unbeschreiblich, man muß sie sehen und hören, um eine rich- tige Vorstellung davon zu bekommen: der immerwährende Donner, das Zittern des Bodens, auf dem man steht, und die ungeheure Wassermasse, die sich milchweiß ungefähr 80 Schuh hoch mit unwiderstehlicher Gewalt den Felsen herab- wälzt, und brüllend in den weiten kochenden Kessel stürzt, und das in einer Breite von ein paar hundert Schritten -- das Alles zusammen gibt eine Vorstellung, in welcher der stolze Mensch zum Würmchen im Staube wird. Ueberhaupt hat das die Schweiz so an sich, daß sie der stolzen Schwe- ster Kunst ihre Obermacht zeigt, und sie unter ihre gewal- tige Hand demüthigt.
Am folgenden Tage, nämlich Osterdienstag Nachmittags, fuhren unsere Reisenden nach Winterthur; auf halbem Wege, in dem romantischen Flecken Andolfingen an der Thur, fanden sie den ehrwürdigen Freund, den Pfarrer Sul- zer, nebst ein Paar aus der Familie der Matrone, die Stil- ling hatte kommen lassen; sie waren ihnen entgegen gefah- ren, und empfingen sie auf's Zärtlichste und Herzlichste; so zusammen setzten sie nun ihre Reise nach Winterthur fort, wo sie des Abends in der Dämmerung ankamen.
Die Patientin, welche Stilling hatte kommen lassen, war die Wittwe Frey in der Harfe; sie hat zwei Söhne zu sich ins Haus verheirathet, mit diesen führt sie eine an- sehnliche Handlung. Hier wurde auch Stilling mit seiner Elise -- darf ich mich so ausdrücken? -- wie Engel Got- tes aufgenommen und behandelt.
Lieben Leser! verzeiht mir hier einen gerechten Herzeus- erguß, den ich unmöglich zurückhalten kann.
Es ist mir hier nicht möglich, mit Worten auszudrücken, was Stilling und Elise im Frey'schen Hause, in die- sem Vorhof des Himmels, genossen haben; allen inniggelieb- ten Gliedern der Frey'schen Familie werden Beide dereinst öffentlich vor allen Himmelsheeren danken und laut verkün- digen, was für Wohlthaten sie ihnen erzeigt haben; hier ist Zunge und Feder zu schwach dazu -- und der Herr wird hier und dort ihr Vergelter seyn! Elise schloß mit den
unbeſchreiblich, man muß ſie ſehen und hoͤren, um eine rich- tige Vorſtellung davon zu bekommen: der immerwaͤhrende Donner, das Zittern des Bodens, auf dem man ſteht, und die ungeheure Waſſermaſſe, die ſich milchweiß ungefaͤhr 80 Schuh hoch mit unwiderſtehlicher Gewalt den Felſen herab- waͤlzt, und bruͤllend in den weiten kochenden Keſſel ſtuͤrzt, und das in einer Breite von ein paar hundert Schritten — das Alles zuſammen gibt eine Vorſtellung, in welcher der ſtolze Menſch zum Wuͤrmchen im Staube wird. Ueberhaupt hat das die Schweiz ſo an ſich, daß ſie der ſtolzen Schwe- ſter Kunſt ihre Obermacht zeigt, und ſie unter ihre gewal- tige Hand demuͤthigt.
Am folgenden Tage, naͤmlich Oſterdienſtag Nachmittags, fuhren unſere Reiſenden nach Winterthur; auf halbem Wege, in dem romantiſchen Flecken Andolfingen an der Thur, fanden ſie den ehrwuͤrdigen Freund, den Pfarrer Sul- zer, nebſt ein Paar aus der Familie der Matrone, die Stil- ling hatte kommen laſſen; ſie waren ihnen entgegen gefah- ren, und empfingen ſie auf’s Zaͤrtlichſte und Herzlichſte; ſo zuſammen ſetzten ſie nun ihre Reiſe nach Winterthur fort, wo ſie des Abends in der Daͤmmerung ankamen.
Die Patientin, welche Stilling hatte kommen laſſen, war die Wittwe Frey in der Harfe; ſie hat zwei Soͤhne zu ſich ins Haus verheirathet, mit dieſen fuͤhrt ſie eine an- ſehnliche Handlung. Hier wurde auch Stilling mit ſeiner Eliſe — darf ich mich ſo ausdruͤcken? — wie Engel Got- tes aufgenommen und behandelt.
Lieben Leſer! verzeiht mir hier einen gerechten Herzeus- erguß, den ich unmoͤglich zuruͤckhalten kann.
Es iſt mir hier nicht moͤglich, mit Worten auszudruͤcken, was Stilling und Eliſe im Frey’ſchen Hauſe, in die- ſem Vorhof des Himmels, genoſſen haben; allen inniggelieb- ten Gliedern der Frey’ſchen Familie werden Beide dereinſt oͤffentlich vor allen Himmelsheeren danken und laut verkuͤn- digen, was fuͤr Wohlthaten ſie ihnen erzeigt haben; hier iſt Zunge und Feder zu ſchwach dazu — und der Herr wird hier und dort ihr Vergelter ſeyn! Eliſe ſchloß mit den
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unbeſchreiblich, man muß ſie ſehen und hoͤren, um eine rich-
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die ungeheure Waſſermaſſe, die ſich milchweiß ungefaͤhr 80
Schuh hoch mit unwiderſtehlicher Gewalt den Felſen herab-
waͤlzt, und bruͤllend in den weiten kochenden Keſſel ſtuͤrzt,
und das in einer Breite von ein paar hundert Schritten —
das Alles zuſammen gibt eine Vorſtellung, in welcher der
ſtolze Menſch zum Wuͤrmchen im Staube wird. Ueberhaupt
hat das die Schweiz ſo an ſich, daß ſie der ſtolzen Schwe-
ſter Kunſt ihre Obermacht zeigt, und ſie unter ihre gewal-
tige Hand demuͤthigt.
Am folgenden Tage, naͤmlich Oſterdienſtag Nachmittags,
fuhren unſere Reiſenden nach Winterthur; auf halbem
Wege, in dem romantiſchen Flecken Andolfingen an der
Thur, fanden ſie den ehrwuͤrdigen Freund, den Pfarrer Sul-
zer, nebſt ein Paar aus der Familie der Matrone, die Stil-
ling hatte kommen laſſen; ſie waren ihnen entgegen gefah-
ren, und empfingen ſie auf’s Zaͤrtlichſte und Herzlichſte; ſo
zuſammen ſetzten ſie nun ihre Reiſe nach Winterthur fort,
wo ſie des Abends in der Daͤmmerung ankamen.
Die Patientin, welche Stilling hatte kommen laſſen,
war die Wittwe Frey in der Harfe; ſie hat zwei Soͤhne
zu ſich ins Haus verheirathet, mit dieſen fuͤhrt ſie eine an-
ſehnliche Handlung. Hier wurde auch Stilling mit ſeiner
Eliſe — darf ich mich ſo ausdruͤcken? — wie Engel Got-
tes aufgenommen und behandelt.
Lieben Leſer! verzeiht mir hier einen gerechten Herzeus-
erguß, den ich unmoͤglich zuruͤckhalten kann.
Es iſt mir hier nicht moͤglich, mit Worten auszudruͤcken,
was Stilling und Eliſe im Frey’ſchen Hauſe, in die-
ſem Vorhof des Himmels, genoſſen haben; allen inniggelieb-
ten Gliedern der Frey’ſchen Familie werden Beide dereinſt
oͤffentlich vor allen Himmelsheeren danken und laut verkuͤn-
digen, was fuͤr Wohlthaten ſie ihnen erzeigt haben; hier iſt
Zunge und Feder zu ſchwach dazu — und der Herr wird
hier und dort ihr Vergelter ſeyn! Eliſe ſchloß mit den
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 532. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/540>, abgerufen am 25.11.2024.
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