und Müdigkeit, allein das half alles nichts, vielleicht hätte sich sein Vater über ihn erbarmt, allein die Mutter wollte haben, daß ein jeder im Hause Brod und Kleider verdienen sollte. Dazu kam noch ein Umstand. Stilling konnte mit dem Schullohn niemals auskommen, denn er ist in dasigen Gegenden außeror- dentlich klein; fünf und zwanzig Reichsthaler des Jahrs ist das Höchste, was einer bekommen kann; Speise und Trank geben einem die Bauern um die Reihe. Daher können die Schulmeister alle ein Handwerk, welches sie in den übrigen Stunden treiben, um sich desto besser durchzuhelfen. Das war aber nun Stillings Sache nicht, er wußte in der übrigen Zeit weit was Angenehmeres zu verrichten; dazu kam noch, daß er zuweilen ein Buch oder sonst Etwas kaufte, das in sei- nem Kram diente, daher gerieth er in dürftige Umstände, seine Kleider waren schlecht und abgetragen, so daß er aussah, als einer, der gern will und kann nicht.
Wilhelm war sparsam, und seine Frau in einem noch höhern Grade; dazu bekam sie verschiedene Kinder nach einander, so daß der Vater Mühe genug hatte, sich und die Seinigen zu nähren. Nun glaubte er, sein Sohn wäre groß und stark ge- nug, sich seine Nothdurft selbst zu erwerben. Als das nun so nicht recht fort wollte, wie er dachte, so wurde der gute Mann traurig und fing an zu zweifeln, ob sein Sohn auch wohl end- lich gar ein liederlicher Taugenichts werden könnte. Er fing an, ihm seine Liebe zu entziehen, fuhr ihn rauh an und zwang ihn, alle Arbeit zu thun, es mochte ihm sauer werden oder nicht. Dieses war nun vollends der letzte Stoß, der Stil- lingen noch gefehlt hatte. Er sah, daß ers auf die Länge nicht aushalten würde; ihm grauete vor seines Vaters Haus, deßwegen suchte er Gelegenheit, bei andern Schneidermeistern als Geselle zu arbeiten, und dieses ließ sein Vater gern geschehen.
Doch kamen auch zuweilen noch freudige Blicke dazwischen. Johann Stilling wurde wegen seiner großen Geschicklich- keit in der Geometrie, Markscheidekunst und Mechanik, und wegen seiner Treue fürs Vaterland, zum Commercien-Präsi- denten gemacht, deßwegen übertrug er seinem Bruder die Land- messerei, welche Wilhelm auch aus dem Grunde verstand.
und Muͤdigkeit, allein das half alles nichts, vielleicht haͤtte ſich ſein Vater uͤber ihn erbarmt, allein die Mutter wollte haben, daß ein jeder im Hauſe Brod und Kleider verdienen ſollte. Dazu kam noch ein Umſtand. Stilling konnte mit dem Schullohn niemals auskommen, denn er iſt in daſigen Gegenden außeror- dentlich klein; fuͤnf und zwanzig Reichsthaler des Jahrs iſt das Hoͤchſte, was einer bekommen kann; Speiſe und Trank geben einem die Bauern um die Reihe. Daher koͤnnen die Schulmeiſter alle ein Handwerk, welches ſie in den uͤbrigen Stunden treiben, um ſich deſto beſſer durchzuhelfen. Das war aber nun Stillings Sache nicht, er wußte in der uͤbrigen Zeit weit was Angenehmeres zu verrichten; dazu kam noch, daß er zuweilen ein Buch oder ſonſt Etwas kaufte, das in ſei- nem Kram diente, daher gerieth er in duͤrftige Umſtaͤnde, ſeine Kleider waren ſchlecht und abgetragen, ſo daß er ausſah, als einer, der gern will und kann nicht.
Wilhelm war ſparſam, und ſeine Frau in einem noch hoͤhern Grade; dazu bekam ſie verſchiedene Kinder nach einander, ſo daß der Vater Muͤhe genug hatte, ſich und die Seinigen zu naͤhren. Nun glaubte er, ſein Sohn waͤre groß und ſtark ge- nug, ſich ſeine Nothdurft ſelbſt zu erwerben. Als das nun ſo nicht recht fort wollte, wie er dachte, ſo wurde der gute Mann traurig und fing an zu zweifeln, ob ſein Sohn auch wohl end- lich gar ein liederlicher Taugenichts werden koͤnnte. Er fing an, ihm ſeine Liebe zu entziehen, fuhr ihn rauh an und zwang ihn, alle Arbeit zu thun, es mochte ihm ſauer werden oder nicht. Dieſes war nun vollends der letzte Stoß, der Stil- lingen noch gefehlt hatte. Er ſah, daß ers auf die Laͤnge nicht aushalten wuͤrde; ihm grauete vor ſeines Vaters Haus, deßwegen ſuchte er Gelegenheit, bei andern Schneidermeiſtern als Geſelle zu arbeiten, und dieſes ließ ſein Vater gern geſchehen.
Doch kamen auch zuweilen noch freudige Blicke dazwiſchen. Johann Stilling wurde wegen ſeiner großen Geſchicklich- keit in der Geometrie, Markſcheidekunſt und Mechanik, und wegen ſeiner Treue fuͤrs Vaterland, zum Commercien-Praͤſi- denten gemacht, deßwegen uͤbertrug er ſeinem Bruder die Land- meſſerei, welche Wilhelm auch aus dem Grunde verſtand.
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kam noch ein Umſtand. Stilling konnte mit dem Schullohn
niemals auskommen, denn er iſt in daſigen Gegenden außeror-
dentlich klein; fuͤnf und zwanzig Reichsthaler des Jahrs iſt
das Hoͤchſte, was einer bekommen kann; Speiſe und Trank
geben einem die Bauern um die Reihe. Daher koͤnnen die
Schulmeiſter alle ein Handwerk, welches ſie in den uͤbrigen
Stunden treiben, um ſich deſto beſſer durchzuhelfen. Das war
aber nun Stillings Sache nicht, er wußte in der uͤbrigen
Zeit weit was Angenehmeres zu verrichten; dazu kam noch,
daß er zuweilen ein Buch oder ſonſt Etwas kaufte, das in ſei-
nem Kram diente, daher gerieth er in duͤrftige Umſtaͤnde, ſeine
Kleider waren ſchlecht und abgetragen, ſo daß er ausſah, als
einer, der gern will und kann nicht.
Wilhelm war ſparſam, und ſeine Frau in einem noch hoͤhern
Grade; dazu bekam ſie verſchiedene Kinder nach einander, ſo
daß der Vater Muͤhe genug hatte, ſich und die Seinigen zu
naͤhren. Nun glaubte er, ſein Sohn waͤre groß und ſtark ge-
nug, ſich ſeine Nothdurft ſelbſt zu erwerben. Als das nun ſo
nicht recht fort wollte, wie er dachte, ſo wurde der gute Mann
traurig und fing an zu zweifeln, ob ſein Sohn auch wohl end-
lich gar ein liederlicher Taugenichts werden koͤnnte. Er fing
an, ihm ſeine Liebe zu entziehen, fuhr ihn rauh an und zwang
ihn, alle Arbeit zu thun, es mochte ihm ſauer werden oder
nicht. Dieſes war nun vollends der letzte Stoß, der Stil-
lingen noch gefehlt hatte. Er ſah, daß ers auf die Laͤnge
nicht aushalten wuͤrde; ihm grauete vor ſeines Vaters Haus,
deßwegen ſuchte er Gelegenheit, bei andern Schneidermeiſtern
als Geſelle zu arbeiten, und dieſes ließ ſein Vater gern geſchehen.
Doch kamen auch zuweilen noch freudige Blicke dazwiſchen.
Johann Stilling wurde wegen ſeiner großen Geſchicklich-
keit in der Geometrie, Markſcheidekunſt und Mechanik, und
wegen ſeiner Treue fuͤrs Vaterland, zum Commercien-Praͤſi-
denten gemacht, deßwegen uͤbertrug er ſeinem Bruder die Land-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/184>, abgerufen am 22.11.2024.
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