Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

wurde das Andenken an den seligen Mann oft ernenert.

Die Haushaltung konnte auf dem Fuß, so wie sie jetzt
stand, nicht lange bestehen, deßwegen forderte die alte Mut-
ter ihren Eidam Simon mit seiner Frau Elisabeth wie-
der nach Haus. Denn sie hatten an einem andern Ort Haus
und Hof gepachtet, so lange der Vater lebte. Sie kamen mit
ihren Kindern und Geräthe, und übernahmen das väterliche
Erbe; alsbald wurde alles fremd, man brach eine Wand der
Stube ein, und baute sie vier Schuh weiter in den Hof. Si-
mon
hatte nicht Raum genug; er war kein Stilling --
und der eichene Tisch voll Segen und Gastfreiheit, der alte
biedere Tisch wurde mit einem gelben ahornenen, voller ver-
schlossener Schubladen verwechselt; er bekam seine Stelle auf
dem Balken hinter dem Schornstein. -- Heinrich wallfahr-
tete zuweilen hin, legte sich neben ihn auf den Boden, und
weinte. Simon fand ihn einmal in dieser Stellung, er fragte:
Heinrich, was machst du da? Dieser antwortete: ich weine
um den Tisch. Der Oheim lachte, und sagte: Du magst wohl
um ein altes eichenes Brett weinen! Heinrich wurde ärger-
lich und versetzte: dieses Gewerbe dahinten, und diesen Fuß
da, und diese Ausschnitte am Gewerbe hat mein Großvater
gemacht, -- wer ihn lieb hat, kann das nicht zerbrechen.
Simon wurde zornig und erwiederte: er war mir nicht groß
genug, und wo sollt' ich denn den meinigen lassen? Oheim!
sagte Heinrich, den solltet ihr hieher gestellt haben, bis
meine Großmutter todt ist, und wir andern fort sind.

Indessen veränderte sich alles; das sanfte Wehen des Stil-
ling'schen Geistes verwandelte sich ins Gebrause einer ängst-
lichen Begierde nach Geld und Gut. Margarethe empfand
dieses, und mit ihr ihre Kinder; sie zog sich zurück in einen
Winkel hinter den Ofen, und da verlebte sie ihre übrigen Jahre;
sie wurde starrblind, doch hinderte sie dieses nicht an ihrem
Flachsspinnen, womit sie ihre Zeit zubrachte.

Vater Stilling ist hin, nun will ich seinem Enkel, dem
jungen Heinrich, auf dem Fuß folgen, wo er hingeht, alles
Andere soll mich nicht aufhalten.



wurde das Andenken an den ſeligen Mann oft ernenert.

Die Haushaltung konnte auf dem Fuß, ſo wie ſie jetzt
ſtand, nicht lange beſtehen, deßwegen forderte die alte Mut-
ter ihren Eidam Simon mit ſeiner Frau Eliſabeth wie-
der nach Haus. Denn ſie hatten an einem andern Ort Haus
und Hof gepachtet, ſo lange der Vater lebte. Sie kamen mit
ihren Kindern und Geraͤthe, und uͤbernahmen das vaͤterliche
Erbe; alsbald wurde alles fremd, man brach eine Wand der
Stube ein, und baute ſie vier Schuh weiter in den Hof. Si-
mon
hatte nicht Raum genug; er war kein Stilling
und der eichene Tiſch voll Segen und Gaſtfreiheit, der alte
biedere Tiſch wurde mit einem gelben ahornenen, voller ver-
ſchloſſener Schubladen verwechſelt; er bekam ſeine Stelle auf
dem Balken hinter dem Schornſtein. — Heinrich wallfahr-
tete zuweilen hin, legte ſich neben ihn auf den Boden, und
weinte. Simon fand ihn einmal in dieſer Stellung, er fragte:
Heinrich, was machſt du da? Dieſer antwortete: ich weine
um den Tiſch. Der Oheim lachte, und ſagte: Du magſt wohl
um ein altes eichenes Brett weinen! Heinrich wurde aͤrger-
lich und verſetzte: dieſes Gewerbe dahinten, und dieſen Fuß
da, und dieſe Ausſchnitte am Gewerbe hat mein Großvater
gemacht, — wer ihn lieb hat, kann das nicht zerbrechen.
Simon wurde zornig und erwiederte: er war mir nicht groß
genug, und wo ſollt’ ich denn den meinigen laſſen? Oheim!
ſagte Heinrich, den ſolltet ihr hieher geſtellt haben, bis
meine Großmutter todt iſt, und wir andern fort ſind.

Indeſſen veraͤnderte ſich alles; das ſanfte Wehen des Stil-
ling’ſchen Geiſtes verwandelte ſich ins Gebrauſe einer aͤngſt-
lichen Begierde nach Geld und Gut. Margarethe empfand
dieſes, und mit ihr ihre Kinder; ſie zog ſich zuruͤck in einen
Winkel hinter den Ofen, und da verlebte ſie ihre uͤbrigen Jahre;
ſie wurde ſtarrblind, doch hinderte ſie dieſes nicht an ihrem
Flachsſpinnen, womit ſie ihre Zeit zubrachte.

Vater Stilling iſt hin, nun will ich ſeinem Enkel, dem
jungen Heinrich, auf dem Fuß folgen, wo er hingeht, alles
Andere ſoll mich nicht aufhalten.



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0110" n="102"/>
wurde das Andenken an den &#x017F;eligen Mann oft ernenert.</p><lb/>
            <p>Die Haushaltung konnte auf <hi rendition="#g">dem</hi> Fuß, &#x017F;o wie &#x017F;ie jetzt<lb/>
&#x017F;tand, nicht lange be&#x017F;tehen, deßwegen forderte die alte Mut-<lb/>
ter ihren Eidam <hi rendition="#g">Simon</hi> mit &#x017F;einer Frau <hi rendition="#g">Eli&#x017F;abeth</hi> wie-<lb/>
der nach Haus. Denn &#x017F;ie hatten an einem andern Ort Haus<lb/>
und Hof gepachtet, &#x017F;o lange der Vater lebte. Sie kamen mit<lb/>
ihren Kindern und Gera&#x0364;the, und u&#x0364;bernahmen das va&#x0364;terliche<lb/>
Erbe; alsbald wurde alles fremd, man brach eine Wand der<lb/>
Stube ein, und baute &#x017F;ie vier Schuh weiter in den Hof. <hi rendition="#g">Si-<lb/>
mon</hi> hatte nicht Raum genug; er war kein <hi rendition="#g">Stilling</hi> &#x2014;<lb/>
und der eichene Ti&#x017F;ch voll Segen und Ga&#x017F;tfreiheit, der alte<lb/>
biedere Ti&#x017F;ch wurde mit einem gelben ahornenen, voller ver-<lb/>
&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ener Schubladen verwech&#x017F;elt; er bekam &#x017F;eine Stelle auf<lb/>
dem Balken hinter dem Schorn&#x017F;tein. &#x2014; <hi rendition="#g">Heinrich</hi> wallfahr-<lb/>
tete zuweilen hin, legte &#x017F;ich neben ihn auf den Boden, und<lb/>
weinte. <hi rendition="#g">Simon</hi> fand ihn einmal in die&#x017F;er Stellung, er fragte:<lb/><hi rendition="#g">Heinrich</hi>, was mach&#x017F;t du da? Die&#x017F;er antwortete: ich weine<lb/>
um den Ti&#x017F;ch. Der Oheim lachte, und &#x017F;agte: Du mag&#x017F;t wohl<lb/>
um ein altes eichenes Brett weinen! <hi rendition="#g">Heinrich</hi> wurde a&#x0364;rger-<lb/>
lich und ver&#x017F;etzte: die&#x017F;es Gewerbe dahinten, und die&#x017F;en Fuß<lb/>
da, und die&#x017F;e Aus&#x017F;chnitte am Gewerbe hat mein Großvater<lb/>
gemacht, &#x2014; wer ihn lieb hat, kann das nicht zerbrechen.<lb/><hi rendition="#g">Simon</hi> wurde zornig und erwiederte: er war mir nicht groß<lb/>
genug, und wo &#x017F;ollt&#x2019; ich denn den meinigen la&#x017F;&#x017F;en? Oheim!<lb/>
&#x017F;agte <hi rendition="#g">Heinrich, den</hi> &#x017F;olltet ihr hieher ge&#x017F;tellt haben, bis<lb/>
meine Großmutter todt i&#x017F;t, und wir andern fort &#x017F;ind.</p><lb/>
            <p>Inde&#x017F;&#x017F;en vera&#x0364;nderte &#x017F;ich alles; das &#x017F;anfte Wehen des Stil-<lb/>
ling&#x2019;&#x017F;chen Gei&#x017F;tes verwandelte &#x017F;ich ins Gebrau&#x017F;e einer a&#x0364;ng&#x017F;t-<lb/>
lichen Begierde nach Geld und Gut. <hi rendition="#g">Margarethe</hi> empfand<lb/>
die&#x017F;es, und mit ihr ihre Kinder; &#x017F;ie zog &#x017F;ich zuru&#x0364;ck in einen<lb/>
Winkel hinter den Ofen, und da verlebte &#x017F;ie ihre u&#x0364;brigen Jahre;<lb/>
&#x017F;ie wurde &#x017F;tarrblind, doch hinderte &#x017F;ie die&#x017F;es nicht an ihrem<lb/>
Flachs&#x017F;pinnen, womit &#x017F;ie ihre Zeit zubrachte.</p><lb/>
            <p>Vater <hi rendition="#g">Stilling</hi> i&#x017F;t hin, nun will ich &#x017F;einem Enkel, dem<lb/>
jungen <hi rendition="#g">Heinrich</hi>, auf dem Fuß folgen, wo er hingeht, alles<lb/>
Andere &#x017F;oll mich nicht aufhalten.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[102/0110] wurde das Andenken an den ſeligen Mann oft ernenert. Die Haushaltung konnte auf dem Fuß, ſo wie ſie jetzt ſtand, nicht lange beſtehen, deßwegen forderte die alte Mut- ter ihren Eidam Simon mit ſeiner Frau Eliſabeth wie- der nach Haus. Denn ſie hatten an einem andern Ort Haus und Hof gepachtet, ſo lange der Vater lebte. Sie kamen mit ihren Kindern und Geraͤthe, und uͤbernahmen das vaͤterliche Erbe; alsbald wurde alles fremd, man brach eine Wand der Stube ein, und baute ſie vier Schuh weiter in den Hof. Si- mon hatte nicht Raum genug; er war kein Stilling — und der eichene Tiſch voll Segen und Gaſtfreiheit, der alte biedere Tiſch wurde mit einem gelben ahornenen, voller ver- ſchloſſener Schubladen verwechſelt; er bekam ſeine Stelle auf dem Balken hinter dem Schornſtein. — Heinrich wallfahr- tete zuweilen hin, legte ſich neben ihn auf den Boden, und weinte. Simon fand ihn einmal in dieſer Stellung, er fragte: Heinrich, was machſt du da? Dieſer antwortete: ich weine um den Tiſch. Der Oheim lachte, und ſagte: Du magſt wohl um ein altes eichenes Brett weinen! Heinrich wurde aͤrger- lich und verſetzte: dieſes Gewerbe dahinten, und dieſen Fuß da, und dieſe Ausſchnitte am Gewerbe hat mein Großvater gemacht, — wer ihn lieb hat, kann das nicht zerbrechen. Simon wurde zornig und erwiederte: er war mir nicht groß genug, und wo ſollt’ ich denn den meinigen laſſen? Oheim! ſagte Heinrich, den ſolltet ihr hieher geſtellt haben, bis meine Großmutter todt iſt, und wir andern fort ſind. Indeſſen veraͤnderte ſich alles; das ſanfte Wehen des Stil- ling’ſchen Geiſtes verwandelte ſich ins Gebrauſe einer aͤngſt- lichen Begierde nach Geld und Gut. Margarethe empfand dieſes, und mit ihr ihre Kinder; ſie zog ſich zuruͤck in einen Winkel hinter den Ofen, und da verlebte ſie ihre uͤbrigen Jahre; ſie wurde ſtarrblind, doch hinderte ſie dieſes nicht an ihrem Flachsſpinnen, womit ſie ihre Zeit zubrachte. Vater Stilling iſt hin, nun will ich ſeinem Enkel, dem jungen Heinrich, auf dem Fuß folgen, wo er hingeht, alles Andere ſoll mich nicht aufhalten.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/110
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/110>, abgerufen am 24.11.2024.