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Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

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weiter sagen, als daß er in all dieser Zeit, in Absicht der Welt-
kenntniß, Lebensart, und obigen häuslichen Wissenschaften ziem-
lich zugenommen habe. Seine Schüler unterrichtete er, diese
ganze Zeit über, in der lateinischen und französischen Sprache,
wodurch er selber immer mehr Fertigkeit in beiden Stücken
erlangte, und dann in der reformirten Religion, im Lesen,
Schreiben und Rechnen.

Seine eigne Lectüre bestand anfänglich in allerhand poe-
tischen Schriften. Er las erstlich Miltons verlornes Pa-
radies, hernach Youngs Nachtgedanken, und darauf die
Messiade von Klopstock; drei Bücher, die recht mit seiner
Seele harmonirten; denn so wie er vorhin sanguinisch zärt-
lich gewesen war, so hatte er nach seiner schrecklichen Periode
bei Herrn Hochberg eine sanfte, zärtliche Melancholie an-
genommen, die ihm auch vielleicht bis an seinen Tod anhän-
gen wird.

In der Mathematik that er jetzt nicht viel mehr, hingegen
legte er sich mit Ernst auf die Philosophie, las Wolfs
teutsche Schriften ganz, desgleichen Gottscheds gesammte
Philosophie, Leibnitzens Theodicee, Baumeisters
kleine Logik und Metaphysik demonstrirte er ganz nach, und
nichts in der Welt war ihm angenehmer als die Uebung in
diesen Wissenschaften; allein er spürte doch eine Leere bei
sich und ein Mißtrauen gegen diese Systeme, denn sie erstick-
ten wahrlich alle kindliche Empfindung des Herzens gegen
Gott; sie mögen eine Kette von Wahrheiten seyn, aber die
wahre philosophische Kette, an welche sich alles anschließt,
haben wir noch nicht. Stilling glaubte diese zu finden,
allein er fand sie nicht, und nun gab er sich ferner aus Su-
chen, theils durch eigenes Nachdenken, theils in andern Schrif-
ten, und noch bis dahin wandelt er traurig auf diesem Wege,
weil er noch keine Auskunft siehet.

Herr Spanier stammte auch aus dem Salen'schen Lande
her; denn sein Vater war nicht weit von Kleefeld geboren,
wo Stilling seine letzte Kapellenschule bedient hatte, deßwegen
hatte er auch zuweilen Geschäfte daselbst zu verrichten, hierzu
brauchte er nun Stilling auch darum am liebsten, weil er da-

Stilling's sämmtl. Schriften. I. Band. 16

weiter ſagen, als daß er in all dieſer Zeit, in Abſicht der Welt-
kenntniß, Lebensart, und obigen haͤuslichen Wiſſenſchaften ziem-
lich zugenommen habe. Seine Schuͤler unterrichtete er, dieſe
ganze Zeit uͤber, in der lateiniſchen und franzoͤſiſchen Sprache,
wodurch er ſelber immer mehr Fertigkeit in beiden Stuͤcken
erlangte, und dann in der reformirten Religion, im Leſen,
Schreiben und Rechnen.

Seine eigne Lectuͤre beſtand anfaͤnglich in allerhand poe-
tiſchen Schriften. Er las erſtlich Miltons verlornes Pa-
radies, hernach Youngs Nachtgedanken, und darauf die
Meſſiade von Klopſtock; drei Buͤcher, die recht mit ſeiner
Seele harmonirten; denn ſo wie er vorhin ſanguiniſch zaͤrt-
lich geweſen war, ſo hatte er nach ſeiner ſchrecklichen Periode
bei Herrn Hochberg eine ſanfte, zaͤrtliche Melancholie an-
genommen, die ihm auch vielleicht bis an ſeinen Tod anhaͤn-
gen wird.

In der Mathematik that er jetzt nicht viel mehr, hingegen
legte er ſich mit Ernſt auf die Philoſophie, las Wolfs
teutſche Schriften ganz, desgleichen Gottſcheds geſammte
Philoſophie, Leibnitzens Theodicee, Baumeiſters
kleine Logik und Metaphyſik demonſtrirte er ganz nach, und
nichts in der Welt war ihm angenehmer als die Uebung in
dieſen Wiſſenſchaften; allein er ſpuͤrte doch eine Leere bei
ſich und ein Mißtrauen gegen dieſe Syſteme, denn ſie erſtick-
ten wahrlich alle kindliche Empfindung des Herzens gegen
Gott; ſie moͤgen eine Kette von Wahrheiten ſeyn, aber die
wahre philoſophiſche Kette, an welche ſich alles anſchließt,
haben wir noch nicht. Stilling glaubte dieſe zu finden,
allein er fand ſie nicht, und nun gab er ſich ferner aus Su-
chen, theils durch eigenes Nachdenken, theils in andern Schrif-
ten, und noch bis dahin wandelt er traurig auf dieſem Wege,
weil er noch keine Auskunft ſiehet.

Herr Spanier ſtammte auch aus dem Salen’ſchen Lande
her; denn ſein Vater war nicht weit von Kleefeld geboren,
wo Stilling ſeine letzte Kapellenſchule bedient hatte, deßwegen
hatte er auch zuweilen Geſchaͤfte daſelbſt zu verrichten, hierzu
brauchte er nun Stilling auch darum am liebſten, weil er da-

Stilling’s ſämmtl. Schriften. I. Band. 16
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[241/0249] weiter ſagen, als daß er in all dieſer Zeit, in Abſicht der Welt- kenntniß, Lebensart, und obigen haͤuslichen Wiſſenſchaften ziem- lich zugenommen habe. Seine Schuͤler unterrichtete er, dieſe ganze Zeit uͤber, in der lateiniſchen und franzoͤſiſchen Sprache, wodurch er ſelber immer mehr Fertigkeit in beiden Stuͤcken erlangte, und dann in der reformirten Religion, im Leſen, Schreiben und Rechnen. Seine eigne Lectuͤre beſtand anfaͤnglich in allerhand poe- tiſchen Schriften. Er las erſtlich Miltons verlornes Pa- radies, hernach Youngs Nachtgedanken, und darauf die Meſſiade von Klopſtock; drei Buͤcher, die recht mit ſeiner Seele harmonirten; denn ſo wie er vorhin ſanguiniſch zaͤrt- lich geweſen war, ſo hatte er nach ſeiner ſchrecklichen Periode bei Herrn Hochberg eine ſanfte, zaͤrtliche Melancholie an- genommen, die ihm auch vielleicht bis an ſeinen Tod anhaͤn- gen wird. In der Mathematik that er jetzt nicht viel mehr, hingegen legte er ſich mit Ernſt auf die Philoſophie, las Wolfs teutſche Schriften ganz, desgleichen Gottſcheds geſammte Philoſophie, Leibnitzens Theodicee, Baumeiſters kleine Logik und Metaphyſik demonſtrirte er ganz nach, und nichts in der Welt war ihm angenehmer als die Uebung in dieſen Wiſſenſchaften; allein er ſpuͤrte doch eine Leere bei ſich und ein Mißtrauen gegen dieſe Syſteme, denn ſie erſtick- ten wahrlich alle kindliche Empfindung des Herzens gegen Gott; ſie moͤgen eine Kette von Wahrheiten ſeyn, aber die wahre philoſophiſche Kette, an welche ſich alles anſchließt, haben wir noch nicht. Stilling glaubte dieſe zu finden, allein er fand ſie nicht, und nun gab er ſich ferner aus Su- chen, theils durch eigenes Nachdenken, theils in andern Schrif- ten, und noch bis dahin wandelt er traurig auf dieſem Wege, weil er noch keine Auskunft ſiehet. Herr Spanier ſtammte auch aus dem Salen’ſchen Lande her; denn ſein Vater war nicht weit von Kleefeld geboren, wo Stilling ſeine letzte Kapellenſchule bedient hatte, deßwegen hatte er auch zuweilen Geſchaͤfte daſelbſt zu verrichten, hierzu brauchte er nun Stilling auch darum am liebſten, weil er da- Stilling’s ſämmtl. Schriften. I. Band. 16

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Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/249>, abgerufen am 23.11.2024.