deßwegen gingen Caspar und Stilling Sonntags Nach- mittags spazieren, alsdann floßen ihre Seelen in einander über; besonders hatte Caspar eine feste Ueberzeugung in seinem Gemüth, daß sein Freund Stilling vom himmlischen Vater zu weit was anders, als zum Schulhalten und Schnei- derhandwerk bestimmt sey, er konnte das unwidersprechlich darthun, daß Stilling ruhig und großmüthig beschloß, alle seine Schicksale geduldig zu ertragen. Um Weihnachten blickte ihn das Glück wieder freundlich an. Die Kleefelder Vor- steher kamen und beriefen ihn zu ihrem Schulmeister; dieses war nun die beste und schönste Kapellenschule im ganzen Für- stenthum Salen. Er wurde wieder ganz lebendig, dankte Gott auf den Knien und zog hin. Sein Vater gab ihm beim Abschied die treusten Ermahnungen, und er selber that, so zu sagen, ein Gelübde, jetzt alle seine Geschicklichkeit und Wissen- schaft anzuwenden, um im Schulhalten den höchsten Ruhm davon zu tragen. Die Vorsteher gingen mit ihm nach Salen, und er wurde daselbst vor dem Consistorium von dem Inspec- tor Meinhold bestätiget.
Mit diesem festen Entschluß trat er mit dem Anfang des 1760sten Jahrs, im zwanzigsten seines Alters, dieses Amt wieder an, und bediente dasselbe mit solchem Ernst und Eifer, daß es rund umher bekannt wurde, und alle seine Feinde und Mißgönner fingen an zu schweigen, seine Freunde aber zu triumphiren; er beharrte auch in dieser Treue, so lange er da war. Demungeachtet setzte er doch seine Lectüre in den übrigen Stunden fort. Das Clavier und die Mathematik waren sein Hauptwerk; indessen wurden doch Dichter und Romane nicht vergessen. Gegen das Frühjahr wurde er mit einem Amts-Collegen bekannt, der Graser hieß und das Thal hinauf, eine starke halbe Stunde weit von Kleefeld, auf dem Dorf Kleinhoven Schule hielt. Dieser Mensch war einer von denjenigen, die immer mit vielbedeutender Miene stillschweigen und im Verborgenen handeln.
Ich hab' oft Lust gehabt, die Menschen zu classificiren, und da möcht' ich die Classe, worunter Graser gehörte, die launigte nennen. Die besten Menschen darin sind stille Be-
deßwegen gingen Caſpar und Stilling Sonntags Nach- mittags ſpazieren, alsdann floßen ihre Seelen in einander uͤber; beſonders hatte Caſpar eine feſte Ueberzeugung in ſeinem Gemuͤth, daß ſein Freund Stilling vom himmliſchen Vater zu weit was anders, als zum Schulhalten und Schnei- derhandwerk beſtimmt ſey, er konnte das unwiderſprechlich darthun, daß Stilling ruhig und großmuͤthig beſchloß, alle ſeine Schickſale geduldig zu ertragen. Um Weihnachten blickte ihn das Gluͤck wieder freundlich an. Die Kleefelder Vor- ſteher kamen und beriefen ihn zu ihrem Schulmeiſter; dieſes war nun die beſte und ſchoͤnſte Kapellenſchule im ganzen Fuͤr- ſtenthum Salen. Er wurde wieder ganz lebendig, dankte Gott auf den Knien und zog hin. Sein Vater gab ihm beim Abſchied die treuſten Ermahnungen, und er ſelber that, ſo zu ſagen, ein Geluͤbde, jetzt alle ſeine Geſchicklichkeit und Wiſſen- ſchaft anzuwenden, um im Schulhalten den hoͤchſten Ruhm davon zu tragen. Die Vorſteher gingen mit ihm nach Salen, und er wurde daſelbſt vor dem Conſiſtorium von dem Inſpec- tor Meinhold beſtaͤtiget.
Mit dieſem feſten Entſchluß trat er mit dem Anfang des 1760ſten Jahrs, im zwanzigſten ſeines Alters, dieſes Amt wieder an, und bediente daſſelbe mit ſolchem Ernſt und Eifer, daß es rund umher bekannt wurde, und alle ſeine Feinde und Mißgoͤnner fingen an zu ſchweigen, ſeine Freunde aber zu triumphiren; er beharrte auch in dieſer Treue, ſo lange er da war. Demungeachtet ſetzte er doch ſeine Lectuͤre in den uͤbrigen Stunden fort. Das Clavier und die Mathematik waren ſein Hauptwerk; indeſſen wurden doch Dichter und Romane nicht vergeſſen. Gegen das Fruͤhjahr wurde er mit einem Amts-Collegen bekannt, der Graſer hieß und das Thal hinauf, eine ſtarke halbe Stunde weit von Kleefeld, auf dem Dorf Kleinhoven Schule hielt. Dieſer Menſch war einer von denjenigen, die immer mit vielbedeutender Miene ſtillſchweigen und im Verborgenen handeln.
Ich hab’ oft Luſt gehabt, die Menſchen zu claſſificiren, und da moͤcht’ ich die Claſſe, worunter Graſer gehoͤrte, die launigte nennen. Die beſten Menſchen darin ſind ſtille Be-
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deßwegen gingen Caſpar und Stilling Sonntags Nach-
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ſeinem Gemuͤth, daß ſein Freund Stilling vom himmliſchen
Vater zu weit was anders, als zum Schulhalten und Schnei-
derhandwerk beſtimmt ſey, er konnte das unwiderſprechlich
darthun, daß Stilling ruhig und großmuͤthig beſchloß, alle
ſeine Schickſale geduldig zu ertragen. Um Weihnachten blickte
ihn das Gluͤck wieder freundlich an. Die Kleefelder Vor-
ſteher kamen und beriefen ihn zu ihrem Schulmeiſter; dieſes
war nun die beſte und ſchoͤnſte Kapellenſchule im ganzen Fuͤr-
ſtenthum Salen. Er wurde wieder ganz lebendig, dankte
Gott auf den Knien und zog hin. Sein Vater gab ihm beim
Abſchied die treuſten Ermahnungen, und er ſelber that, ſo zu
ſagen, ein Geluͤbde, jetzt alle ſeine Geſchicklichkeit und Wiſſen-
ſchaft anzuwenden, um im Schulhalten den hoͤchſten Ruhm
davon zu tragen. Die Vorſteher gingen mit ihm nach Salen,
und er wurde daſelbſt vor dem Conſiſtorium von dem Inſpec-
tor Meinhold beſtaͤtiget.
Mit dieſem feſten Entſchluß trat er mit dem Anfang des
1760ſten Jahrs, im zwanzigſten ſeines Alters, dieſes Amt
wieder an, und bediente daſſelbe mit ſolchem Ernſt und Eifer,
daß es rund umher bekannt wurde, und alle ſeine Feinde und
Mißgoͤnner fingen an zu ſchweigen, ſeine Freunde aber zu
triumphiren; er beharrte auch in dieſer Treue, ſo lange er
da war. Demungeachtet ſetzte er doch ſeine Lectuͤre in den
uͤbrigen Stunden fort. Das Clavier und die Mathematik
waren ſein Hauptwerk; indeſſen wurden doch Dichter und
Romane nicht vergeſſen. Gegen das Fruͤhjahr wurde er mit
einem Amts-Collegen bekannt, der Graſer hieß und das
Thal hinauf, eine ſtarke halbe Stunde weit von Kleefeld,
auf dem Dorf Kleinhoven Schule hielt. Dieſer Menſch
war einer von denjenigen, die immer mit vielbedeutender Miene
ſtillſchweigen und im Verborgenen handeln.
Ich hab’ oft Luſt gehabt, die Menſchen zu claſſificiren,
und da moͤcht’ ich die Claſſe, worunter Graſer gehoͤrte, die
launigte nennen. Die beſten Menſchen darin ſind ſtille Be-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/164>, abgerufen am 24.11.2024.
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