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Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

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gegeben wurde, ja nicht über Straßburg zu reisen; aus
dieser Stadt rührte auch diese Warnung her, ein Freund hatte
deßfalls nach Basel geschrieben.

Dazu kam noch ein Umstand: ein gewisser gefährlicher
Mann drohte Stillingen in Basel; der Grund von
allem dem liegt in seinen Schriften, welche Vieles enthalten,
das einem revolutionssüchtigen Freigeist unerträglich ist. Mir
ist mit Gewißheit bekannt, daß es Leute gibt, die vor Zorn
die Zähne auf einander beißen, wenn nur Stillings Na-
men genannt wird; sonderbar! Stilling beißt bei keines
Menschen Namen! -- Freunde! auf welcher Seite ist nun
Wahrheit! -- Wahrlich! -- Wahrlich! nicht da, wo
gebissen wird
!

Bei allem dem ist es doch etwas Eigenes, das Stilling
nur zu gewissen Zeiten, und manchmal bei noch geringeren
Veranlassungen, eine solche unbeschreibliche Angst bekommt;
bei andern, weit größern Gefahren, ist er oft gar nicht furcht-
sam. Ich glaube, daß es Einwirkungen eines unsichtbaren
bösen Wesens, eines Satans-Engels sind, die Gott aus wei-
sen Ursachen dann und wann zuläßt; eine körperliche Dis-
position kann Veranlassung zu einer solchen feurigen Versu-
chung geben, allein das Ganze der Versuchung ist we-
der im Körper noch in der Seele gegründet; dieß kann aber
durch nichts anders, als durch eigene Erfahrung bewiesen wer-
den. Daß es aber solcher Sichtungen des Satans gibt, das
bezeugt die heilige Schrift.

Stillings Angst war am heftigsten zu Freiburg im
Breisgau, zu Offenburg und zu Appenweyer. Zu
Rastadt wurde sie erträglich, aber hier fing nun der Ma-
genkrampf an heftig zu rasen; Mittwochs, den 29. April,
fuhren sie des Morgens mit einem schlafenden Postillon und
zwei müden Pferden nach Karlsruhe; auf diesem Wege
war jener Magenkrampf fast unerträglich; Stilling sehnte
sich nach Ruhe; anfangs war er nicht Willens, zum Kur-
fürsten zu gehen, sondern sich lieber durch Ruhe zu erquicken;
indessen dachte er doch auch, da dieser große, weise und fromme
Fürst das Heimweh mit so vielem Beifall gelesen und ihm

gegeben wurde, ja nicht uͤber Straßburg zu reiſen; aus
dieſer Stadt ruͤhrte auch dieſe Warnung her, ein Freund hatte
deßfalls nach Baſel geſchrieben.

Dazu kam noch ein Umſtand: ein gewiſſer gefaͤhrlicher
Mann drohte Stillingen in Baſel; der Grund von
allem dem liegt in ſeinen Schriften, welche Vieles enthalten,
das einem revolutionsſuͤchtigen Freigeiſt unertraͤglich iſt. Mir
iſt mit Gewißheit bekannt, daß es Leute gibt, die vor Zorn
die Zaͤhne auf einander beißen, wenn nur Stillings Na-
men genannt wird; ſonderbar! Stilling beißt bei keines
Menſchen Namen! — Freunde! auf welcher Seite iſt nun
Wahrheit! — Wahrlich! — Wahrlich! nicht da, wo
gebiſſen wird
!

Bei allem dem iſt es doch etwas Eigenes, das Stilling
nur zu gewiſſen Zeiten, und manchmal bei noch geringeren
Veranlaſſungen, eine ſolche unbeſchreibliche Angſt bekommt;
bei andern, weit groͤßern Gefahren, iſt er oft gar nicht furcht-
ſam. Ich glaube, daß es Einwirkungen eines unſichtbaren
boͤſen Weſens, eines Satans-Engels ſind, die Gott aus wei-
ſen Urſachen dann und wann zulaͤßt; eine koͤrperliche Dis-
poſition kann Veranlaſſung zu einer ſolchen feurigen Verſu-
chung geben, allein das Ganze der Verſuchung iſt we-
der im Koͤrper noch in der Seele gegruͤndet; dieß kann aber
durch nichts anders, als durch eigene Erfahrung bewieſen wer-
den. Daß es aber ſolcher Sichtungen des Satans gibt, das
bezeugt die heilige Schrift.

Stillings Angſt war am heftigſten zu Freiburg im
Breisgau, zu Offenburg und zu Appenweyer. Zu
Raſtadt wurde ſie ertraͤglich, aber hier fing nun der Ma-
genkrampf an heftig zu raſen; Mittwochs, den 29. April,
fuhren ſie des Morgens mit einem ſchlafenden Poſtillon und
zwei muͤden Pferden nach Karlsruhe; auf dieſem Wege
war jener Magenkrampf faſt unertraͤglich; Stilling ſehnte
ſich nach Ruhe; anfangs war er nicht Willens, zum Kur-
fuͤrſten zu gehen, ſondern ſich lieber durch Ruhe zu erquicken;
indeſſen dachte er doch auch, da dieſer große, weiſe und fromme
Fuͤrſt das Heimweh mit ſo vielem Beifall geleſen und ihm

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[539/0547] gegeben wurde, ja nicht uͤber Straßburg zu reiſen; aus dieſer Stadt ruͤhrte auch dieſe Warnung her, ein Freund hatte deßfalls nach Baſel geſchrieben. Dazu kam noch ein Umſtand: ein gewiſſer gefaͤhrlicher Mann drohte Stillingen in Baſel; der Grund von allem dem liegt in ſeinen Schriften, welche Vieles enthalten, das einem revolutionsſuͤchtigen Freigeiſt unertraͤglich iſt. Mir iſt mit Gewißheit bekannt, daß es Leute gibt, die vor Zorn die Zaͤhne auf einander beißen, wenn nur Stillings Na- men genannt wird; ſonderbar! Stilling beißt bei keines Menſchen Namen! — Freunde! auf welcher Seite iſt nun Wahrheit! — Wahrlich! — Wahrlich! nicht da, wo gebiſſen wird! Bei allem dem iſt es doch etwas Eigenes, das Stilling nur zu gewiſſen Zeiten, und manchmal bei noch geringeren Veranlaſſungen, eine ſolche unbeſchreibliche Angſt bekommt; bei andern, weit groͤßern Gefahren, iſt er oft gar nicht furcht- ſam. Ich glaube, daß es Einwirkungen eines unſichtbaren boͤſen Weſens, eines Satans-Engels ſind, die Gott aus wei- ſen Urſachen dann und wann zulaͤßt; eine koͤrperliche Dis- poſition kann Veranlaſſung zu einer ſolchen feurigen Verſu- chung geben, allein das Ganze der Verſuchung iſt we- der im Koͤrper noch in der Seele gegruͤndet; dieß kann aber durch nichts anders, als durch eigene Erfahrung bewieſen wer- den. Daß es aber ſolcher Sichtungen des Satans gibt, das bezeugt die heilige Schrift. Stillings Angſt war am heftigſten zu Freiburg im Breisgau, zu Offenburg und zu Appenweyer. Zu Raſtadt wurde ſie ertraͤglich, aber hier fing nun der Ma- genkrampf an heftig zu raſen; Mittwochs, den 29. April, fuhren ſie des Morgens mit einem ſchlafenden Poſtillon und zwei muͤden Pferden nach Karlsruhe; auf dieſem Wege war jener Magenkrampf faſt unertraͤglich; Stilling ſehnte ſich nach Ruhe; anfangs war er nicht Willens, zum Kur- fuͤrſten zu gehen, ſondern ſich lieber durch Ruhe zu erquicken; indeſſen dachte er doch auch, da dieſer große, weiſe und fromme Fuͤrſt das Heimweh mit ſo vielem Beifall geleſen und ihm

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Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 539. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/547>, abgerufen am 17.06.2024.