gen der Wahrheit gebildet hat. Indessen bin ich mir vor Gott mit der vollkommensten Aufrichtigkeit bewußt, daß keine meiner religiösen Ideen durch mühsames Nachdenken entstanden, oder Resultat irgend einer Deduction der bloßen Vernunft sey, sondern Alle sind Aufschlüsse in meinem Gemüthe, die mir bei dem Be- trachten schwieriger Bibelstellen von selbst gekommen sind. Die Hauptsache des Christenthums aber beruht, nach meiner Ueber- zeugung, auf folgenden Grundsätzen:
1. Die heiligen Schriften, so wie wir sie gegenwärtig haben, enthalten vom ersten Kapitel des ersten Buchs Mosis an, bis auf's letzte Kapitel des Propheten Maleachi, und vom ersten Kapitel des Evangeliums Matthäi an, bis auf's letzte Kapitel der Apocalypse, die Geschichte der Offenbarungen Gottes an die Menschen, und sind daher die einzige zuverläßige Quelle aller derer übersinnlichen Wahrheiten, die dem Menschen zu seiner Bestimmung nöthig sind.
2. Die ersten Menschen waren von Gott vollkommen erschaf- fen worden, sie sündigten aber durch Ungehorsam gegen Gott, und verloren dadurch das Gleichgewicht zwischen den sinnlichen und sittlichen Grundtrieben; die sinnlichen wurden immer über- wiegender, und daher wurde in ihrer ganzen Nachkommenschaft das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens böse von Jugend auf und immerdar.
3. Vorher war auch schon eine Klasse höherer geistiger Wesen von Gott abgefallen und böse geworden; der Fürst dieser Wesen hatte die ersten Menschen zum Abfall verleitet; diese bösen Gei- ster können dann auf den geistigen Theil des Menschen wirken, wenn er ihnen Anlaß dazu gibt; es gibt aber auch gute Gei- ster, die um den Menschen her sind, und ebenfalls auf ihn wir- ken, wenn es die Umstände erfordern. Jene bösen Geister nebst ihrem Fürsten, den Satan, seine Engel und alle böse Menschen, nenne ich das Reich der Finsterniß.
4. Gott hat von Ewigkeit her ein Wesen ausgeboren, das mit ihm gleicher Natur ist, und gegen Ihn in dem Verhältniß steht wie ein Sohn gegen seinen Vater, daher nennet es auch die Bibel den Sohn Gottes, den Logos, das Gottwort, dieser Sohn Gottes übernahm die Führung und Erlösung des ge-
gen der Wahrheit gebildet hat. Indeſſen bin ich mir vor Gott mit der vollkommenſten Aufrichtigkeit bewußt, daß keine meiner religioͤſen Ideen durch muͤhſames Nachdenken entſtanden, oder Reſultat irgend einer Deduction der bloßen Vernunft ſey, ſondern Alle ſind Aufſchluͤſſe in meinem Gemuͤthe, die mir bei dem Be- trachten ſchwieriger Bibelſtellen von ſelbſt gekommen ſind. Die Hauptſache des Chriſtenthums aber beruht, nach meiner Ueber- zeugung, auf folgenden Grundſaͤtzen:
1. Die heiligen Schriften, ſo wie wir ſie gegenwaͤrtig haben, enthalten vom erſten Kapitel des erſten Buchs Moſis an, bis auf’s letzte Kapitel des Propheten Maleachi, und vom erſten Kapitel des Evangeliums Matthaͤi an, bis auf’s letzte Kapitel der Apocalypſe, die Geſchichte der Offenbarungen Gottes an die Menſchen, und ſind daher die einzige zuverlaͤßige Quelle aller derer uͤberſinnlichen Wahrheiten, die dem Menſchen zu ſeiner Beſtimmung noͤthig ſind.
2. Die erſten Menſchen waren von Gott vollkommen erſchaf- fen worden, ſie ſuͤndigten aber durch Ungehorſam gegen Gott, und verloren dadurch das Gleichgewicht zwiſchen den ſinnlichen und ſittlichen Grundtrieben; die ſinnlichen wurden immer uͤber- wiegender, und daher wurde in ihrer ganzen Nachkommenſchaft das Dichten und Trachten des menſchlichen Herzens boͤſe von Jugend auf und immerdar.
3. Vorher war auch ſchon eine Klaſſe hoͤherer geiſtiger Weſen von Gott abgefallen und boͤſe geworden; der Fuͤrſt dieſer Weſen hatte die erſten Menſchen zum Abfall verleitet; dieſe boͤſen Gei- ſter koͤnnen dann auf den geiſtigen Theil des Menſchen wirken, wenn er ihnen Anlaß dazu gibt; es gibt aber auch gute Gei- ſter, die um den Menſchen her ſind, und ebenfalls auf ihn wir- ken, wenn es die Umſtaͤnde erfordern. Jene boͤſen Geiſter nebſt ihrem Fuͤrſten, den Satan, ſeine Engel und alle boͤſe Menſchen, nenne ich das Reich der Finſterniß.
4. Gott hat von Ewigkeit her ein Weſen ausgeboren, das mit ihm gleicher Natur iſt, und gegen Ihn in dem Verhaͤltniß ſteht wie ein Sohn gegen ſeinen Vater, daher nennet es auch die Bibel den Sohn Gottes, den Logos, das Gottwort, dieſer Sohn Gottes uͤbernahm die Fuͤhrung und Erloͤſung des ge-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0609"n="601"/>
gen der Wahrheit gebildet hat. Indeſſen bin ich mir vor Gott<lb/>
mit der vollkommenſten Aufrichtigkeit bewußt, daß keine meiner<lb/>
religioͤſen Ideen durch muͤhſames Nachdenken entſtanden, oder<lb/>
Reſultat irgend einer Deduction der bloßen Vernunft ſey, ſondern<lb/>
Alle ſind Aufſchluͤſſe in meinem Gemuͤthe, die mir bei dem Be-<lb/>
trachten ſchwieriger Bibelſtellen von ſelbſt gekommen ſind. Die<lb/>
Hauptſache des Chriſtenthums aber beruht, nach meiner Ueber-<lb/>
zeugung, auf folgenden Grundſaͤtzen:</p><lb/><p>1. Die heiligen Schriften, ſo wie wir ſie gegenwaͤrtig haben,<lb/>
enthalten vom erſten Kapitel des erſten Buchs <hirendition="#g">Moſis</hi> an, bis<lb/>
auf’s letzte Kapitel des Propheten <hirendition="#g">Maleachi</hi>, und vom erſten<lb/>
Kapitel des Evangeliums Matthaͤi an, bis auf’s letzte Kapitel der<lb/><hirendition="#g">Apocalypſe</hi>, die Geſchichte der Offenbarungen Gottes an die<lb/>
Menſchen, und ſind daher die einzige zuverlaͤßige Quelle aller<lb/>
derer uͤberſinnlichen Wahrheiten, die dem Menſchen zu ſeiner<lb/>
Beſtimmung noͤthig ſind.</p><lb/><p>2. Die erſten Menſchen waren von Gott vollkommen erſchaf-<lb/>
fen worden, ſie ſuͤndigten aber durch Ungehorſam gegen Gott,<lb/>
und verloren dadurch das Gleichgewicht zwiſchen den ſinnlichen<lb/>
und ſittlichen Grundtrieben; die ſinnlichen wurden immer uͤber-<lb/>
wiegender, und daher wurde in ihrer ganzen Nachkommenſchaft<lb/>
das Dichten und Trachten des menſchlichen Herzens boͤſe von<lb/>
Jugend auf und immerdar.</p><lb/><p>3. Vorher war auch ſchon eine Klaſſe hoͤherer geiſtiger Weſen<lb/>
von Gott abgefallen und boͤſe geworden; der Fuͤrſt dieſer Weſen<lb/>
hatte die erſten Menſchen zum Abfall verleitet; dieſe boͤſen Gei-<lb/>ſter koͤnnen <hirendition="#g">dann</hi> auf den geiſtigen Theil des Menſchen wirken,<lb/>
wenn er ihnen <hirendition="#g">Anlaß</hi> dazu gibt; es gibt aber auch gute Gei-<lb/>ſter, die um den Menſchen her ſind, und ebenfalls auf ihn wir-<lb/>
ken, wenn es die Umſtaͤnde erfordern. Jene boͤſen Geiſter nebſt<lb/>
ihrem Fuͤrſten, den Satan, ſeine Engel und alle boͤſe Menſchen,<lb/>
nenne ich das Reich der Finſterniß.</p><lb/><p>4. Gott hat von Ewigkeit her ein Weſen ausgeboren, das<lb/>
mit ihm gleicher Natur iſt, und gegen Ihn in dem Verhaͤltniß<lb/>ſteht wie ein Sohn gegen ſeinen Vater, daher nennet es auch<lb/>
die Bibel den <hirendition="#g">Sohn Gottes, den Logos</hi>, das <hirendition="#g">Gottwort</hi>,<lb/>
dieſer Sohn Gottes uͤbernahm die Fuͤhrung und Erloͤſung des ge-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[601/0609]
gen der Wahrheit gebildet hat. Indeſſen bin ich mir vor Gott
mit der vollkommenſten Aufrichtigkeit bewußt, daß keine meiner
religioͤſen Ideen durch muͤhſames Nachdenken entſtanden, oder
Reſultat irgend einer Deduction der bloßen Vernunft ſey, ſondern
Alle ſind Aufſchluͤſſe in meinem Gemuͤthe, die mir bei dem Be-
trachten ſchwieriger Bibelſtellen von ſelbſt gekommen ſind. Die
Hauptſache des Chriſtenthums aber beruht, nach meiner Ueber-
zeugung, auf folgenden Grundſaͤtzen:
1. Die heiligen Schriften, ſo wie wir ſie gegenwaͤrtig haben,
enthalten vom erſten Kapitel des erſten Buchs Moſis an, bis
auf’s letzte Kapitel des Propheten Maleachi, und vom erſten
Kapitel des Evangeliums Matthaͤi an, bis auf’s letzte Kapitel der
Apocalypſe, die Geſchichte der Offenbarungen Gottes an die
Menſchen, und ſind daher die einzige zuverlaͤßige Quelle aller
derer uͤberſinnlichen Wahrheiten, die dem Menſchen zu ſeiner
Beſtimmung noͤthig ſind.
2. Die erſten Menſchen waren von Gott vollkommen erſchaf-
fen worden, ſie ſuͤndigten aber durch Ungehorſam gegen Gott,
und verloren dadurch das Gleichgewicht zwiſchen den ſinnlichen
und ſittlichen Grundtrieben; die ſinnlichen wurden immer uͤber-
wiegender, und daher wurde in ihrer ganzen Nachkommenſchaft
das Dichten und Trachten des menſchlichen Herzens boͤſe von
Jugend auf und immerdar.
3. Vorher war auch ſchon eine Klaſſe hoͤherer geiſtiger Weſen
von Gott abgefallen und boͤſe geworden; der Fuͤrſt dieſer Weſen
hatte die erſten Menſchen zum Abfall verleitet; dieſe boͤſen Gei-
ſter koͤnnen dann auf den geiſtigen Theil des Menſchen wirken,
wenn er ihnen Anlaß dazu gibt; es gibt aber auch gute Gei-
ſter, die um den Menſchen her ſind, und ebenfalls auf ihn wir-
ken, wenn es die Umſtaͤnde erfordern. Jene boͤſen Geiſter nebſt
ihrem Fuͤrſten, den Satan, ſeine Engel und alle boͤſe Menſchen,
nenne ich das Reich der Finſterniß.
4. Gott hat von Ewigkeit her ein Weſen ausgeboren, das
mit ihm gleicher Natur iſt, und gegen Ihn in dem Verhaͤltniß
ſteht wie ein Sohn gegen ſeinen Vater, daher nennet es auch
die Bibel den Sohn Gottes, den Logos, das Gottwort,
dieſer Sohn Gottes uͤbernahm die Fuͤhrung und Erloͤſung des ge-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 601. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/609>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.