Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

mein Engel! Der Herr stärke und erhalte Dich im Segen und
Wohlergehen, bis wir uns wieder sehen!" -- und so lief er
zur Thür hinaus. Nun letzte er sich mit einem Jeden, lief
fort, und weinte sich unterwegs satt. Der ältere Bruder sei-
ner Geliebten begleitete ihn bis Schönenthal. Nun kehrte
auch dieser traurig um, und Stilling begab sich zu seinen
Reisegefährten.

Ich will mich mit der Reisegeschichte nach Frankfurt
weiter nicht aufhalten. Sie kamen alle glücklich daselbst an,
außer daß sie in der Gegend von Ellefeld auf dem Rhein
einen heftigen Schrecken ausgestanden hatten.

Vierzig Reichsthaler waren Stillings ganze Habseligkeit ge-
wesen, wie er von Rasenheim weggereist war. Nun muß-
ten sie sich eilf Tage in Frankfurt aufhalten und auf Ge-
legenheit warten, besonders auch weil Herr Troost nicht eher
fortkommen konnte; daher schmolz sein Geld so zusammen,
daß er zwei Tage vor seiner Abreise nach Straßburg noch
einen einzelnen Reichsthaler hatte, und dieser war sein Vor-
rath, den er in der Welt wußte. Er entdeckte Niemand et-
was, sondern wartete auf den Wink des himmlischen Vaters.
Doch fand er bei allem seinem Muth nirgends recht Ruhe, er
spazierte umher, und betete innerlich zu Gott; indessen gerieth
er auf den Römerberg, daselbst begegnete ihm ein Schönen-
thaler
Kaufmann, der ihn wohl kannte, und auch sein Freund
war; diesen will ich Liebmann nennen.

Herr Liebmann also grüßte ihn freundlich, und fragte,
wie's ihm ginge? Er antwortete: Recht gut! Das freut mich,
versetzte Jener: Kommen Sie diesen Abend auf mein Zimmer,
und speisen Sie mit mir, was ich habe! Stilling versprach
das. Nun zeigte ihm Herr Liebmann, wo er logirte.

Des Abends ging er an den bestimmten Ort. Nach dem
Essen fing Herr Liebmann an: Sagen Sie mir doch, mein
Freund! wo bekommen Sie Geld her zum Studieren? Stil-
ling
lächelte, und antwortete: "Ich habe einen reichen Va-
ter im Himmel, der wird mich versorgen." Herr Liebmann
sah ihn an, und erwiederte: Wie viel haben Sie noch? Stil-
ling versetzte: "Einen Reichsthaler, -- und das ist Alles!"

mein Engel! Der Herr ſtaͤrke und erhalte Dich im Segen und
Wohlergehen, bis wir uns wieder ſehen!“ — und ſo lief er
zur Thuͤr hinaus. Nun letzte er ſich mit einem Jeden, lief
fort, und weinte ſich unterwegs ſatt. Der aͤltere Bruder ſei-
ner Geliebten begleitete ihn bis Schoͤnenthal. Nun kehrte
auch dieſer traurig um, und Stilling begab ſich zu ſeinen
Reiſegefaͤhrten.

Ich will mich mit der Reiſegeſchichte nach Frankfurt
weiter nicht aufhalten. Sie kamen alle gluͤcklich daſelbſt an,
außer daß ſie in der Gegend von Ellefeld auf dem Rhein
einen heftigen Schrecken ausgeſtanden hatten.

Vierzig Reichsthaler waren Stillings ganze Habſeligkeit ge-
weſen, wie er von Raſenheim weggereist war. Nun muß-
ten ſie ſich eilf Tage in Frankfurt aufhalten und auf Ge-
legenheit warten, beſonders auch weil Herr Trooſt nicht eher
fortkommen konnte; daher ſchmolz ſein Geld ſo zuſammen,
daß er zwei Tage vor ſeiner Abreiſe nach Straßburg noch
einen einzelnen Reichsthaler hatte, und dieſer war ſein Vor-
rath, den er in der Welt wußte. Er entdeckte Niemand et-
was, ſondern wartete auf den Wink des himmliſchen Vaters.
Doch fand er bei allem ſeinem Muth nirgends recht Ruhe, er
ſpazierte umher, und betete innerlich zu Gott; indeſſen gerieth
er auf den Roͤmerberg, daſelbſt begegnete ihm ein Schoͤnen-
thaler
Kaufmann, der ihn wohl kannte, und auch ſein Freund
war; dieſen will ich Liebmann nennen.

Herr Liebmann alſo gruͤßte ihn freundlich, und fragte,
wie’s ihm ginge? Er antwortete: Recht gut! Das freut mich,
verſetzte Jener: Kommen Sie dieſen Abend auf mein Zimmer,
und ſpeiſen Sie mit mir, was ich habe! Stilling verſprach
das. Nun zeigte ihm Herr Liebmann, wo er logirte.

Des Abends ging er an den beſtimmten Ort. Nach dem
Eſſen fing Herr Liebmann an: Sagen Sie mir doch, mein
Freund! wo bekommen Sie Geld her zum Studieren? Stil-
ling
laͤchelte, und antwortete: „Ich habe einen reichen Va-
ter im Himmel, der wird mich verſorgen.“ Herr Liebmann
ſah ihn an, und erwiederte: Wie viel haben Sie noch? Stil-
ling verſetzte: „Einen Reichsthaler, — und das iſt Alles!“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0275" n="267"/>
mein Engel! Der Herr &#x017F;ta&#x0364;rke und erhalte Dich im Segen und<lb/>
Wohlergehen, bis wir uns wieder &#x017F;ehen!&#x201C; &#x2014; und &#x017F;o lief er<lb/>
zur Thu&#x0364;r hinaus. Nun letzte er &#x017F;ich mit einem Jeden, lief<lb/>
fort, und weinte &#x017F;ich unterwegs &#x017F;att. Der a&#x0364;ltere Bruder &#x017F;ei-<lb/>
ner Geliebten begleitete ihn bis <hi rendition="#g">Scho&#x0364;nenthal</hi>. Nun kehrte<lb/>
auch die&#x017F;er traurig um, und <hi rendition="#g">Stilling</hi> begab &#x017F;ich zu &#x017F;einen<lb/>
Rei&#x017F;egefa&#x0364;hrten.</p><lb/>
            <p>Ich will mich mit der Rei&#x017F;ege&#x017F;chichte nach <hi rendition="#g">Frankfurt</hi><lb/>
weiter nicht aufhalten. Sie kamen alle glu&#x0364;cklich da&#x017F;elb&#x017F;t an,<lb/>
außer daß &#x017F;ie in der Gegend von <hi rendition="#g">Ellefeld</hi> auf dem <hi rendition="#g">Rhein</hi><lb/>
einen heftigen Schrecken ausge&#x017F;tanden hatten.</p><lb/>
            <p>Vierzig Reichsthaler waren Stillings ganze Hab&#x017F;eligkeit ge-<lb/>
we&#x017F;en, wie er von <hi rendition="#g">Ra&#x017F;enheim</hi> weggereist war. Nun muß-<lb/>
ten &#x017F;ie &#x017F;ich eilf Tage in <hi rendition="#g">Frankfurt</hi> aufhalten und auf Ge-<lb/>
legenheit warten, be&#x017F;onders auch weil Herr <hi rendition="#g">Troo&#x017F;t</hi> nicht eher<lb/>
fortkommen konnte; daher &#x017F;chmolz &#x017F;ein Geld &#x017F;o zu&#x017F;ammen,<lb/>
daß er zwei Tage vor &#x017F;einer Abrei&#x017F;e nach <hi rendition="#g">Straßburg</hi> noch<lb/>
einen einzelnen Reichsthaler hatte, und die&#x017F;er war &#x017F;ein Vor-<lb/>
rath, den er in der Welt wußte. Er entdeckte Niemand et-<lb/>
was, &#x017F;ondern wartete auf den Wink des himmli&#x017F;chen Vaters.<lb/>
Doch fand er bei allem &#x017F;einem Muth nirgends recht Ruhe, er<lb/>
&#x017F;pazierte umher, und betete innerlich zu Gott; inde&#x017F;&#x017F;en gerieth<lb/>
er auf den Ro&#x0364;merberg, da&#x017F;elb&#x017F;t begegnete ihm ein <hi rendition="#g">Scho&#x0364;nen-<lb/>
thaler</hi> Kaufmann, der ihn wohl kannte, und auch &#x017F;ein Freund<lb/>
war; die&#x017F;en will ich <hi rendition="#g">Liebmann</hi> nennen.</p><lb/>
            <p>Herr <hi rendition="#g">Liebmann</hi> al&#x017F;o gru&#x0364;ßte ihn freundlich, und fragte,<lb/>
wie&#x2019;s ihm ginge? Er antwortete: Recht gut! Das freut mich,<lb/>
ver&#x017F;etzte Jener: Kommen Sie die&#x017F;en Abend auf mein Zimmer,<lb/>
und &#x017F;pei&#x017F;en Sie mit mir, was ich habe! Stilling ver&#x017F;prach<lb/>
das. Nun zeigte ihm Herr <hi rendition="#g">Liebmann</hi>, wo er logirte.</p><lb/>
            <p>Des Abends ging er an den be&#x017F;timmten Ort. Nach dem<lb/>
E&#x017F;&#x017F;en fing Herr <hi rendition="#g">Liebmann</hi> an: Sagen Sie mir doch, mein<lb/>
Freund! wo bekommen Sie Geld her zum Studieren? <hi rendition="#g">Stil-<lb/>
ling</hi> la&#x0364;chelte, und antwortete: &#x201E;Ich habe einen reichen Va-<lb/>
ter im Himmel, der wird mich ver&#x017F;orgen.&#x201C; Herr <hi rendition="#g">Liebmann</hi><lb/>
&#x017F;ah ihn an, und erwiederte: Wie viel haben Sie noch? Stil-<lb/>
ling ver&#x017F;etzte: &#x201E;Einen Reichsthaler, &#x2014; und das i&#x017F;t Alles!&#x201C;<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[267/0275] mein Engel! Der Herr ſtaͤrke und erhalte Dich im Segen und Wohlergehen, bis wir uns wieder ſehen!“ — und ſo lief er zur Thuͤr hinaus. Nun letzte er ſich mit einem Jeden, lief fort, und weinte ſich unterwegs ſatt. Der aͤltere Bruder ſei- ner Geliebten begleitete ihn bis Schoͤnenthal. Nun kehrte auch dieſer traurig um, und Stilling begab ſich zu ſeinen Reiſegefaͤhrten. Ich will mich mit der Reiſegeſchichte nach Frankfurt weiter nicht aufhalten. Sie kamen alle gluͤcklich daſelbſt an, außer daß ſie in der Gegend von Ellefeld auf dem Rhein einen heftigen Schrecken ausgeſtanden hatten. Vierzig Reichsthaler waren Stillings ganze Habſeligkeit ge- weſen, wie er von Raſenheim weggereist war. Nun muß- ten ſie ſich eilf Tage in Frankfurt aufhalten und auf Ge- legenheit warten, beſonders auch weil Herr Trooſt nicht eher fortkommen konnte; daher ſchmolz ſein Geld ſo zuſammen, daß er zwei Tage vor ſeiner Abreiſe nach Straßburg noch einen einzelnen Reichsthaler hatte, und dieſer war ſein Vor- rath, den er in der Welt wußte. Er entdeckte Niemand et- was, ſondern wartete auf den Wink des himmliſchen Vaters. Doch fand er bei allem ſeinem Muth nirgends recht Ruhe, er ſpazierte umher, und betete innerlich zu Gott; indeſſen gerieth er auf den Roͤmerberg, daſelbſt begegnete ihm ein Schoͤnen- thaler Kaufmann, der ihn wohl kannte, und auch ſein Freund war; dieſen will ich Liebmann nennen. Herr Liebmann alſo gruͤßte ihn freundlich, und fragte, wie’s ihm ginge? Er antwortete: Recht gut! Das freut mich, verſetzte Jener: Kommen Sie dieſen Abend auf mein Zimmer, und ſpeiſen Sie mit mir, was ich habe! Stilling verſprach das. Nun zeigte ihm Herr Liebmann, wo er logirte. Des Abends ging er an den beſtimmten Ort. Nach dem Eſſen fing Herr Liebmann an: Sagen Sie mir doch, mein Freund! wo bekommen Sie Geld her zum Studieren? Stil- ling laͤchelte, und antwortete: „Ich habe einen reichen Va- ter im Himmel, der wird mich verſorgen.“ Herr Liebmann ſah ihn an, und erwiederte: Wie viel haben Sie noch? Stil- ling verſetzte: „Einen Reichsthaler, — und das iſt Alles!“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/275
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/275>, abgerufen am 22.11.2024.