Haare zu Berge standen; allmählig schwung er sich zum me- lancholisch-zärtlichen, von da ins cholerisch-feurige, darauf ins gelassene ruhige, phantasirte eine phlegmatische Murqui, darauf ein sanguinisch-zärtliches Adagio, dann ein Allegro, und nun schloß er mit einer lustigen Menuette aus D dur. Stilling hätte zerschmelzen mögen über seine empfindsame Art zu Spie- len, und bewunderte diesen Mann aus der Massen.
Heesfeld war in seiner Jugend in Kriegsdienste gegangen; wegen seiner Geschicklichkeit wurde er von einem hohen Officier in seine eigenen Dienste genommen, der ihn in Allem hatte un- terrichten lassen, wozu er nur Lust gehabt hatte; mit diesem Herrn war er durch die Welt gereist, der nach zwanzig Jahren starb, und ihm ein schönes Stück Geld vermachte. Heesfeld war nun vierzig Jahre alt, reiste nach Haus, aber nicht zu sei- nen Eltern und Freunden, sondern er nahm einen fremden Ge- schlechtsnamen an, ging nach Dornfeld als französischer Sprach- meister, und obgleich seine Eltern und zween Brüder nur zwei Stunden von ihm ab wohnten, so wußten sie doch gar nichts von ihm, sondern sie glaubten, er sey in der Fremde gestorben; auf seinem Todtbette aber hat er sich seinen Brüdern zu erken- nen gegeben, ihnen seine Umstände erzählt, und eine reichliche Erbschaft hinterlassen: und nach seinem System war es auch da noch früh genug.
Man nenne dieses nun Fehler oder Tugend, er hatte bei dem allem eine edle Seele; seine Menschenliebe war auf einen hohen Grad gestiegen, aber er handelte in Geheim; auch denen er Gu- tes that, die durftens nicht wissen. Nichts konnte ihn mehr er- götzen, als wenn er hörte, daß die Leute nicht wüßten, was sie aus ihm machen sollten.
Wenn er mit Stilling spazieren ging, so sprachen sie von Künsten und Wissenschaften. Ihr Weg ging immer in die wil- desten Einöden, dann stieg Heesfeld auf einen schwankenden Baum, der sich gut biegen ließ, setzte sich oben in den Gipfel, hielt sich fest, und wiegte sich mit ihm auf die Erde, legte sich eine Weile in die Aeste und ruhete. Stilling machte ihm das dann nach, und so lagen sie und plauderten; wenn sie dessen müde waren, so standen sie auf und dann richteten sich die
Haare zu Berge ſtanden; allmaͤhlig ſchwung er ſich zum me- lancholiſch-zaͤrtlichen, von da ins choleriſch-feurige, darauf ins gelaſſene ruhige, phantaſirte eine phlegmatiſche Murqui, darauf ein ſanguiniſch-zaͤrtliches Adagio, dann ein Allegro, und nun ſchloß er mit einer luſtigen Menuette aus D dur. Stilling haͤtte zerſchmelzen moͤgen uͤber ſeine empfindſame Art zu Spie- len, und bewunderte dieſen Mann aus der Maſſen.
Heesfeld war in ſeiner Jugend in Kriegsdienſte gegangen; wegen ſeiner Geſchicklichkeit wurde er von einem hohen Officier in ſeine eigenen Dienſte genommen, der ihn in Allem hatte un- terrichten laſſen, wozu er nur Luſt gehabt hatte; mit dieſem Herrn war er durch die Welt gereist, der nach zwanzig Jahren ſtarb, und ihm ein ſchoͤnes Stuͤck Geld vermachte. Heesfeld war nun vierzig Jahre alt, reiste nach Haus, aber nicht zu ſei- nen Eltern und Freunden, ſondern er nahm einen fremden Ge- ſchlechtsnamen an, ging nach Dornfeld als franzoͤſiſcher Sprach- meiſter, und obgleich ſeine Eltern und zween Bruͤder nur zwei Stunden von ihm ab wohnten, ſo wußten ſie doch gar nichts von ihm, ſondern ſie glaubten, er ſey in der Fremde geſtorben; auf ſeinem Todtbette aber hat er ſich ſeinen Bruͤdern zu erken- nen gegeben, ihnen ſeine Umſtaͤnde erzaͤhlt, und eine reichliche Erbſchaft hinterlaſſen: und nach ſeinem Syſtem war es auch da noch fruͤh genug.
Man nenne dieſes nun Fehler oder Tugend, er hatte bei dem allem eine edle Seele; ſeine Menſchenliebe war auf einen hohen Grad geſtiegen, aber er handelte in Geheim; auch denen er Gu- tes that, die durftens nicht wiſſen. Nichts konnte ihn mehr er- goͤtzen, als wenn er hoͤrte, daß die Leute nicht wuͤßten, was ſie aus ihm machen ſollten.
Wenn er mit Stilling ſpazieren ging, ſo ſprachen ſie von Kuͤnſten und Wiſſenſchaften. Ihr Weg ging immer in die wil- deſten Einoͤden, dann ſtieg Heesfeld auf einen ſchwankenden Baum, der ſich gut biegen ließ, ſetzte ſich oben in den Gipfel, hielt ſich feſt, und wiegte ſich mit ihm auf die Erde, legte ſich eine Weile in die Aeſte und ruhete. Stilling machte ihm das dann nach, und ſo lagen ſie und plauderten; wenn ſie deſſen muͤde waren, ſo ſtanden ſie auf und dann richteten ſich die
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Haare zu Berge ſtanden; allmaͤhlig ſchwung er ſich zum me-
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gelaſſene ruhige, phantaſirte eine phlegmatiſche Murqui, darauf
ein ſanguiniſch-zaͤrtliches Adagio, dann ein Allegro, und nun
ſchloß er mit einer luſtigen Menuette aus D dur. Stilling
haͤtte zerſchmelzen moͤgen uͤber ſeine empfindſame Art zu Spie-
len, und bewunderte dieſen Mann aus der Maſſen.
Heesfeld war in ſeiner Jugend in Kriegsdienſte gegangen;
wegen ſeiner Geſchicklichkeit wurde er von einem hohen Officier
in ſeine eigenen Dienſte genommen, der ihn in Allem hatte un-
terrichten laſſen, wozu er nur Luſt gehabt hatte; mit dieſem
Herrn war er durch die Welt gereist, der nach zwanzig Jahren
ſtarb, und ihm ein ſchoͤnes Stuͤck Geld vermachte. Heesfeld
war nun vierzig Jahre alt, reiste nach Haus, aber nicht zu ſei-
nen Eltern und Freunden, ſondern er nahm einen fremden Ge-
ſchlechtsnamen an, ging nach Dornfeld als franzoͤſiſcher Sprach-
meiſter, und obgleich ſeine Eltern und zween Bruͤder nur zwei
Stunden von ihm ab wohnten, ſo wußten ſie doch gar nichts
von ihm, ſondern ſie glaubten, er ſey in der Fremde geſtorben;
auf ſeinem Todtbette aber hat er ſich ſeinen Bruͤdern zu erken-
nen gegeben, ihnen ſeine Umſtaͤnde erzaͤhlt, und eine reichliche
Erbſchaft hinterlaſſen: und nach ſeinem Syſtem war es auch
da noch fruͤh genug.
Man nenne dieſes nun Fehler oder Tugend, er hatte bei dem
allem eine edle Seele; ſeine Menſchenliebe war auf einen hohen
Grad geſtiegen, aber er handelte in Geheim; auch denen er Gu-
tes that, die durftens nicht wiſſen. Nichts konnte ihn mehr er-
goͤtzen, als wenn er hoͤrte, daß die Leute nicht wuͤßten, was ſie
aus ihm machen ſollten.
Wenn er mit Stilling ſpazieren ging, ſo ſprachen ſie von
Kuͤnſten und Wiſſenſchaften. Ihr Weg ging immer in die wil-
deſten Einoͤden, dann ſtieg Heesfeld auf einen ſchwankenden
Baum, der ſich gut biegen ließ, ſetzte ſich oben in den Gipfel,
hielt ſich feſt, und wiegte ſich mit ihm auf die Erde, legte ſich
eine Weile in die Aeſte und ruhete. Stilling machte ihm das
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/246>, abgerufen am 23.11.2024.
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