Liebe Leser und Stillingsfreunde! Ihr könnt den Titel "Heinrich Stillings Lehrjahre" nehmen, wie ihr wollt. -- Er war bis daher selbst Lehrer und diente von der Pique auf; er fing als Dorfschulmeister zu Zellberg an, und endigte als Professor in Marburg. Aber er war auch Schüler oder Lehrjunge in der Werkstätte des größten Meisters; ob er nun Geselle werden könne, das wird sich bald zeigen -- weiter wird ers wohl nicht bringen, weil wir ja alle nur einen Meister haben, und auch nur haben können.
Stilling glaubte nun ganz fest, das Lehramt der Staats- wissenschaft sey der Beruf, zu welchem er von der Wiege an vor- und zubereitet worden; und Marburg sey auch der Ort, wo er bis an sein Ende leben und wirken sollte. Diese Ueberzeugung gab ihm eine innige Beruhigung, und er be- mühte sich, in seinem Amt Alles zu leisten, was die Kraft eines Menschen leisten kann; er schrieb sein großes und weit- läuftiges Lehrbuch der Staats-Polizei, seine Finanz- wissenschaft, das Camerale practicum, die Grund- lehre der Staatswirthschaft, Heinrich Stillings häusliches Leben, und sonst noch viele kleine Abhandlun- gen und Flugschriften mehr; wobei dann auch die Staar- und Augen-Kuren ununterbrochen fortgesetzt wurden. Er las täglich vier, zuweilen auch fünf Stunden Kollegien, und sein Briefwechsel wurde auch immer stärker, so daß er aus allen seinen Kräften arbeiten mußte, um seinen großen und schweren Wirkungskreis im Umschwang zu erhalten; doch wurde ihm Alles dadurch um Vieles erleichtert, daß er in Marburg lebte.
Stillings sämmtl. Schriften. I. Band. 29
Heinrich Stilling’s Lehrjahre.
Liebe Leſer und Stillingsfreunde! Ihr koͤnnt den Titel „Heinrich Stillings Lehrjahre“ nehmen, wie ihr wollt. — Er war bis daher ſelbſt Lehrer und diente von der Pique auf; er fing als Dorfſchulmeiſter zu Zellberg an, und endigte als Profeſſor in Marburg. Aber er war auch Schuͤler oder Lehrjunge in der Werkſtaͤtte des groͤßten Meiſters; ob er nun Geſelle werden koͤnne, das wird ſich bald zeigen — weiter wird ers wohl nicht bringen, weil wir ja alle nur einen Meiſter haben, und auch nur haben koͤnnen.
Stilling glaubte nun ganz feſt, das Lehramt der Staats- wiſſenſchaft ſey der Beruf, zu welchem er von der Wiege an vor- und zubereitet worden; und Marburg ſey auch der Ort, wo er bis an ſein Ende leben und wirken ſollte. Dieſe Ueberzeugung gab ihm eine innige Beruhigung, und er be- muͤhte ſich, in ſeinem Amt Alles zu leiſten, was die Kraft eines Menſchen leiſten kann; er ſchrieb ſein großes und weit- laͤuftiges Lehrbuch der Staats-Polizei, ſeine Finanz- wiſſenſchaft, das Camerale practicum, die Grund- lehre der Staatswirthſchaft, Heinrich Stillings haͤusliches Leben, und ſonſt noch viele kleine Abhandlun- gen und Flugſchriften mehr; wobei dann auch die Staar- und Augen-Kuren ununterbrochen fortgeſetzt wurden. Er las taͤglich vier, zuweilen auch fuͤnf Stunden Kollegien, und ſein Briefwechſel wurde auch immer ſtaͤrker, ſo daß er aus allen ſeinen Kraͤften arbeiten mußte, um ſeinen großen und ſchweren Wirkungskreis im Umſchwang zu erhalten; doch wurde ihm Alles dadurch um Vieles erleichtert, daß er in Marburg lebte.
Stillings ſämmtl. Schriften. I. Band. 29
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Heinrich Stilling’s Lehrjahre.
Liebe Leſer und Stillingsfreunde! Ihr koͤnnt den Titel
„Heinrich Stillings Lehrjahre“ nehmen, wie ihr
wollt. — Er war bis daher ſelbſt Lehrer und diente von
der Pique auf; er fing als Dorfſchulmeiſter zu Zellberg an,
und endigte als Profeſſor in Marburg. Aber er war auch
Schuͤler oder Lehrjunge in der Werkſtaͤtte des groͤßten
Meiſters; ob er nun Geſelle werden koͤnne, das wird ſich
bald zeigen — weiter wird ers wohl nicht bringen, weil wir ja
alle nur einen Meiſter haben, und auch nur haben koͤnnen.
Stilling glaubte nun ganz feſt, das Lehramt der Staats-
wiſſenſchaft ſey der Beruf, zu welchem er von der Wiege an
vor- und zubereitet worden; und Marburg ſey auch der
Ort, wo er bis an ſein Ende leben und wirken ſollte. Dieſe
Ueberzeugung gab ihm eine innige Beruhigung, und er be-
muͤhte ſich, in ſeinem Amt Alles zu leiſten, was die Kraft
eines Menſchen leiſten kann; er ſchrieb ſein großes und weit-
laͤuftiges Lehrbuch der Staats-Polizei, ſeine Finanz-
wiſſenſchaft, das Camerale practicum, die Grund-
lehre der Staatswirthſchaft, Heinrich Stillings
haͤusliches Leben, und ſonſt noch viele kleine Abhandlun-
gen und Flugſchriften mehr; wobei dann auch die Staar-
und Augen-Kuren ununterbrochen fortgeſetzt wurden. Er las
taͤglich vier, zuweilen auch fuͤnf Stunden Kollegien, und
ſein Briefwechſel wurde auch immer ſtaͤrker, ſo daß er aus
allen ſeinen Kraͤften arbeiten mußte, um ſeinen großen und
ſchweren Wirkungskreis im Umſchwang zu erhalten; doch
wurde ihm Alles dadurch um Vieles erleichtert, daß er in
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. [437]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/445>, abgerufen am 21.11.2024.
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