Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

ich dir sagen, räche dich an ihm so viel du willst; der Mann,
der das gethan hat, bist du und also schlimmer als die Leute,
die nur blos die Fenster eingeschlagen haben. Freymuth
verstummte, und war wie vom Donner gerührt, er schwieg
eine Weile, endlich fing er an: Gott im Himmel, Du hast
Recht! -- Ich bin wohl ein rechter Bösewicht gewesen, will
mich an Leuten rächen, die besser sind als ich. -- Ja, Frau!
ich bin der gottloseste Mensch auf Erden! Er sprang auf,
lief die Treppen hinauf auf sein Schlafzimmer, lag da drei
Tage und drei Nächte platt auf der Erde, aß nichts, bloß
daß er sich zuweilen Etwas zu trinken geben ließ. Seine
Frau leistete ihm so viel Gesellschaft als sie konnte, und half
ihm beten, damit er bei Gott durch den Erlöser Gnade erlan-
gen möchte.

Am vierten Tage des Morgens stand er auf, war vergnügt,
lobte Gott, und sagte: nun bin ich gewiß, daß mir meine
schweren Sünden vergeben sind! Von dem Augenblick an war
er ganz umgekehrt; so demüthig, als er vorhin stolz, so sanft-
müthig, als er vorher trotzig und zornig, und so von Herzen
fromm, als er vorhin gottlos gewesen war.

Dieser Mann wäre ein Gegenstand für meinen Freund La-
vater
. Seine Gesichtsbildung ist die roheste und wildeste
von der Welt; es dürfte nur eine Leidenschaft, zum Beispiel
der Zorn, rege werden, die Lebensgeister brauchten nur jeden
Muskel des Gesichts zu spannen, so würde er rasend aussehen.
Jetzt aber ist er einem Löwen ähnlich, der in ein Lamm ver-
wandelt worden ist. Friede und Ruhe ist jedem Gesichtsmus-
kel eingedrückt, und das gibt ihm ein eben so frommes Aus-
sehen, als er vorhin wild war.

Nach dem Essen schickte Glöckner seine Magd in Frey-
muths
Haus, und ließ da ansagen, daß Freunde bei ihm
angekommen wären. Freymuth und seine Frau kamen als-
bald, und bewillkommten Isaac und Stilling. Dieser
Letztere hatte den ganzen Abend seine Betrachtungen über die
beiden Leute; bald mußte er des Löwen Sanftmuth, bald des
Lammes Heldenmuth bewundern. Alle Sechs waren sehr ver-

ich dir ſagen, raͤche dich an ihm ſo viel du willſt; der Mann,
der das gethan hat, biſt du und alſo ſchlimmer als die Leute,
die nur blos die Fenſter eingeſchlagen haben. Freymuth
verſtummte, und war wie vom Donner geruͤhrt, er ſchwieg
eine Weile, endlich fing er an: Gott im Himmel, Du haſt
Recht! — Ich bin wohl ein rechter Boͤſewicht geweſen, will
mich an Leuten raͤchen, die beſſer ſind als ich. — Ja, Frau!
ich bin der gottloſeſte Menſch auf Erden! Er ſprang auf,
lief die Treppen hinauf auf ſein Schlafzimmer, lag da drei
Tage und drei Naͤchte platt auf der Erde, aß nichts, bloß
daß er ſich zuweilen Etwas zu trinken geben ließ. Seine
Frau leiſtete ihm ſo viel Geſellſchaft als ſie konnte, und half
ihm beten, damit er bei Gott durch den Erloͤſer Gnade erlan-
gen moͤchte.

Am vierten Tage des Morgens ſtand er auf, war vergnuͤgt,
lobte Gott, und ſagte: nun bin ich gewiß, daß mir meine
ſchweren Suͤnden vergeben ſind! Von dem Augenblick an war
er ganz umgekehrt; ſo demuͤthig, als er vorhin ſtolz, ſo ſanft-
muͤthig, als er vorher trotzig und zornig, und ſo von Herzen
fromm, als er vorhin gottlos geweſen war.

Dieſer Mann waͤre ein Gegenſtand fuͤr meinen Freund La-
vater
. Seine Geſichtsbildung iſt die roheſte und wildeſte
von der Welt; es duͤrfte nur eine Leidenſchaft, zum Beiſpiel
der Zorn, rege werden, die Lebensgeiſter brauchten nur jeden
Muskel des Geſichts zu ſpannen, ſo wuͤrde er raſend ausſehen.
Jetzt aber iſt er einem Loͤwen aͤhnlich, der in ein Lamm ver-
wandelt worden iſt. Friede und Ruhe iſt jedem Geſichtsmus-
kel eingedruͤckt, und das gibt ihm ein eben ſo frommes Aus-
ſehen, als er vorhin wild war.

Nach dem Eſſen ſchickte Gloͤckner ſeine Magd in Frey-
muths
Haus, und ließ da anſagen, daß Freunde bei ihm
angekommen waͤren. Freymuth und ſeine Frau kamen als-
bald, und bewillkommten Iſaac und Stilling. Dieſer
Letztere hatte den ganzen Abend ſeine Betrachtungen uͤber die
beiden Leute; bald mußte er des Loͤwen Sanftmuth, bald des
Lammes Heldenmuth bewundern. Alle Sechs waren ſehr ver-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0237" n="229"/>
ich dir &#x017F;agen, ra&#x0364;che dich an ihm &#x017F;o viel du will&#x017F;t; der Mann,<lb/>
der das gethan hat, <hi rendition="#g">bi&#x017F;t du</hi> und al&#x017F;o &#x017F;chlimmer als die Leute,<lb/>
die nur blos die Fen&#x017F;ter einge&#x017F;chlagen haben. <hi rendition="#g">Freymuth</hi><lb/>
ver&#x017F;tummte, und war wie vom Donner geru&#x0364;hrt, er &#x017F;chwieg<lb/>
eine Weile, endlich fing er an: Gott im Himmel, Du ha&#x017F;t<lb/>
Recht! &#x2014; Ich bin wohl ein rechter Bo&#x0364;&#x017F;ewicht gewe&#x017F;en, will<lb/>
mich an Leuten ra&#x0364;chen, die be&#x017F;&#x017F;er &#x017F;ind als ich. &#x2014; Ja, Frau!<lb/>
ich bin der gottlo&#x017F;e&#x017F;te Men&#x017F;ch auf Erden! Er &#x017F;prang auf,<lb/>
lief die Treppen hinauf auf &#x017F;ein Schlafzimmer, lag da drei<lb/>
Tage und drei Na&#x0364;chte platt auf der Erde, aß nichts, bloß<lb/>
daß er &#x017F;ich zuweilen Etwas zu trinken geben ließ. Seine<lb/>
Frau lei&#x017F;tete ihm &#x017F;o viel Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft als &#x017F;ie konnte, und half<lb/>
ihm beten, damit er bei Gott durch den Erlo&#x0364;&#x017F;er Gnade erlan-<lb/>
gen mo&#x0364;chte.</p><lb/>
            <p>Am vierten Tage des Morgens &#x017F;tand er auf, war vergnu&#x0364;gt,<lb/>
lobte Gott, und &#x017F;agte: nun bin ich gewiß, daß mir meine<lb/>
&#x017F;chweren Su&#x0364;nden vergeben &#x017F;ind! Von dem Augenblick an war<lb/>
er ganz umgekehrt; &#x017F;o demu&#x0364;thig, als er vorhin &#x017F;tolz, &#x017F;o &#x017F;anft-<lb/>
mu&#x0364;thig, als er vorher trotzig und zornig, und &#x017F;o von Herzen<lb/>
fromm, als er vorhin gottlos gewe&#x017F;en war.</p><lb/>
            <p>Die&#x017F;er Mann wa&#x0364;re ein Gegen&#x017F;tand fu&#x0364;r meinen Freund <hi rendition="#g">La-<lb/>
vater</hi>. Seine Ge&#x017F;ichtsbildung i&#x017F;t die rohe&#x017F;te und wilde&#x017F;te<lb/>
von der Welt; es du&#x0364;rfte nur eine Leiden&#x017F;chaft, zum Bei&#x017F;piel<lb/>
der Zorn, rege werden, die Lebensgei&#x017F;ter brauchten nur jeden<lb/>
Muskel des Ge&#x017F;ichts zu &#x017F;pannen, &#x017F;o wu&#x0364;rde er ra&#x017F;end aus&#x017F;ehen.<lb/>
Jetzt aber i&#x017F;t er einem Lo&#x0364;wen a&#x0364;hnlich, der in ein Lamm ver-<lb/>
wandelt worden i&#x017F;t. Friede und Ruhe i&#x017F;t jedem Ge&#x017F;ichtsmus-<lb/>
kel eingedru&#x0364;ckt, und das gibt ihm ein eben &#x017F;o frommes Aus-<lb/>
&#x017F;ehen, als er vorhin wild war.</p><lb/>
            <p>Nach dem E&#x017F;&#x017F;en &#x017F;chickte <hi rendition="#g">Glo&#x0364;ckner</hi> &#x017F;eine Magd in <hi rendition="#g">Frey-<lb/>
muths</hi> Haus, und ließ da an&#x017F;agen, daß Freunde bei ihm<lb/>
angekommen wa&#x0364;ren. <hi rendition="#g">Freymuth</hi> und &#x017F;eine Frau kamen als-<lb/>
bald, und bewillkommten <hi rendition="#g">I&#x017F;aac</hi> und <hi rendition="#g">Stilling</hi>. Die&#x017F;er<lb/>
Letztere hatte den ganzen Abend &#x017F;eine Betrachtungen u&#x0364;ber die<lb/>
beiden Leute; bald mußte er des Lo&#x0364;wen Sanftmuth, bald des<lb/>
Lammes Heldenmuth bewundern. Alle Sechs waren &#x017F;ehr ver-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[229/0237] ich dir ſagen, raͤche dich an ihm ſo viel du willſt; der Mann, der das gethan hat, biſt du und alſo ſchlimmer als die Leute, die nur blos die Fenſter eingeſchlagen haben. Freymuth verſtummte, und war wie vom Donner geruͤhrt, er ſchwieg eine Weile, endlich fing er an: Gott im Himmel, Du haſt Recht! — Ich bin wohl ein rechter Boͤſewicht geweſen, will mich an Leuten raͤchen, die beſſer ſind als ich. — Ja, Frau! ich bin der gottloſeſte Menſch auf Erden! Er ſprang auf, lief die Treppen hinauf auf ſein Schlafzimmer, lag da drei Tage und drei Naͤchte platt auf der Erde, aß nichts, bloß daß er ſich zuweilen Etwas zu trinken geben ließ. Seine Frau leiſtete ihm ſo viel Geſellſchaft als ſie konnte, und half ihm beten, damit er bei Gott durch den Erloͤſer Gnade erlan- gen moͤchte. Am vierten Tage des Morgens ſtand er auf, war vergnuͤgt, lobte Gott, und ſagte: nun bin ich gewiß, daß mir meine ſchweren Suͤnden vergeben ſind! Von dem Augenblick an war er ganz umgekehrt; ſo demuͤthig, als er vorhin ſtolz, ſo ſanft- muͤthig, als er vorher trotzig und zornig, und ſo von Herzen fromm, als er vorhin gottlos geweſen war. Dieſer Mann waͤre ein Gegenſtand fuͤr meinen Freund La- vater. Seine Geſichtsbildung iſt die roheſte und wildeſte von der Welt; es duͤrfte nur eine Leidenſchaft, zum Beiſpiel der Zorn, rege werden, die Lebensgeiſter brauchten nur jeden Muskel des Geſichts zu ſpannen, ſo wuͤrde er raſend ausſehen. Jetzt aber iſt er einem Loͤwen aͤhnlich, der in ein Lamm ver- wandelt worden iſt. Friede und Ruhe iſt jedem Geſichtsmus- kel eingedruͤckt, und das gibt ihm ein eben ſo frommes Aus- ſehen, als er vorhin wild war. Nach dem Eſſen ſchickte Gloͤckner ſeine Magd in Frey- muths Haus, und ließ da anſagen, daß Freunde bei ihm angekommen waͤren. Freymuth und ſeine Frau kamen als- bald, und bewillkommten Iſaac und Stilling. Dieſer Letztere hatte den ganzen Abend ſeine Betrachtungen uͤber die beiden Leute; bald mußte er des Loͤwen Sanftmuth, bald des Lammes Heldenmuth bewundern. Alle Sechs waren ſehr ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/237
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/237>, abgerufen am 27.05.2024.