Mal, daß ich bei Ihnen bin, ich werde nicht wieder herkom- men. Ist nun Jemand unter Ihnen, der mir nicht vergeben hat, wo ich ihn beleidigt habe, den bitt' ich jetzt von Herzen um Versöhnung."
Alle Anwesenden sahen sich an und schwiegen. Herr Stil- ling konnte das unmöglich ausstehen. Herr Pastor! sagte er, das bricht mir mein Herz! -- Wir sind Menschen und fehlen Alle; ich hab' Ihnen unendlich viel zu danken, Sie haben mir die Grundwahrheiten unserer Religion beigebracht, und vielleicht hab' ich Ihnen oft Anlaß zur Aergerniß gegeben, ich bin also der Erste, der Sie von Grund seiner Seele um Verzeihung bittet, wo er Sie beleidigt hat. Der Pastor wurde so gerührt, daß ihm die Thränen die Wangen herunter liefen; er stand auf, umarmte Stillingen und sagte: Ich hab' Sie oft beleidigt. Ich bedaure es und wir sind Brüder. Nein, sagte Stilling, Sie sind mein Vater! geben Sie mir Ihren Segen! Stollbein hielt ihn noch fest in den Armen und sagte: Sie sind gesegnet, Sie und Ihre ganze Familie, und das um des Mannes willen, der so oft mein Stolz und meine Freude war.
Dieser Auftritt war so unerwartet und so rührend, daß die mehrsten Anwesenden Thränen in Menge vergoßen, Stilling und Stollbein aber am mehrsten.
Nun stand der Prediger auf, ging herab zu Schöffe Keil- hof und den übrigen Florenburgern, lächelte und sagte: Sollen wir denn auch an diesem Rechnungstage unsre Rechnung zu- sammen abmachen? Keilhof antwortete: Wir sind Ihnen nicht böse! -- Ja! versetzte Herr Stollbein, davon ist hier die Rede nicht. Ich bitte Euch alle feierlich um Vergebung, wo ich Euch beleidigt habe! -- Wir vergeben Ihnen gerne, erwiederte Keilhof, aber das müßten Sie auf der Kanzel thun.
Stollbein fühlte sein ganzes Feuer wieder, doch schwieg er still und setzte sich neben Stilling hin. Dieser aber wurde so voll Eifer, daß er im Gesicht glühte. Herr Schöffe! fing er an! Sie sind nicht werth, daß Ihnen Gott Ihre Sünden vergibt, so lange Sie so denken. Der
Mal, daß ich bei Ihnen bin, ich werde nicht wieder herkom- men. Iſt nun Jemand unter Ihnen, der mir nicht vergeben hat, wo ich ihn beleidigt habe, den bitt’ ich jetzt von Herzen um Verſoͤhnung.“
Alle Anweſenden ſahen ſich an und ſchwiegen. Herr Stil- ling konnte das unmoͤglich ausſtehen. Herr Paſtor! ſagte er, das bricht mir mein Herz! — Wir ſind Menſchen und fehlen Alle; ich hab’ Ihnen unendlich viel zu danken, Sie haben mir die Grundwahrheiten unſerer Religion beigebracht, und vielleicht hab’ ich Ihnen oft Anlaß zur Aergerniß gegeben, ich bin alſo der Erſte, der Sie von Grund ſeiner Seele um Verzeihung bittet, wo er Sie beleidigt hat. Der Paſtor wurde ſo geruͤhrt, daß ihm die Thraͤnen die Wangen herunter liefen; er ſtand auf, umarmte Stillingen und ſagte: Ich hab’ Sie oft beleidigt. Ich bedaure es und wir ſind Bruͤder. Nein, ſagte Stilling, Sie ſind mein Vater! geben Sie mir Ihren Segen! Stollbein hielt ihn noch feſt in den Armen und ſagte: Sie ſind geſegnet, Sie und Ihre ganze Familie, und das um des Mannes willen, der ſo oft mein Stolz und meine Freude war.
Dieſer Auftritt war ſo unerwartet und ſo ruͤhrend, daß die mehrſten Anweſenden Thraͤnen in Menge vergoßen, Stilling und Stollbein aber am mehrſten.
Nun ſtand der Prediger auf, ging herab zu Schoͤffe Keil- hof und den uͤbrigen Florenburgern, laͤchelte und ſagte: Sollen wir denn auch an dieſem Rechnungstage unſre Rechnung zu- ſammen abmachen? Keilhof antwortete: Wir ſind Ihnen nicht boͤſe! — Ja! verſetzte Herr Stollbein, davon iſt hier die Rede nicht. Ich bitte Euch alle feierlich um Vergebung, wo ich Euch beleidigt habe! — Wir vergeben Ihnen gerne, erwiederte Keilhof, aber das muͤßten Sie auf der Kanzel thun.
Stollbein fuͤhlte ſein ganzes Feuer wieder, doch ſchwieg er ſtill und ſetzte ſich neben Stilling hin. Dieſer aber wurde ſo voll Eifer, daß er im Geſicht gluͤhte. Herr Schoͤffe! fing er an! Sie ſind nicht werth, daß Ihnen Gott Ihre Suͤnden vergibt, ſo lange Sie ſo denken. Der
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hat, wo ich ihn beleidigt habe, den bitt’ ich jetzt von Herzen
um Verſoͤhnung.“
Alle Anweſenden ſahen ſich an und ſchwiegen. Herr Stil-
ling konnte das unmoͤglich ausſtehen. Herr Paſtor! ſagte
er, das bricht mir mein Herz! — Wir ſind Menſchen und
fehlen Alle; ich hab’ Ihnen unendlich viel zu danken, Sie
haben mir die Grundwahrheiten unſerer Religion beigebracht,
und vielleicht hab’ ich Ihnen oft Anlaß zur Aergerniß gegeben,
ich bin alſo der Erſte, der Sie von Grund ſeiner Seele um
Verzeihung bittet, wo er Sie beleidigt hat. Der Paſtor wurde
ſo geruͤhrt, daß ihm die Thraͤnen die Wangen herunter liefen;
er ſtand auf, umarmte Stillingen und ſagte: Ich hab’ Sie
oft beleidigt. Ich bedaure es und wir ſind Bruͤder. Nein,
ſagte Stilling, Sie ſind mein Vater! geben Sie mir Ihren
Segen! Stollbein hielt ihn noch feſt in den Armen und
ſagte: Sie ſind geſegnet, Sie und Ihre ganze Familie, und
das um des Mannes willen, der ſo oft mein Stolz und meine
Freude war.
Dieſer Auftritt war ſo unerwartet und ſo ruͤhrend, daß die
mehrſten Anweſenden Thraͤnen in Menge vergoßen, Stilling
und Stollbein aber am mehrſten.
Nun ſtand der Prediger auf, ging herab zu Schoͤffe Keil-
hof und den uͤbrigen Florenburgern, laͤchelte und ſagte: Sollen
wir denn auch an dieſem Rechnungstage unſre Rechnung zu-
ſammen abmachen? Keilhof antwortete: Wir ſind Ihnen
nicht boͤſe! — Ja! verſetzte Herr Stollbein, davon iſt hier
die Rede nicht. Ich bitte Euch alle feierlich um Vergebung,
wo ich Euch beleidigt habe! — Wir vergeben Ihnen gerne,
erwiederte Keilhof, aber das muͤßten Sie auf der Kanzel
thun.
Stollbein fuͤhlte ſein ganzes Feuer wieder, doch ſchwieg
er ſtill und ſetzte ſich neben Stilling hin. Dieſer aber wurde
ſo voll Eifer, daß er im Geſicht gluͤhte. Herr Schoͤffe!
fing er an! Sie ſind nicht werth, daß Ihnen Gott
Ihre Suͤnden vergibt, ſo lange Sie ſo denken. Der
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/200>, abgerufen am 16.02.2025.
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