Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

ton, noch Leibnitz, noch jeder Andere hat ihm Genüge
thun können; doch hat er mir gestanden, daß er jetzt auf der
wahren Spur sey, und daß er zu seiner Zeit damit aus Licht
treten werde.

Damalen schien ihm die Alchymie der Weg dahin zu seyn,
und deßwegen las er alle Schriften von der Art, die er nur
auftreiben konnte. Allein es war Etwas in ihm, das immer-
fort rief: Wo ist der Beweis, daß es wahr ist? -- Er kannte
nur drei Quellen der Wahrheit: Erfahrung, mathematische
Ueberführung und die Bibel, und alle drei Quellen wollten ihm
gar keinen Aufschluß in der Alchymie geben, deßwegen ver-
ließ er sie vor der Hand ganz.

Einstmals besuchte er seinen Freund Graser an einem Sam-
stag Nachmittag; er fand ihn allein auf der Schule sitzen, allwo
er Etwas ausstach, das einem Pettschaft ähnlich war. Stil-
ling
fragte: Herr College! was machen Sie da?

"Ich stech' ein Pettschaft."

Lassen sie mich doch sehen, das ist ja feine Arbeit!

"Es gehört für den Herrn von N. Hören Sie, mein Freund
"Stilling! ich wollte Ihnen gern helfen, daß Sie ohne den
"Schulstand und die Schneiderei zu Brod kommen könnten.
"Ich beschwöre Sie bei Gott, daß Sie mich nicht verrathen
"wollen."

Stilling gab ihm die Hand darauf und sagte: Ich werde
Sie gewiß nicht verrathen.

"Nun so hören Sie! ich hab' ein Geheimniß; ich kann Ku-
"pfer in Silber verwandeln, ich will Sie in Compagnie neh-
"men und Ihnen die Hälfte von dem Gewinn geben; indessen
"sollen Sie zuweilen einige Tage heimlich verreisen, und das
"Silber an gewisse Leute zu veräußern suchen."

Stilling saß und dachte der Sache nach; der ganze Vor-
trag gefiel ihm nicht, denn erstlich ging der Trieb nicht dahin,
viel Geld zu erwerben, sondern nur Erkenntniß der Wahrheit
und Wissenschaften zu erlangen, um Gott und dem Nächsten
damit zu dienen; und fürs zweite kam ihm bei seiner geringen
Weltkenntniß die ganze Sache doch verdächtig vor; denn je
mehr er nach dem Pettschaft blickte, je mehr wurde er über-

ton, noch Leibnitz, noch jeder Andere hat ihm Genuͤge
thun koͤnnen; doch hat er mir geſtanden, daß er jetzt auf der
wahren Spur ſey, und daß er zu ſeiner Zeit damit aus Licht
treten werde.

Damalen ſchien ihm die Alchymie der Weg dahin zu ſeyn,
und deßwegen las er alle Schriften von der Art, die er nur
auftreiben konnte. Allein es war Etwas in ihm, das immer-
fort rief: Wo iſt der Beweis, daß es wahr iſt? — Er kannte
nur drei Quellen der Wahrheit: Erfahrung, mathematiſche
Ueberfuͤhrung und die Bibel, und alle drei Quellen wollten ihm
gar keinen Aufſchluß in der Alchymie geben, deßwegen ver-
ließ er ſie vor der Hand ganz.

Einſtmals beſuchte er ſeinen Freund Graſer an einem Sam-
ſtag Nachmittag; er fand ihn allein auf der Schule ſitzen, allwo
er Etwas ausſtach, das einem Pettſchaft aͤhnlich war. Stil-
ling
fragte: Herr College! was machen Sie da?

„Ich ſtech’ ein Pettſchaft.“

Laſſen ſie mich doch ſehen, das iſt ja feine Arbeit!

„Es gehoͤrt fuͤr den Herrn von N. Hoͤren Sie, mein Freund
Stilling! ich wollte Ihnen gern helfen, daß Sie ohne den
„Schulſtand und die Schneiderei zu Brod kommen koͤnnten.
„Ich beſchwoͤre Sie bei Gott, daß Sie mich nicht verrathen
„wollen.“

Stilling gab ihm die Hand darauf und ſagte: Ich werde
Sie gewiß nicht verrathen.

„Nun ſo hoͤren Sie! ich hab’ ein Geheimniß; ich kann Ku-
„pfer in Silber verwandeln, ich will Sie in Compagnie neh-
„men und Ihnen die Haͤlfte von dem Gewinn geben; indeſſen
„ſollen Sie zuweilen einige Tage heimlich verreiſen, und das
„Silber an gewiſſe Leute zu veraͤußern ſuchen.“

Stilling ſaß und dachte der Sache nach; der ganze Vor-
trag gefiel ihm nicht, denn erſtlich ging der Trieb nicht dahin,
viel Geld zu erwerben, ſondern nur Erkenntniß der Wahrheit
und Wiſſenſchaften zu erlangen, um Gott und dem Naͤchſten
damit zu dienen; und fuͤrs zweite kam ihm bei ſeiner geringen
Weltkenntniß die ganze Sache doch verdaͤchtig vor; denn je
mehr er nach dem Pettſchaft blickte, je mehr wurde er uͤber-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><hi rendition="#g"><pb facs="#f0166" n="158"/>
ton</hi>, noch <hi rendition="#g">Leibnitz</hi>, noch jeder Andere hat ihm Genu&#x0364;ge<lb/>
thun ko&#x0364;nnen; doch hat er mir ge&#x017F;tanden, daß er jetzt auf der<lb/>
wahren Spur &#x017F;ey, und daß er zu &#x017F;einer Zeit damit aus Licht<lb/>
treten werde.</p><lb/>
            <p>Damalen &#x017F;chien ihm die Alchymie der Weg dahin zu &#x017F;eyn,<lb/>
und deßwegen las er alle Schriften von der Art, die er nur<lb/>
auftreiben konnte. Allein es war Etwas in ihm, das immer-<lb/>
fort rief: Wo i&#x017F;t der Beweis, daß es wahr i&#x017F;t? &#x2014; Er kannte<lb/>
nur drei Quellen der Wahrheit: Erfahrung, mathemati&#x017F;che<lb/>
Ueberfu&#x0364;hrung und die Bibel, und alle drei Quellen wollten ihm<lb/>
gar keinen Auf&#x017F;chluß in der Alchymie geben, deßwegen ver-<lb/>
ließ er &#x017F;ie vor der Hand ganz.</p><lb/>
            <p>Ein&#x017F;tmals be&#x017F;uchte er &#x017F;einen Freund <hi rendition="#g">Gra&#x017F;er</hi> an einem Sam-<lb/>
&#x017F;tag Nachmittag; er fand ihn allein auf der Schule &#x017F;itzen, allwo<lb/>
er Etwas aus&#x017F;tach, das einem Pett&#x017F;chaft a&#x0364;hnlich war. <hi rendition="#g">Stil-<lb/>
ling</hi> fragte: Herr College! was machen Sie da?</p><lb/>
            <p>&#x201E;Ich &#x017F;tech&#x2019; ein Pett&#x017F;chaft.&#x201C;</p><lb/>
            <p>La&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie mich doch &#x017F;ehen, das i&#x017F;t ja feine Arbeit!</p><lb/>
            <p>&#x201E;Es geho&#x0364;rt fu&#x0364;r den Herrn von N. Ho&#x0364;ren Sie, mein Freund<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#g">Stilling</hi>! ich wollte Ihnen gern helfen, daß Sie ohne den<lb/>
&#x201E;Schul&#x017F;tand und die Schneiderei zu Brod kommen ko&#x0364;nnten.<lb/>
&#x201E;Ich be&#x017F;chwo&#x0364;re Sie bei Gott, daß Sie mich nicht verrathen<lb/>
&#x201E;wollen.&#x201C;</p><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Stilling</hi> gab ihm die Hand darauf und &#x017F;agte: Ich werde<lb/>
Sie gewiß nicht verrathen.</p><lb/>
            <p>&#x201E;Nun &#x017F;o ho&#x0364;ren Sie! ich hab&#x2019; ein Geheimniß; ich kann Ku-<lb/>
&#x201E;pfer in Silber verwandeln, ich will Sie in Compagnie neh-<lb/>
&#x201E;men und Ihnen die Ha&#x0364;lfte von dem Gewinn geben; inde&#x017F;&#x017F;en<lb/>
&#x201E;&#x017F;ollen Sie zuweilen einige Tage heimlich verrei&#x017F;en, und das<lb/>
&#x201E;Silber an gewi&#x017F;&#x017F;e Leute zu vera&#x0364;ußern &#x017F;uchen.&#x201C;</p><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Stilling</hi> &#x017F;aß und dachte der Sache nach; der ganze Vor-<lb/>
trag gefiel ihm nicht, denn er&#x017F;tlich ging der Trieb nicht dahin,<lb/>
viel Geld zu erwerben, &#x017F;ondern nur Erkenntniß der Wahrheit<lb/>
und Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften zu erlangen, um Gott und dem Na&#x0364;ch&#x017F;ten<lb/>
damit zu dienen; und fu&#x0364;rs zweite kam ihm bei &#x017F;einer geringen<lb/>
Weltkenntniß die ganze Sache doch verda&#x0364;chtig vor; denn je<lb/>
mehr er nach dem Pett&#x017F;chaft blickte, je mehr wurde er u&#x0364;ber-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[158/0166] ton, noch Leibnitz, noch jeder Andere hat ihm Genuͤge thun koͤnnen; doch hat er mir geſtanden, daß er jetzt auf der wahren Spur ſey, und daß er zu ſeiner Zeit damit aus Licht treten werde. Damalen ſchien ihm die Alchymie der Weg dahin zu ſeyn, und deßwegen las er alle Schriften von der Art, die er nur auftreiben konnte. Allein es war Etwas in ihm, das immer- fort rief: Wo iſt der Beweis, daß es wahr iſt? — Er kannte nur drei Quellen der Wahrheit: Erfahrung, mathematiſche Ueberfuͤhrung und die Bibel, und alle drei Quellen wollten ihm gar keinen Aufſchluß in der Alchymie geben, deßwegen ver- ließ er ſie vor der Hand ganz. Einſtmals beſuchte er ſeinen Freund Graſer an einem Sam- ſtag Nachmittag; er fand ihn allein auf der Schule ſitzen, allwo er Etwas ausſtach, das einem Pettſchaft aͤhnlich war. Stil- ling fragte: Herr College! was machen Sie da? „Ich ſtech’ ein Pettſchaft.“ Laſſen ſie mich doch ſehen, das iſt ja feine Arbeit! „Es gehoͤrt fuͤr den Herrn von N. Hoͤren Sie, mein Freund „Stilling! ich wollte Ihnen gern helfen, daß Sie ohne den „Schulſtand und die Schneiderei zu Brod kommen koͤnnten. „Ich beſchwoͤre Sie bei Gott, daß Sie mich nicht verrathen „wollen.“ Stilling gab ihm die Hand darauf und ſagte: Ich werde Sie gewiß nicht verrathen. „Nun ſo hoͤren Sie! ich hab’ ein Geheimniß; ich kann Ku- „pfer in Silber verwandeln, ich will Sie in Compagnie neh- „men und Ihnen die Haͤlfte von dem Gewinn geben; indeſſen „ſollen Sie zuweilen einige Tage heimlich verreiſen, und das „Silber an gewiſſe Leute zu veraͤußern ſuchen.“ Stilling ſaß und dachte der Sache nach; der ganze Vor- trag gefiel ihm nicht, denn erſtlich ging der Trieb nicht dahin, viel Geld zu erwerben, ſondern nur Erkenntniß der Wahrheit und Wiſſenſchaften zu erlangen, um Gott und dem Naͤchſten damit zu dienen; und fuͤrs zweite kam ihm bei ſeiner geringen Weltkenntniß die ganze Sache doch verdaͤchtig vor; denn je mehr er nach dem Pettſchaft blickte, je mehr wurde er uͤber-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/166
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/166>, abgerufen am 18.05.2024.