seine nächste Blutsverwandtin, die Gräfin Louise von Witt- genstein-Berlenburg zum Carlsberg. Beide Müt- ter waren leibliche Schwestern, nämlich Gräfinnen Henckel von Donnersmark, und wahre Christinnen gewesen, die ihre Kinder vortrefflich und gottesfürchtig erzogen hatten. Diese beiden, in jedem Betracht edle Menschen, würdigten Stil- ling und Elise ihres vertrauten Umgangs, und sie waren Beiden in ihrer Familie, die Zeit ihres fünfjährigen Aufent- halts in Marburg in jeder Lage, und in jedem Betracht Engel des Trostes und der Hülfe. Dieser liebe Prinz und die huldvolle Gräfin wohnten da vom Sommer 1796 bis in den Herbst 1801.
Zu gleicher Zeit kam Stilling auch mit zwei abwesenden Fürsten in nähere Verhältnisse: der allgemein anerkannt vor- treffliche und christliche Kurfürst von Baden, schrieb zu Zei- ten an ihn, und der Prinz Karl von Hessen, ein wahrer und sehr erleuchteter Christ, trat mit ihm in eine ordentliche Korrespondenz, die noch fortdauert.
Nun ist es auch einmal Zeit, daß ich wieder an Vater Wilhelm Stilling gedenke und den Rest seiner Lebensge- schichte dieser mit einverleibe: seine zweite Heirath war nicht gesegnet gewesen, alles Ringens, Arbeitens und Sparens un- geachtet war er immer weiter zurückgekommen und in Schul- den versunken, und seine vier Kinder zweiter Ehe, drei Töch- ter und ein Sohn, alle grundbrave und ehrliche Leute, wur- den alle arm und unglücklich. Der alte Patriarch sahe sie alle um sich her -- er sah ihren Jammer, ohne ihnen helfen zu können. Stilling lebte indessen entfernt und wußte von dem allem wenig; daß es aber seinem Vater so gar übel ginge, davon wußte er ganz und gar nichts; Wilhelm hatte auch mehr als eine gegründete Ursache, seinem Sohn seine wahre Lage zu verhehlen, denn er hatte sich ehemals sehr oft gegen ihn geäußert: dafür, daß er sich von einem Kinde unterstützen ließe, wolle er lieber trocken Brod essen; -- besonders aber mochte ihm folgender Ge-
ſeine naͤchſte Blutsverwandtin, die Graͤfin Louiſe von Witt- genſtein-Berlenburg zum Carlsberg. Beide Muͤt- ter waren leibliche Schweſtern, naͤmlich Graͤfinnen Henckel von Donnersmark, und wahre Chriſtinnen geweſen, die ihre Kinder vortrefflich und gottesfuͤrchtig erzogen hatten. Dieſe beiden, in jedem Betracht edle Menſchen, wuͤrdigten Stil- ling und Eliſe ihres vertrauten Umgangs, und ſie waren Beiden in ihrer Familie, die Zeit ihres fuͤnfjaͤhrigen Aufent- halts in Marburg in jeder Lage, und in jedem Betracht Engel des Troſtes und der Huͤlfe. Dieſer liebe Prinz und die huldvolle Graͤfin wohnten da vom Sommer 1796 bis in den Herbſt 1801.
Zu gleicher Zeit kam Stilling auch mit zwei abweſenden Fuͤrſten in nähere Verhaͤltniſſe: der allgemein anerkannt vor- treffliche und chriſtliche Kurfuͤrſt von Baden, ſchrieb zu Zei- ten an ihn, und der Prinz Karl von Heſſen, ein wahrer und ſehr erleuchteter Chriſt, trat mit ihm in eine ordentliche Korreſpondenz, die noch fortdauert.
Nun iſt es auch einmal Zeit, daß ich wieder an Vater Wilhelm Stilling gedenke und den Reſt ſeiner Lebensge- ſchichte dieſer mit einverleibe: ſeine zweite Heirath war nicht geſegnet geweſen, alles Ringens, Arbeitens und Sparens un- geachtet war er immer weiter zuruͤckgekommen und in Schul- den verſunken, und ſeine vier Kinder zweiter Ehe, drei Toͤch- ter und ein Sohn, alle grundbrave und ehrliche Leute, wur- den alle arm und ungluͤcklich. Der alte Patriarch ſahe ſie alle um ſich her — er ſah ihren Jammer, ohne ihnen helfen zu koͤnnen. Stilling lebte indeſſen entfernt und wußte von dem allem wenig; daß es aber ſeinem Vater ſo gar uͤbel ginge, davon wußte er ganz und gar nichts; Wilhelm hatte auch mehr als eine gegruͤndete Urſache, ſeinem Sohn ſeine wahre Lage zu verhehlen, denn er hatte ſich ehemals ſehr oft gegen ihn geaͤußert: dafuͤr, daß er ſich von einem Kinde unterſtuͤtzen ließe, wolle er lieber trocken Brod eſſen; — beſonders aber mochte ihm folgender Ge-
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ſeine naͤchſte Blutsverwandtin, die Graͤfin Louiſe von Witt-
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von Donnersmark, und wahre Chriſtinnen geweſen, die
ihre Kinder vortrefflich und gottesfuͤrchtig erzogen hatten. Dieſe
beiden, in jedem Betracht edle Menſchen, wuͤrdigten Stil-
ling und Eliſe ihres vertrauten Umgangs, und ſie waren
Beiden in ihrer Familie, die Zeit ihres fuͤnfjaͤhrigen Aufent-
halts in Marburg in jeder Lage, und in jedem Betracht
Engel des Troſtes und der Huͤlfe. Dieſer liebe Prinz und
die huldvolle Graͤfin wohnten da vom Sommer 1796 bis in
den Herbſt 1801.
Zu gleicher Zeit kam Stilling auch mit zwei abweſenden
Fuͤrſten in nähere Verhaͤltniſſe: der allgemein anerkannt vor-
treffliche und chriſtliche Kurfuͤrſt von Baden, ſchrieb zu Zei-
ten an ihn, und der Prinz Karl von Heſſen, ein wahrer
und ſehr erleuchteter Chriſt, trat mit ihm in eine ordentliche
Korreſpondenz, die noch fortdauert.
Nun iſt es auch einmal Zeit, daß ich wieder an Vater
Wilhelm Stilling gedenke und den Reſt ſeiner Lebensge-
ſchichte dieſer mit einverleibe: ſeine zweite Heirath war nicht
geſegnet geweſen, alles Ringens, Arbeitens und Sparens un-
geachtet war er immer weiter zuruͤckgekommen und in Schul-
den verſunken, und ſeine vier Kinder zweiter Ehe, drei Toͤch-
ter und ein Sohn, alle grundbrave und ehrliche Leute, wur-
den alle arm und ungluͤcklich. Der alte Patriarch ſahe ſie
alle um ſich her — er ſah ihren Jammer, ohne ihnen helfen
zu koͤnnen. Stilling lebte indeſſen entfernt und wußte von
dem allem wenig; daß es aber ſeinem Vater ſo gar uͤbel
ginge, davon wußte er ganz und gar nichts; Wilhelm hatte
auch mehr als eine gegruͤndete Urſache, ſeinem Sohn ſeine
wahre Lage zu verhehlen, denn er hatte ſich ehemals ſehr oft
gegen ihn geaͤußert: dafuͤr, daß er ſich von einem
Kinde unterſtuͤtzen ließe, wolle er lieber trocken
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 499. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/507>, abgerufen am 22.11.2024.
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