lich, daß viele meine Leser gegen diesen Ort überhaupt einen widrigen Eindruck bekommen; ich muß selbst gestehen, daß ich mich dieses Eindrucks nicht erwehren kann, das trifft aber die wenigen Edlen nicht, die dort -- selbst unter dem Rin- gen nach Reichthum seufzen, oder doch -- neben ihrem Be- ruf auch die hohe Empfindung nähren, die wahre Gottes- und Menschenliebe immer zu unzertrennlichen Gefährten hat. Diese Schönenthaler Bürger können mir also nicht verargen, daß ich die Wahrheit schreibe; um ihretwillen segnet Gott diesen blühenden Ort, und es gereicht ihnen zur Ehre vor Gott und Menschen, daß sie unter so vielen Versuchungen Muth und Glauben behalten, und sich nicht vom Strom hin- reißen lassen.
Vorzüglich werden aber die dortigen Pietisten das Wehe über mich ausschreien, daß ich sie so öffentlich darstelle, wie sie sind -- auch dieß trifft nur die unter ihnen, die es verdient haben, warum hängen sie auch den Schild der Religion und Gottesfurcht aus, und thun dann nicht, was ihnen Religion und Gottesfurcht gebent? -- In unsern Zeiten, da das Chri- stenthum von allen Seiten bekämpft und der Lästerung aus- gesetzt ist, muß der rechtschaffene Verehrer der Religion wir- ken und schweigen, ausser wo er reden muß. Doch, was halte ich mich mit Entschuldigung auf? Der Herr wirds sehen und gerecht richten!
Ich habe lange des Herrn Friedenbergs und seiner Fa- milie nicht gedacht, nicht erzählt, wie sich dieser edle Mann mit den Seinigen bei Stillings Rufe nach Rittersburg betrug.
Friedenberg war Fabrikant und Kaufmann, er, seine Frau und Kinder waren äußerst fleißig, sparsam und thätig, ihre Anhänglichkeit an die Religion hatten sie vor jeder Ver- schwendung und vor allen Lustbarkeiten der großen Welt bewahrt; er hatte mit Nichts angefangen, und war doch unter dem gött- lichen Segen zu einem zwar nicht reichen, aber doch wohlha- benden Mann geworden; daher hatte sich eine Gesinnung bei ihm und den Seinigen herrschend gemacht, die Stillingen nicht günstig war. Sie hatten keinen Begriff von dem Charak-
lich, daß viele meine Leſer gegen dieſen Ort uͤberhaupt einen widrigen Eindruck bekommen; ich muß ſelbſt geſtehen, daß ich mich dieſes Eindrucks nicht erwehren kann, das trifft aber die wenigen Edlen nicht, die dort — ſelbſt unter dem Rin- gen nach Reichthum ſeufzen, oder doch — neben ihrem Be- ruf auch die hohe Empfindung naͤhren, die wahre Gottes- und Menſchenliebe immer zu unzertrennlichen Gefaͤhrten hat. Dieſe Schoͤnenthaler Buͤrger koͤnnen mir alſo nicht verargen, daß ich die Wahrheit ſchreibe; um ihretwillen ſegnet Gott dieſen bluͤhenden Ort, und es gereicht ihnen zur Ehre vor Gott und Menſchen, daß ſie unter ſo vielen Verſuchungen Muth und Glauben behalten, und ſich nicht vom Strom hin- reißen laſſen.
Vorzuͤglich werden aber die dortigen Pietiſten das Wehe uͤber mich ausſchreien, daß ich ſie ſo oͤffentlich darſtelle, wie ſie ſind — auch dieß trifft nur die unter ihnen, die es verdient haben, warum haͤngen ſie auch den Schild der Religion und Gottesfurcht aus, und thun dann nicht, was ihnen Religion und Gottesfurcht gebent? — In unſern Zeiten, da das Chri- ſtenthum von allen Seiten bekaͤmpft und der Laͤſterung aus- geſetzt iſt, muß der rechtſchaffene Verehrer der Religion wir- ken und ſchweigen, auſſer wo er reden muß. Doch, was halte ich mich mit Entſchuldigung auf? Der Herr wirds ſehen und gerecht richten!
Ich habe lange des Herrn Friedenbergs und ſeiner Fa- milie nicht gedacht, nicht erzaͤhlt, wie ſich dieſer edle Mann mit den Seinigen bei Stillings Rufe nach Rittersburg betrug.
Friedenberg war Fabrikant und Kaufmann, er, ſeine Frau und Kinder waren aͤußerſt fleißig, ſparſam und thaͤtig, ihre Anhaͤnglichkeit an die Religion hatten ſie vor jeder Ver- ſchwendung und vor allen Luſtbarkeiten der großen Welt bewahrt; er hatte mit Nichts angefangen, und war doch unter dem goͤtt- lichen Segen zu einem zwar nicht reichen, aber doch wohlha- benden Mann geworden; daher hatte ſich eine Geſinnung bei ihm und den Seinigen herrſchend gemacht, die Stillingen nicht guͤnſtig war. Sie hatten keinen Begriff von dem Charak-
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lich, daß viele meine Leſer gegen dieſen Ort uͤberhaupt einen
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die wenigen Edlen nicht, die dort — ſelbſt unter dem Rin-
gen nach Reichthum ſeufzen, oder doch — neben ihrem Be-
ruf auch die hohe Empfindung naͤhren, die wahre Gottes-
und Menſchenliebe immer zu unzertrennlichen Gefaͤhrten hat.
Dieſe Schoͤnenthaler Buͤrger koͤnnen mir alſo nicht verargen,
daß ich die Wahrheit ſchreibe; um ihretwillen ſegnet Gott
dieſen bluͤhenden Ort, und es gereicht ihnen zur Ehre vor
Gott und Menſchen, daß ſie unter ſo vielen Verſuchungen
Muth und Glauben behalten, und ſich nicht vom Strom hin-
reißen laſſen.
Vorzuͤglich werden aber die dortigen Pietiſten das Wehe
uͤber mich ausſchreien, daß ich ſie ſo oͤffentlich darſtelle, wie ſie
ſind — auch dieß trifft nur die unter ihnen, die es verdient
haben, warum haͤngen ſie auch den Schild der Religion und
Gottesfurcht aus, und thun dann nicht, was ihnen Religion
und Gottesfurcht gebent? — In unſern Zeiten, da das Chri-
ſtenthum von allen Seiten bekaͤmpft und der Laͤſterung aus-
geſetzt iſt, muß der rechtſchaffene Verehrer der Religion wir-
ken und ſchweigen, auſſer wo er reden muß. Doch, was
halte ich mich mit Entſchuldigung auf? Der Herr wirds ſehen
und gerecht richten!
Ich habe lange des Herrn Friedenbergs und ſeiner Fa-
milie nicht gedacht, nicht erzaͤhlt, wie ſich dieſer edle Mann
mit den Seinigen bei Stillings Rufe nach Rittersburg
betrug.
Friedenberg war Fabrikant und Kaufmann, er, ſeine
Frau und Kinder waren aͤußerſt fleißig, ſparſam und thaͤtig,
ihre Anhaͤnglichkeit an die Religion hatten ſie vor jeder Ver-
ſchwendung und vor allen Luſtbarkeiten der großen Welt bewahrt;
er hatte mit Nichts angefangen, und war doch unter dem goͤtt-
lichen Segen zu einem zwar nicht reichen, aber doch wohlha-
benden Mann geworden; daher hatte ſich eine Geſinnung bei
ihm und den Seinigen herrſchend gemacht, die Stillingen
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/373>, abgerufen am 28.11.2024.
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