Herr R ... stand, sah ihn starr an, und versetzte: "Wie kommen Sie denn doch um Gottes Willen zurecht?"
Stilling antwortete: Herr Troost hat mir schon gelie- hen. "Hören Sie, fuhr Herr R ... fort: der hat sein Geld selber nöthig. Ich will Ihnen Geld vorschießen, so viel Sie brauchen, wenn Sie dann Wechsel bekommen, so geben Sie mir nur selbige, auf daß Sie keine Unruhe mit dem Verkauf haben mögen. Brauchen Sie auch wohl jetzt etwas Geld?" Stil- ling konnte sich kaum enthalten, daß er nicht laut rief, doch hielt er sich an, und ließ sich nichts merken. Ja! sagte er, ich habe diesen Abend sechs Louisd'or nöthig, und ich war verlegen.
Herr R ... entsetzte sich, und erwiederte: "Ja, das glaub ich! Nun seh ich: Gott hat mich zu Ihrer Hülfe hergesandt," und ging zur Thür hinaus.
Stilling wars nun wie dem Daniel im Löwengraben, da ihm Habacuc die Speise brachte; er versank ganz von Empfindung, und wurde kaum gewahr, daß der Herr R ... wieder hereintrat. Dieser vortreffliche Mann brachte acht Louis- d'or, zählte sie ihm dar, und sagte: "Da haben Sie noch etwas übrig, und wenn das all ist, so fordern Sie mehr."
Stilling durfte seinen herzlichen Dank nicht ganz auslas- sen, um sich nicht allzusehr bloß zu geben. Nun empfahl sich der edle Mann, und ging fort.
In dem Kreis, worin sich Stilling jetzt befand, hatte er täglich Versuchungen genug, ein Religionszweifler zu werden. Er hörte alle Tage neue Gründe gegen die Bibel, gegen das Christenthum, und gegen die Grundsätze der christlichen Religion. Alle seine Beweise, die er jemals gesammelt, und die ihn im- mer beruhigt hatten, waren nicht hinlänglich mehr, seine strenge Vernunft zu beruhigen; bloß diese Glaubensproben, deren er in seiner Führung schon so viel erfahren hatte, machten ihn ganz unüberwindlich. Er schloß also:
"Derjenige, der augenscheinlich das Gebet der Menschen er- hört, und ihre Schicksale wunderbarer Weise und sichtbarlich lenkt, muß unstreitig wahrer Gott, und seine Lehre Gottes Wort seyn.
"Nun hab' ich aber von jeher Jesum Christum als mei-
Herr R … ſtand, ſah ihn ſtarr an, und verſetzte: „Wie kommen Sie denn doch um Gottes Willen zurecht?“
Stilling antwortete: Herr Trooſt hat mir ſchon gelie- hen. „Hoͤren Sie, fuhr Herr R … fort: der hat ſein Geld ſelber noͤthig. Ich will Ihnen Geld vorſchießen, ſo viel Sie brauchen, wenn Sie dann Wechſel bekommen, ſo geben Sie mir nur ſelbige, auf daß Sie keine Unruhe mit dem Verkauf haben moͤgen. Brauchen Sie auch wohl jetzt etwas Geld?“ Stil- ling konnte ſich kaum enthalten, daß er nicht laut rief, doch hielt er ſich an, und ließ ſich nichts merken. Ja! ſagte er, ich habe dieſen Abend ſechs Louisd’or noͤthig, und ich war verlegen.
Herr R … entſetzte ſich, und erwiederte: „Ja, das glaub ich! Nun ſeh ich: Gott hat mich zu Ihrer Huͤlfe hergeſandt,“ und ging zur Thuͤr hinaus.
Stilling wars nun wie dem Daniel im Loͤwengraben, da ihm Habacuc die Speiſe brachte; er verſank ganz von Empfindung, und wurde kaum gewahr, daß der Herr R … wieder hereintrat. Dieſer vortreffliche Mann brachte acht Louis- d’or, zaͤhlte ſie ihm dar, und ſagte: „Da haben Sie noch etwas uͤbrig, und wenn das all iſt, ſo fordern Sie mehr.“
Stilling durfte ſeinen herzlichen Dank nicht ganz auslaſ- ſen, um ſich nicht allzuſehr bloß zu geben. Nun empfahl ſich der edle Mann, und ging fort.
In dem Kreis, worin ſich Stilling jetzt befand, hatte er taͤglich Verſuchungen genug, ein Religionszweifler zu werden. Er hoͤrte alle Tage neue Gruͤnde gegen die Bibel, gegen das Chriſtenthum, und gegen die Grundſaͤtze der chriſtlichen Religion. Alle ſeine Beweiſe, die er jemals geſammelt, und die ihn im- mer beruhigt hatten, waren nicht hinlaͤnglich mehr, ſeine ſtrenge Vernunft zu beruhigen; bloß dieſe Glaubensproben, deren er in ſeiner Fuͤhrung ſchon ſo viel erfahren hatte, machten ihn ganz unuͤberwindlich. Er ſchloß alſo:
„Derjenige, der augenſcheinlich das Gebet der Menſchen er- hoͤrt, und ihre Schickſale wunderbarer Weiſe und ſichtbarlich lenkt, muß unſtreitig wahrer Gott, und ſeine Lehre Gottes Wort ſeyn.
„Nun hab’ ich aber von jeher Jeſum Chriſtum als mei-
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Herr R … ſtand, ſah ihn ſtarr an, und verſetzte: „Wie
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Stilling antwortete: Herr Trooſt hat mir ſchon gelie-
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ſelber noͤthig. Ich will Ihnen Geld vorſchießen, ſo viel Sie
brauchen, wenn Sie dann Wechſel bekommen, ſo geben Sie mir
nur ſelbige, auf daß Sie keine Unruhe mit dem Verkauf haben
moͤgen. Brauchen Sie auch wohl jetzt etwas Geld?“ Stil-
ling konnte ſich kaum enthalten, daß er nicht laut rief, doch
hielt er ſich an, und ließ ſich nichts merken. Ja! ſagte er, ich
habe dieſen Abend ſechs Louisd’or noͤthig, und ich war verlegen.
Herr R … entſetzte ſich, und erwiederte: „Ja, das glaub
ich! Nun ſeh ich: Gott hat mich zu Ihrer Huͤlfe hergeſandt,“
und ging zur Thuͤr hinaus.
Stilling wars nun wie dem Daniel im Loͤwengraben,
da ihm Habacuc die Speiſe brachte; er verſank ganz von
Empfindung, und wurde kaum gewahr, daß der Herr R …
wieder hereintrat. Dieſer vortreffliche Mann brachte acht Louis-
d’or, zaͤhlte ſie ihm dar, und ſagte: „Da haben Sie noch etwas
uͤbrig, und wenn das all iſt, ſo fordern Sie mehr.“
Stilling durfte ſeinen herzlichen Dank nicht ganz auslaſ-
ſen, um ſich nicht allzuſehr bloß zu geben. Nun empfahl ſich
der edle Mann, und ging fort.
In dem Kreis, worin ſich Stilling jetzt befand, hatte
er taͤglich Verſuchungen genug, ein Religionszweifler zu werden.
Er hoͤrte alle Tage neue Gruͤnde gegen die Bibel, gegen das
Chriſtenthum, und gegen die Grundſaͤtze der chriſtlichen Religion.
Alle ſeine Beweiſe, die er jemals geſammelt, und die ihn im-
mer beruhigt hatten, waren nicht hinlaͤnglich mehr, ſeine ſtrenge
Vernunft zu beruhigen; bloß dieſe Glaubensproben, deren
er in ſeiner Fuͤhrung ſchon ſo viel erfahren hatte, machten ihn
ganz unuͤberwindlich. Er ſchloß alſo:
„Derjenige, der augenſcheinlich das Gebet der Menſchen er-
hoͤrt, und ihre Schickſale wunderbarer Weiſe und ſichtbarlich
lenkt, muß unſtreitig wahrer Gott, und ſeine Lehre Gottes
Wort ſeyn.
„Nun hab’ ich aber von jeher Jeſum Chriſtum als mei-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/282>, abgerufen am 25.11.2024.
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