung geiſtlicher Lieder ſeiner zweiten Tochter, ließ ſie einige der ſchoͤnſten Lieder aufſchlagen und zeichnen, und be- fahl an, ſolche ihre Kinder im Inſtitute im Choral gut ſingen lernen zu laſſen, und ſagte: „Lernt brav Verſe und Spruͤche auswendig, man kann ſie brauchen!“ Zugleich empfahl er ihr, die Kirchenlieder immer nur in der aͤchten einfachen Kirchenme- lodie, ohne Kuͤnſtelei, ſingen zu laſſen. Denn er liebte auch im Kirchlichen das Einfache, Erhabene. Darauf ſagte er ihr, als von gewiſſen Freunden die Rede war: „Schreibe den Lieben, „ich haͤtte mich viel in den letzten Tagen mit ihnen beſchaͤftigt, „ich haͤtte ſie lieb, und wir wuͤrden einmal Stoff genug zum „Geſpraͤche finden.“ Von denſelbigen ſagte er auch hernach: „Sie ſind vom Herrn geliebt.“
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Gegen Tagesanbruch rief er ſeinem juͤngſten Sohne, er ſolle
ihm ein Pfeifchen ſtopfen, was ihm behaglich ſchmeckte. An
demſelben Morgen des erſten Aprils, als ſeine Kinder bei ihm
waren, und mit uns noch einer meiner Bruͤder, den er des
Abends vorher nach deſſen Ankunft um das Wohlergehen der
Seinigen befragt hatte, ermahnte er uns alſo: „Liebe Kin-
„der, befleißigt Euch der wahren Gottesfurcht!
„da meint man als, es ſey gethan, wenn man nur
„in die Kirche und zum heiligen Nachtmahl blos
„gehe; aber die gaͤnzliche Ergebung in den Wil-
„len Gottes, beſtaͤndiger Umgang mit ihm, und
„Gebet, das iſt es!“
Als darauf ſeine zweite Tochter ihn bat, im Himmel mit
ſeiner verklaͤrten Gattin Fuͤrbitte fuͤr die Seinigen einzulegen,
antwortete er in ſeiner einfachen Art: „Ja, da muß man
„erſt ſehen, wie es jenſeits der Gebrauch iſt, dann
„bitten wir fuͤr Euch!“
Darauf betete er jenen Vers aus dem Halliſchen Geſang-
buche, Lied 11, 22.
„Ich rühme mich einzig der blutenden Wunden,
„Die Jeſus an Händen und Füßen empfunden.
„Drein will ich mich wickeln recht chriſtlich zu leben,
„Daß einſt ich Himmelan fröhlich kann ſtreben!“
Und als er hoͤrte, daß ſeine dritte Tochter ihre Schweſter
fragte, wo dieſe Worte ſtuͤnden, gab er die neben ihm liegende
Halliſche Sammlung geiſtlicher Lieder ſeiner zweiten Tochter, ließ
ſie einige der ſchoͤnſten Lieder aufſchlagen und zeichnen, und be-
fahl an, ſolche ihre Kinder im Inſtitute im Choral gut ſingen
lernen zu laſſen, und ſagte: „Lernt brav Verſe und Spruͤche
auswendig, man kann ſie brauchen!“ Zugleich empfahl er ihr,
die Kirchenlieder immer nur in der aͤchten einfachen Kirchenme-
lodie, ohne Kuͤnſtelei, ſingen zu laſſen. Denn er liebte auch im
Kirchlichen das Einfache, Erhabene. Darauf ſagte er ihr, als
von gewiſſen Freunden die Rede war: „Schreibe den Lieben,
„ich haͤtte mich viel in den letzten Tagen mit ihnen beſchaͤftigt,
„ich haͤtte ſie lieb, und wir wuͤrden einmal Stoff genug zum
„Geſpraͤche finden.“ Von denſelbigen ſagte er auch hernach:
„Sie ſind vom Herrn geliebt.“
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 640. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/648>, abgerufen am 22.11.2024.
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