Euch fort wollte. Ich haßte darum, daß Ihr bei Krüger wa- ret, weil Euch der gewiß vor und nach auf seine Seite und von mir ab würde gezogen haben, ich durfte aber auch nicht sagen, warum ich so mit Euch verfuhr, ich meinte es aber gut. Wärt Ihr am Handwerk geblieben, so hättet Ihr jetzt Kleider auf dem Leib und so viel Geld in der Hand, um Euch helfen zu können. Und was hätte es Euch denn geschadet, es ist ja jetzt noch früh genug für Euch, um glücklich zu werden. Hört! die hiesige lateinische Schule ist vacant, Ihr sollt hier Rector wer- den; Ihr habt Kopf genug, dasjenige bald einzuholen, was Euch etwa noch an Wissenschaften und Sprachen fehlen könnte."
Stillings Herz erweiterte sich. Er sah sich gleichsam aus einem finstern Kerker in ein Paradies versetzt. Er konnte nicht Worte genug finden, dem Pastor zu danken; wiewohl er doch einen heimlichen Schauer fühlte, wieder eine Schulbedienung anzutreten.
Herr Stollbein fuhr indessen fort: "Nur Ein Knoten ist hier aufzulösen. Der hiesige Magistrat muß dazu disponirt wer- den, ich habe schon in geheim gearbeitet, die Leute sondirt und sie geneigt für Euch gefunden. Allein Ihr wißt, wie's hier ge- stellt ist, sobald ich nur anfange, etwas Nützliches durchzusetzen, so halten sie mir gerade deßwegen das Widerspiel, weil ich der Pastor bin, deßwegen müssen wir ein wenig simuliren und sehen, wie sich das Ding schicken wird. Bleibet Ihr nur ruhig an Eurem Handwerk, bis ich Euch sage, was Ihr thun sollt."
Stilling war zu Allem willig und ging wieder auf seine Werkstatt.
Vor Weihnachten hatte Wilhelm Stilling sehr viele Klei- der zu machen, daher nahm er seinen Sohn zu sich, damit er ihm helfen möchte. Kaum war er einige Tage wieder zu Lein- dorf gewesen, als ein vornehmer Florenburger, der Gerichts- schöffe Keilhof, zur Stubenthüre hereintrat. Stilling blühte eine Rose im Herzen auf, ihm ahnete ein glücklicher Wechsel.
Keilhof war Stollbeins größter Feind; nun hatte er eine heimliche Bewegung gemerkt, daß man damit umging, Stilling zum Rector zu wählen, und dieses war so recht nach
Euch fort wollte. Ich haßte darum, daß Ihr bei Kruͤger wa- ret, weil Euch der gewiß vor und nach auf ſeine Seite und von mir ab wuͤrde gezogen haben, ich durfte aber auch nicht ſagen, warum ich ſo mit Euch verfuhr, ich meinte es aber gut. Waͤrt Ihr am Handwerk geblieben, ſo haͤttet Ihr jetzt Kleider auf dem Leib und ſo viel Geld in der Hand, um Euch helfen zu koͤnnen. Und was haͤtte es Euch denn geſchadet, es iſt ja jetzt noch fruͤh genug fuͤr Euch, um gluͤcklich zu werden. Hoͤrt! die hieſige lateiniſche Schule iſt vacant, Ihr ſollt hier Rector wer- den; Ihr habt Kopf genug, dasjenige bald einzuholen, was Euch etwa noch an Wiſſenſchaften und Sprachen fehlen koͤnnte.“
Stillings Herz erweiterte ſich. Er ſah ſich gleichſam aus einem finſtern Kerker in ein Paradies verſetzt. Er konnte nicht Worte genug finden, dem Paſtor zu danken; wiewohl er doch einen heimlichen Schauer fuͤhlte, wieder eine Schulbedienung anzutreten.
Herr Stollbein fuhr indeſſen fort: „Nur Ein Knoten iſt hier aufzuloͤſen. Der hieſige Magiſtrat muß dazu diſponirt wer- den, ich habe ſchon in geheim gearbeitet, die Leute ſondirt und ſie geneigt fuͤr Euch gefunden. Allein Ihr wißt, wie’s hier ge- ſtellt iſt, ſobald ich nur anfange, etwas Nuͤtzliches durchzuſetzen, ſo halten ſie mir gerade deßwegen das Widerſpiel, weil ich der Paſtor bin, deßwegen muͤſſen wir ein wenig ſimuliren und ſehen, wie ſich das Ding ſchicken wird. Bleibet Ihr nur ruhig an Eurem Handwerk, bis ich Euch ſage, was Ihr thun ſollt.“
Stilling war zu Allem willig und ging wieder auf ſeine Werkſtatt.
Vor Weihnachten hatte Wilhelm Stilling ſehr viele Klei- der zu machen, daher nahm er ſeinen Sohn zu ſich, damit er ihm helfen moͤchte. Kaum war er einige Tage wieder zu Lein- dorf geweſen, als ein vornehmer Florenburger, der Gerichts- ſchoͤffe Keilhof, zur Stubenthuͤre hereintrat. Stilling bluͤhte eine Roſe im Herzen auf, ihm ahnete ein gluͤcklicher Wechſel.
Keilhof war Stollbeins groͤßter Feind; nun hatte er eine heimliche Bewegung gemerkt, daß man damit umging, Stilling zum Rector zu waͤhlen, und dieſes war ſo recht nach
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Euch fort wollte. Ich haßte darum, daß Ihr bei Kruͤger wa-
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ſagen, warum ich ſo mit Euch verfuhr, ich meinte es aber gut.
Waͤrt Ihr am Handwerk geblieben, ſo haͤttet Ihr jetzt Kleider
auf dem Leib und ſo viel Geld in der Hand, um Euch helfen zu
koͤnnen. Und was haͤtte es Euch denn geſchadet, es iſt ja jetzt
noch fruͤh genug fuͤr Euch, um gluͤcklich zu werden. Hoͤrt! die
hieſige lateiniſche Schule iſt vacant, Ihr ſollt hier Rector wer-
den; Ihr habt Kopf genug, dasjenige bald einzuholen, was Euch
etwa noch an Wiſſenſchaften und Sprachen fehlen koͤnnte.“
Stillings Herz erweiterte ſich. Er ſah ſich gleichſam aus
einem finſtern Kerker in ein Paradies verſetzt. Er konnte nicht
Worte genug finden, dem Paſtor zu danken; wiewohl er doch
einen heimlichen Schauer fuͤhlte, wieder eine Schulbedienung
anzutreten.
Herr Stollbein fuhr indeſſen fort: „Nur Ein Knoten iſt
hier aufzuloͤſen. Der hieſige Magiſtrat muß dazu diſponirt wer-
den, ich habe ſchon in geheim gearbeitet, die Leute ſondirt und
ſie geneigt fuͤr Euch gefunden. Allein Ihr wißt, wie’s hier ge-
ſtellt iſt, ſobald ich nur anfange, etwas Nuͤtzliches durchzuſetzen,
ſo halten ſie mir gerade deßwegen das Widerſpiel, weil ich der
Paſtor bin, deßwegen muͤſſen wir ein wenig ſimuliren und ſehen,
wie ſich das Ding ſchicken wird. Bleibet Ihr nur ruhig an
Eurem Handwerk, bis ich Euch ſage, was Ihr thun ſollt.“
Stilling war zu Allem willig und ging wieder auf ſeine
Werkſtatt.
Vor Weihnachten hatte Wilhelm Stilling ſehr viele Klei-
der zu machen, daher nahm er ſeinen Sohn zu ſich, damit er
ihm helfen moͤchte. Kaum war er einige Tage wieder zu Lein-
dorf geweſen, als ein vornehmer Florenburger, der Gerichts-
ſchoͤffe Keilhof, zur Stubenthuͤre hereintrat. Stilling
bluͤhte eine Roſe im Herzen auf, ihm ahnete ein gluͤcklicher
Wechſel.
Keilhof war Stollbeins groͤßter Feind; nun hatte er
eine heimliche Bewegung gemerkt, daß man damit umging,
Stilling zum Rector zu waͤhlen, und dieſes war ſo recht nach
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/193>, abgerufen am 24.11.2024.
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