praktischen Medizin überzugehen, und Alles zu dulden, was die Vorsehung über ihn verhängen würde. Nun fing er wie- der an auszugehen, Freunde und Bekannte zu besuchen, und ihnen sein Unglück zu erzählen; seine Praxis spann sich wieder an, und es hatte das Ansehen, als wenn's ihm besser gehen sollte, wie vorher. Er ergab sich also ganz und war ruhig.
Den Kennern der göttlichen Wege wird ohne mein Erin- nern bekannt seyn, daß dieß Alles genau Methode der Vor- sehung ist: Stilling war mit Leidenschaft und unreiner Begierde dem Ziel entgegen gelaufen, es hatte sich Stolz, Eitelkeit, und wer weiß nicht was alles, mit eingemischt, in dieser Verfassung wäre er mit brausendem Empordrang nach Rittersburg gekommen, und gewiß nicht glücklich gewesen. Es ist Maxime der ewigen Liebe, daß sie ihre Zöglinge ge- schmeidig und ganz in ihren Willen gelassen macht, ehe sie weiter geht. Für jetzt glaubte Stilling also fest, er solle und müsse Arzt bleiben, und seine Gelassenheit ging so weit, daß er die Vokation sogar nicht mehr wünschte, sondern ganz gleichgültig war. Gerade so gings ihm auch ehemals, als ihm sein Handwerk so zuwider war; er eilte mit Ungestümm von Schauberg weg und zu Herrn Hochberg; wie er- bärmlich es ihm da erging, das hab ich in seiner Wander- schaft beschrieben! Nun kam er zum seligen Meister Isaak, war ruhig und wollte gern Handwerksmann bleiben, so daß ihn Herr Spanier aus seinem Stand herausnöthigen mußte.
Die Schönenthaler bliesen indessen wieder wacker Allarm, denn nun war es ausgemacht, daß die ganze Sache Stil- lings Erfindung, und blos aus Eitelkeit ersonnen gewesen war; das focht ihn aber wenig an, die Gewohnheit hatte ihn abgehärtet, er sah und hörte so etwas nicht mehr; tief erge- ben in Gottes Willen, lief er vom Morgen früh bis des Abends spät, zwischen seinen Kranken, und Christine rüstete sich auf den Winter, indem sie, nach ihrer Gewohnheit, aller- hand Gemüse einmachte, das Haus ausweißen und repariren ließ, u. s. w.
Nun kam acht Tage vor Michaelis plötzlich und uner- wartet seine Vokation; ruhig und ganz ohne Ungestümm em-
praktiſchen Medizin uͤberzugehen, und Alles zu dulden, was die Vorſehung uͤber ihn verhaͤngen wuͤrde. Nun fing er wie- der an auszugehen, Freunde und Bekannte zu beſuchen, und ihnen ſein Ungluͤck zu erzaͤhlen; ſeine Praxis ſpann ſich wieder an, und es hatte das Anſehen, als wenn’s ihm beſſer gehen ſollte, wie vorher. Er ergab ſich alſo ganz und war ruhig.
Den Kennern der goͤttlichen Wege wird ohne mein Erin- nern bekannt ſeyn, daß dieß Alles genau Methode der Vor- ſehung iſt: Stilling war mit Leidenſchaft und unreiner Begierde dem Ziel entgegen gelaufen, es hatte ſich Stolz, Eitelkeit, und wer weiß nicht was alles, mit eingemiſcht, in dieſer Verfaſſung waͤre er mit brauſendem Empordrang nach Rittersburg gekommen, und gewiß nicht gluͤcklich geweſen. Es iſt Maxime der ewigen Liebe, daß ſie ihre Zoͤglinge ge- ſchmeidig und ganz in ihren Willen gelaſſen macht, ehe ſie weiter geht. Fuͤr jetzt glaubte Stilling alſo feſt, er ſolle und muͤſſe Arzt bleiben, und ſeine Gelaſſenheit ging ſo weit, daß er die Vokation ſogar nicht mehr wuͤnſchte, ſondern ganz gleichguͤltig war. Gerade ſo gings ihm auch ehemals, als ihm ſein Handwerk ſo zuwider war; er eilte mit Ungeſtuͤmm von Schauberg weg und zu Herrn Hochberg; wie er- baͤrmlich es ihm da erging, das hab ich in ſeiner Wander- ſchaft beſchrieben! Nun kam er zum ſeligen Meiſter Iſaak, war ruhig und wollte gern Handwerksmann bleiben, ſo daß ihn Herr Spanier aus ſeinem Stand herausnoͤthigen mußte.
Die Schoͤnenthaler blieſen indeſſen wieder wacker Allarm, denn nun war es ausgemacht, daß die ganze Sache Stil- lings Erfindung, und blos aus Eitelkeit erſonnen geweſen war; das focht ihn aber wenig an, die Gewohnheit hatte ihn abgehaͤrtet, er ſah und hoͤrte ſo etwas nicht mehr; tief erge- ben in Gottes Willen, lief er vom Morgen fruͤh bis des Abends ſpaͤt, zwiſchen ſeinen Kranken, und Chriſtine ruͤſtete ſich auf den Winter, indem ſie, nach ihrer Gewohnheit, aller- hand Gemuͤſe einmachte, das Haus ausweißen und repariren ließ, u. ſ. w.
Nun kam acht Tage vor Michaelis ploͤtzlich und uner- wartet ſeine Vokation; ruhig und ganz ohne Ungeſtuͤmm em-
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praktiſchen Medizin uͤberzugehen, und Alles zu dulden, was
die Vorſehung uͤber ihn verhaͤngen wuͤrde. Nun fing er wie-
der an auszugehen, Freunde und Bekannte zu beſuchen, und
ihnen ſein Ungluͤck zu erzaͤhlen; ſeine Praxis ſpann ſich wieder
an, und es hatte das Anſehen, als wenn’s ihm beſſer gehen
ſollte, wie vorher. Er ergab ſich alſo ganz und war ruhig.
Den Kennern der goͤttlichen Wege wird ohne mein Erin-
nern bekannt ſeyn, daß dieß Alles genau Methode der Vor-
ſehung iſt: Stilling war mit Leidenſchaft und unreiner
Begierde dem Ziel entgegen gelaufen, es hatte ſich Stolz,
Eitelkeit, und wer weiß nicht was alles, mit eingemiſcht,
in dieſer Verfaſſung waͤre er mit brauſendem Empordrang
nach Rittersburg gekommen, und gewiß nicht gluͤcklich geweſen.
Es iſt Maxime der ewigen Liebe, daß ſie ihre Zoͤglinge ge-
ſchmeidig und ganz in ihren Willen gelaſſen macht, ehe ſie
weiter geht. Fuͤr jetzt glaubte Stilling alſo feſt, er ſolle
und muͤſſe Arzt bleiben, und ſeine Gelaſſenheit ging ſo weit,
daß er die Vokation ſogar nicht mehr wuͤnſchte, ſondern ganz
gleichguͤltig war. Gerade ſo gings ihm auch ehemals, als
ihm ſein Handwerk ſo zuwider war; er eilte mit Ungeſtuͤmm
von Schauberg weg und zu Herrn Hochberg; wie er-
baͤrmlich es ihm da erging, das hab ich in ſeiner Wander-
ſchaft beſchrieben! Nun kam er zum ſeligen Meiſter Iſaak,
war ruhig und wollte gern Handwerksmann bleiben, ſo daß
ihn Herr Spanier aus ſeinem Stand herausnoͤthigen mußte.
Die Schoͤnenthaler blieſen indeſſen wieder wacker Allarm,
denn nun war es ausgemacht, daß die ganze Sache Stil-
lings Erfindung, und blos aus Eitelkeit erſonnen geweſen
war; das focht ihn aber wenig an, die Gewohnheit hatte ihn
abgehaͤrtet, er ſah und hoͤrte ſo etwas nicht mehr; tief erge-
ben in Gottes Willen, lief er vom Morgen fruͤh bis des
Abends ſpaͤt, zwiſchen ſeinen Kranken, und Chriſtine ruͤſtete
ſich auf den Winter, indem ſie, nach ihrer Gewohnheit, aller-
hand Gemuͤſe einmachte, das Haus ausweißen und repariren
ließ, u. ſ. w.
Nun kam acht Tage vor Michaelis ploͤtzlich und uner-
wartet ſeine Vokation; ruhig und ganz ohne Ungeſtuͤmm em-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/366>, abgerufen am 24.11.2024.
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