Ach liebes Kind! was gäb ich drum, wenn ich jetzt nach Marburg fahren könnte! -- Elise antwortete: Ey so laß uns das thun! -- indessen Stilling wollte nicht, denn er dachte, wenn ihm ein Unglück bevorstände, so könnte ihm das allenthalben wiederfahren; sie fuhren also fort; der Bru- der kam ihnen zu Pferd entgegen, und am Abend kamen sie glücklich in Braach an.
Der Aufenthalt an diesem, an sich angenehmen Ort, war auf acht Tagen festgesetzt, während der Zeit war Stilling zu Muth, wie einem armen Sünder, der in wenigen Tagen hingerichtet werden soll; er operirte ein Frauenzimmer in Rothenburg und bediente verschiedne Patienten. Maria, die in Braach schwächlich geworden war, sollte nun nebst den beiden Kindern wieder mit nach Marburg reisen, und die Abreise wurde auf Donnerstag den 29. Oktober bestimmt. Zu diesem Ende schickte Bruder Coing nach Morschen auf die Post, und bestellte die Pferde.
Mittwochs Abends, also den Tag vor der Abreise, stieg Stillings Schwermuth so hoch, daß er zu Elisen sagte: Wenn die Qual der Verdammten in der Hölle auch nicht größer ist, als die meinige, so ist sie groß genug!
Des folgenden Morgens kam der Postillon zu bestimmter Zeit, er hatte den Postwagen nach Rothenburg gefahren, folglich brauchte er vier Pferde, die aber gegen alle Postord- nungen sehr munter und lustig waren; er spannte ein, und fuhr ledig durch die Fulda, Stilling, Elise, Maria, die Kinder und der Bruder ließen sich einen Schußweges weiter oben in einem Nachen übersetzen, mittlerweile kam der Po- stillon jenseits die Weise herauf, und hielt am gegenseitigen Ufer.
Sie stiegen ein: Stilling saß hinten rechter Hand, neben ihm Elise mit dem Malchen auf dem Schooß, gegen ihr über Maria, und gegen Stilling über der Friedrich; jetzt nahm Bruder Coing Abschied und ging wieder zurück; plötzlich klatschte der Postillon, die vier raschen Pferde gingen los in vollem Trab, der Postillon drehte kurz, die vordern Kutschenräder faßten die Langwied, und schleuderten die Kutsche
Ach liebes Kind! was gaͤb ich drum, wenn ich jetzt nach Marburg fahren koͤnnte! — Eliſe antwortete: Ey ſo laß uns das thun! — indeſſen Stilling wollte nicht, denn er dachte, wenn ihm ein Ungluͤck bevorſtaͤnde, ſo koͤnnte ihm das allenthalben wiederfahren; ſie fuhren alſo fort; der Bru- der kam ihnen zu Pferd entgegen, und am Abend kamen ſie gluͤcklich in Braach an.
Der Aufenthalt an dieſem, an ſich angenehmen Ort, war auf acht Tagen feſtgeſetzt, waͤhrend der Zeit war Stilling zu Muth, wie einem armen Suͤnder, der in wenigen Tagen hingerichtet werden ſoll; er operirte ein Frauenzimmer in Rothenburg und bediente verſchiedne Patienten. Maria, die in Braach ſchwaͤchlich geworden war, ſollte nun nebſt den beiden Kindern wieder mit nach Marburg reiſen, und die Abreiſe wurde auf Donnerſtag den 29. Oktober beſtimmt. Zu dieſem Ende ſchickte Bruder Coing nach Morſchen auf die Poſt, und beſtellte die Pferde.
Mittwochs Abends, alſo den Tag vor der Abreiſe, ſtieg Stillings Schwermuth ſo hoch, daß er zu Eliſen ſagte: Wenn die Qual der Verdammten in der Hoͤlle auch nicht groͤßer iſt, als die meinige, ſo iſt ſie groß genug!
Des folgenden Morgens kam der Poſtillon zu beſtimmter Zeit, er hatte den Poſtwagen nach Rothenburg gefahren, folglich brauchte er vier Pferde, die aber gegen alle Poſtord- nungen ſehr munter und luſtig waren; er ſpannte ein, und fuhr ledig durch die Fulda, Stilling, Eliſe, Maria, die Kinder und der Bruder ließen ſich einen Schußweges weiter oben in einem Nachen uͤberſetzen, mittlerweile kam der Po- ſtillon jenſeits die Weiſe herauf, und hielt am gegenſeitigen Ufer.
Sie ſtiegen ein: Stilling ſaß hinten rechter Hand, neben ihm Eliſe mit dem Malchen auf dem Schooß, gegen ihr uͤber Maria, und gegen Stilling uͤber der Friedrich; jetzt nahm Bruder Coing Abſchied und ging wieder zuruͤck; ploͤtzlich klatſchte der Poſtillon, die vier raſchen Pferde gingen los in vollem Trab, der Poſtillon drehte kurz, die vordern Kutſchenraͤder faßten die Langwied, und ſchleuderten die Kutſche
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Ach liebes Kind! was gaͤb ich drum, wenn ich jetzt nach
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er dachte, wenn ihm ein Ungluͤck bevorſtaͤnde, ſo koͤnnte ihm
das allenthalben wiederfahren; ſie fuhren alſo fort; der Bru-
der kam ihnen zu Pferd entgegen, und am Abend kamen ſie
gluͤcklich in Braach an.
Der Aufenthalt an dieſem, an ſich angenehmen Ort, war
auf acht Tagen feſtgeſetzt, waͤhrend der Zeit war Stilling
zu Muth, wie einem armen Suͤnder, der in wenigen Tagen
hingerichtet werden ſoll; er operirte ein Frauenzimmer in
Rothenburg und bediente verſchiedne Patienten. Maria,
die in Braach ſchwaͤchlich geworden war, ſollte nun nebſt
den beiden Kindern wieder mit nach Marburg reiſen, und
die Abreiſe wurde auf Donnerſtag den 29. Oktober beſtimmt.
Zu dieſem Ende ſchickte Bruder Coing nach Morſchen
auf die Poſt, und beſtellte die Pferde.
Mittwochs Abends, alſo den Tag vor der Abreiſe, ſtieg
Stillings Schwermuth ſo hoch, daß er zu Eliſen ſagte:
Wenn die Qual der Verdammten in der Hoͤlle
auch nicht groͤßer iſt, als die meinige, ſo iſt ſie
groß genug!
Des folgenden Morgens kam der Poſtillon zu beſtimmter
Zeit, er hatte den Poſtwagen nach Rothenburg gefahren,
folglich brauchte er vier Pferde, die aber gegen alle Poſtord-
nungen ſehr munter und luſtig waren; er ſpannte ein, und
fuhr ledig durch die Fulda, Stilling, Eliſe, Maria,
die Kinder und der Bruder ließen ſich einen Schußweges
weiter oben in einem Nachen uͤberſetzen, mittlerweile kam der Po-
ſtillon jenſeits die Weiſe herauf, und hielt am gegenſeitigen Ufer.
Sie ſtiegen ein: Stilling ſaß hinten rechter Hand, neben
ihm Eliſe mit dem Malchen auf dem Schooß, gegen ihr
uͤber Maria, und gegen Stilling uͤber der Friedrich;
jetzt nahm Bruder Coing Abſchied und ging wieder zuruͤck;
ploͤtzlich klatſchte der Poſtillon, die vier raſchen Pferde gingen
los in vollem Trab, der Poſtillon drehte kurz, die vordern
Kutſchenraͤder faßten die Langwied, und ſchleuderten die Kutſche
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 550. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/558>, abgerufen am 25.11.2024.
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