sicht in Acht zu nehmen habe; daher wurde er gewarnt, nicht zu viel von der Religion zu reden, sondern nur durch Recht- schaffenheit und gute Handlungen sein Licht leuchten zu lassen, denn in einem Lande, wo die katholische Religion die herr- schende sey, müsse man sehr vorsichtig seyn. Das Alles sahe Stilling ein und versprach daher heilig, Alles sehr wohl zu beobachten; indessen mußte er herzlich lachen: denn zu Schö- nenthal war er ein Freigeist, und hier nun ein Pietist -- so wenig Wahrheit enthalten die Urtheile der Menschen.
Nun ging die Reise in das waldigte und gebirgigte Austra- sien; ungeachtet der rauhen Jahrszeit und der entblätterten todten Natur staunte doch Stilling rechts und links die stei- len Gebirge und Felsen, die uralten Wälder und die allenthal- ben an den Klippen hangenden ruinirten alten Ritterwohnungen an, Alles sah ihm so vaterländisch aus; es war ihm wohl, und bald sahe er dort in der Ferne das waldumkränzte Rit- tersburg mit allen seinen alten Thürmen liegen; seine Brust erhob sich, und das Herz pochte stärker, je mehr er sich dem Schauplatz seiner künftigen Bestimmung näherte. Endlich fuhr er in der Abenddämmerung zum Thore hinein; so wie sich seine Kutsche links herum lenkte, und durch die enge Gasse fort- fuhr, hörte er eine Mannsstimme rechter Hand: Halt! rufen, der Kutscher hielt.
Ist der Herr Professor Stilling in der Kutsche? Ein dop- peltes Ja! erscholl aus dem Wagen; nun so steigen Sie aus, mein auserwählter, theurer Freund und Kollege! hier sollen Sie logiren.
Der sanfte, liebevolle und unerwartete Ton rührte Stil- ling und seine Gattin bis zu Thränen, sie stiegen aus, und fielen dem Herrn Professor Siegfried und seiner Ehefreun- din in die Arme; bald erschien auch der andere Kollege, der Herr Professor Stillenfeld, dessen eingezogener, stiller und ruhiger Charakter Stillings Aufmerksamkeit am mehresten auf sich zog; Stillenfeld war noch unverheirathet, Sieg- fried aber hatte schon ein Kind; dieser und seine Gattin waren vortreffliche Menschen, voller Wärme für die Religion und alles Gute, und zugleich menschenliebend bis zur Schwär-
ſicht in Acht zu nehmen habe; daher wurde er gewarnt, nicht zu viel von der Religion zu reden, ſondern nur durch Recht- ſchaffenheit und gute Handlungen ſein Licht leuchten zu laſſen, denn in einem Lande, wo die katholiſche Religion die herr- ſchende ſey, muͤſſe man ſehr vorſichtig ſeyn. Das Alles ſahe Stilling ein und verſprach daher heilig, Alles ſehr wohl zu beobachten; indeſſen mußte er herzlich lachen: denn zu Schoͤ- nenthal war er ein Freigeiſt, und hier nun ein Pietiſt — ſo wenig Wahrheit enthalten die Urtheile der Menſchen.
Nun ging die Reiſe in das waldigte und gebirgigte Auſtra- ſien; ungeachtet der rauhen Jahrszeit und der entblaͤtterten todten Natur ſtaunte doch Stilling rechts und links die ſtei- len Gebirge und Felſen, die uralten Waͤlder und die allenthal- ben an den Klippen hangenden ruinirten alten Ritterwohnungen an, Alles ſah ihm ſo vaterlaͤndiſch aus; es war ihm wohl, und bald ſahe er dort in der Ferne das waldumkraͤnzte Rit- tersburg mit allen ſeinen alten Thuͤrmen liegen; ſeine Bruſt erhob ſich, und das Herz pochte ſtaͤrker, je mehr er ſich dem Schauplatz ſeiner kuͤnftigen Beſtimmung naͤherte. Endlich fuhr er in der Abenddaͤmmerung zum Thore hinein; ſo wie ſich ſeine Kutſche links herum lenkte, und durch die enge Gaſſe fort- fuhr, hoͤrte er eine Mannsſtimme rechter Hand: Halt! rufen, der Kutſcher hielt.
Iſt der Herr Profeſſor Stilling in der Kutſche? Ein dop- peltes Ja! erſcholl aus dem Wagen; nun ſo ſteigen Sie aus, mein auserwaͤhlter, theurer Freund und Kollege! hier ſollen Sie logiren.
Der ſanfte, liebevolle und unerwartete Ton ruͤhrte Stil- ling und ſeine Gattin bis zu Thraͤnen, ſie ſtiegen aus, und fielen dem Herrn Profeſſor Siegfried und ſeiner Ehefreun- din in die Arme; bald erſchien auch der andere Kollege, der Herr Profeſſor Stillenfeld, deſſen eingezogener, ſtiller und ruhiger Charakter Stillings Aufmerkſamkeit am mehreſten auf ſich zog; Stillenfeld war noch unverheirathet, Sieg- fried aber hatte ſchon ein Kind; dieſer und ſeine Gattin waren vortreffliche Menſchen, voller Waͤrme fuͤr die Religion und alles Gute, und zugleich menſchenliebend bis zur Schwaͤr-
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ſicht in Acht zu nehmen habe; daher wurde er gewarnt, nicht
zu viel von der Religion zu reden, ſondern nur durch Recht-
ſchaffenheit und gute Handlungen ſein Licht leuchten zu laſſen,
denn in einem Lande, wo die katholiſche Religion die herr-
ſchende ſey, muͤſſe man ſehr vorſichtig ſeyn. Das Alles ſahe
Stilling ein und verſprach daher heilig, Alles ſehr wohl zu
beobachten; indeſſen mußte er herzlich lachen: denn zu Schoͤ-
nenthal war er ein Freigeiſt, und hier nun ein Pietiſt — ſo
wenig Wahrheit enthalten die Urtheile der Menſchen.
Nun ging die Reiſe in das waldigte und gebirgigte Auſtra-
ſien; ungeachtet der rauhen Jahrszeit und der entblaͤtterten
todten Natur ſtaunte doch Stilling rechts und links die ſtei-
len Gebirge und Felſen, die uralten Waͤlder und die allenthal-
ben an den Klippen hangenden ruinirten alten Ritterwohnungen
an, Alles ſah ihm ſo vaterlaͤndiſch aus; es war ihm wohl,
und bald ſahe er dort in der Ferne das waldumkraͤnzte Rit-
tersburg mit allen ſeinen alten Thuͤrmen liegen; ſeine Bruſt
erhob ſich, und das Herz pochte ſtaͤrker, je mehr er ſich dem
Schauplatz ſeiner kuͤnftigen Beſtimmung naͤherte. Endlich fuhr
er in der Abenddaͤmmerung zum Thore hinein; ſo wie ſich
ſeine Kutſche links herum lenkte, und durch die enge Gaſſe fort-
fuhr, hoͤrte er eine Mannsſtimme rechter Hand: Halt! rufen,
der Kutſcher hielt.
Iſt der Herr Profeſſor Stilling in der Kutſche? Ein dop-
peltes Ja! erſcholl aus dem Wagen; nun ſo ſteigen Sie aus,
mein auserwaͤhlter, theurer Freund und Kollege! hier ſollen
Sie logiren.
Der ſanfte, liebevolle und unerwartete Ton ruͤhrte Stil-
ling und ſeine Gattin bis zu Thraͤnen, ſie ſtiegen aus, und
fielen dem Herrn Profeſſor Siegfried und ſeiner Ehefreun-
din in die Arme; bald erſchien auch der andere Kollege, der
Herr Profeſſor Stillenfeld, deſſen eingezogener, ſtiller und
ruhiger Charakter Stillings Aufmerkſamkeit am mehreſten
auf ſich zog; Stillenfeld war noch unverheirathet, Sieg-
fried aber hatte ſchon ein Kind; dieſer und ſeine Gattin
waren vortreffliche Menſchen, voller Waͤrme fuͤr die Religion
und alles Gute, und zugleich menſchenliebend bis zur Schwaͤr-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/377>, abgerufen am 24.11.2024.
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