wurde das Andenken an den seligen Mann oft ernenert.
Die Haushaltung konnte auf dem Fuß, so wie sie jetzt stand, nicht lange bestehen, deßwegen forderte die alte Mut- ter ihren Eidam Simon mit seiner Frau Elisabeth wie- der nach Haus. Denn sie hatten an einem andern Ort Haus und Hof gepachtet, so lange der Vater lebte. Sie kamen mit ihren Kindern und Geräthe, und übernahmen das väterliche Erbe; alsbald wurde alles fremd, man brach eine Wand der Stube ein, und baute sie vier Schuh weiter in den Hof. Si- mon hatte nicht Raum genug; er war kein Stilling -- und der eichene Tisch voll Segen und Gastfreiheit, der alte biedere Tisch wurde mit einem gelben ahornenen, voller ver- schlossener Schubladen verwechselt; er bekam seine Stelle auf dem Balken hinter dem Schornstein. -- Heinrich wallfahr- tete zuweilen hin, legte sich neben ihn auf den Boden, und weinte. Simon fand ihn einmal in dieser Stellung, er fragte: Heinrich, was machst du da? Dieser antwortete: ich weine um den Tisch. Der Oheim lachte, und sagte: Du magst wohl um ein altes eichenes Brett weinen! Heinrich wurde ärger- lich und versetzte: dieses Gewerbe dahinten, und diesen Fuß da, und diese Ausschnitte am Gewerbe hat mein Großvater gemacht, -- wer ihn lieb hat, kann das nicht zerbrechen. Simon wurde zornig und erwiederte: er war mir nicht groß genug, und wo sollt' ich denn den meinigen lassen? Oheim! sagte Heinrich, den solltet ihr hieher gestellt haben, bis meine Großmutter todt ist, und wir andern fort sind.
Indessen veränderte sich alles; das sanfte Wehen des Stil- ling'schen Geistes verwandelte sich ins Gebrause einer ängst- lichen Begierde nach Geld und Gut. Margarethe empfand dieses, und mit ihr ihre Kinder; sie zog sich zurück in einen Winkel hinter den Ofen, und da verlebte sie ihre übrigen Jahre; sie wurde starrblind, doch hinderte sie dieses nicht an ihrem Flachsspinnen, womit sie ihre Zeit zubrachte.
Vater Stilling ist hin, nun will ich seinem Enkel, dem jungen Heinrich, auf dem Fuß folgen, wo er hingeht, alles Andere soll mich nicht aufhalten.
wurde das Andenken an den ſeligen Mann oft ernenert.
Die Haushaltung konnte auf dem Fuß, ſo wie ſie jetzt ſtand, nicht lange beſtehen, deßwegen forderte die alte Mut- ter ihren Eidam Simon mit ſeiner Frau Eliſabeth wie- der nach Haus. Denn ſie hatten an einem andern Ort Haus und Hof gepachtet, ſo lange der Vater lebte. Sie kamen mit ihren Kindern und Geraͤthe, und uͤbernahmen das vaͤterliche Erbe; alsbald wurde alles fremd, man brach eine Wand der Stube ein, und baute ſie vier Schuh weiter in den Hof. Si- mon hatte nicht Raum genug; er war kein Stilling — und der eichene Tiſch voll Segen und Gaſtfreiheit, der alte biedere Tiſch wurde mit einem gelben ahornenen, voller ver- ſchloſſener Schubladen verwechſelt; er bekam ſeine Stelle auf dem Balken hinter dem Schornſtein. — Heinrich wallfahr- tete zuweilen hin, legte ſich neben ihn auf den Boden, und weinte. Simon fand ihn einmal in dieſer Stellung, er fragte: Heinrich, was machſt du da? Dieſer antwortete: ich weine um den Tiſch. Der Oheim lachte, und ſagte: Du magſt wohl um ein altes eichenes Brett weinen! Heinrich wurde aͤrger- lich und verſetzte: dieſes Gewerbe dahinten, und dieſen Fuß da, und dieſe Ausſchnitte am Gewerbe hat mein Großvater gemacht, — wer ihn lieb hat, kann das nicht zerbrechen. Simon wurde zornig und erwiederte: er war mir nicht groß genug, und wo ſollt’ ich denn den meinigen laſſen? Oheim! ſagte Heinrich, den ſolltet ihr hieher geſtellt haben, bis meine Großmutter todt iſt, und wir andern fort ſind.
Indeſſen veraͤnderte ſich alles; das ſanfte Wehen des Stil- ling’ſchen Geiſtes verwandelte ſich ins Gebrauſe einer aͤngſt- lichen Begierde nach Geld und Gut. Margarethe empfand dieſes, und mit ihr ihre Kinder; ſie zog ſich zuruͤck in einen Winkel hinter den Ofen, und da verlebte ſie ihre uͤbrigen Jahre; ſie wurde ſtarrblind, doch hinderte ſie dieſes nicht an ihrem Flachsſpinnen, womit ſie ihre Zeit zubrachte.
Vater Stilling iſt hin, nun will ich ſeinem Enkel, dem jungen Heinrich, auf dem Fuß folgen, wo er hingeht, alles Andere ſoll mich nicht aufhalten.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0110"n="102"/>
wurde das Andenken an den ſeligen Mann oft ernenert.</p><lb/><p>Die Haushaltung konnte auf <hirendition="#g">dem</hi> Fuß, ſo wie ſie jetzt<lb/>ſtand, nicht lange beſtehen, deßwegen forderte die alte Mut-<lb/>
ter ihren Eidam <hirendition="#g">Simon</hi> mit ſeiner Frau <hirendition="#g">Eliſabeth</hi> wie-<lb/>
der nach Haus. Denn ſie hatten an einem andern Ort Haus<lb/>
und Hof gepachtet, ſo lange der Vater lebte. Sie kamen mit<lb/>
ihren Kindern und Geraͤthe, und uͤbernahmen das vaͤterliche<lb/>
Erbe; alsbald wurde alles fremd, man brach eine Wand der<lb/>
Stube ein, und baute ſie vier Schuh weiter in den Hof. <hirendition="#g">Si-<lb/>
mon</hi> hatte nicht Raum genug; er war kein <hirendition="#g">Stilling</hi>—<lb/>
und der eichene Tiſch voll Segen und Gaſtfreiheit, der alte<lb/>
biedere Tiſch wurde mit einem gelben ahornenen, voller ver-<lb/>ſchloſſener Schubladen verwechſelt; er bekam ſeine Stelle auf<lb/>
dem Balken hinter dem Schornſtein. —<hirendition="#g">Heinrich</hi> wallfahr-<lb/>
tete zuweilen hin, legte ſich neben ihn auf den Boden, und<lb/>
weinte. <hirendition="#g">Simon</hi> fand ihn einmal in dieſer Stellung, er fragte:<lb/><hirendition="#g">Heinrich</hi>, was machſt du da? Dieſer antwortete: ich weine<lb/>
um den Tiſch. Der Oheim lachte, und ſagte: Du magſt wohl<lb/>
um ein altes eichenes Brett weinen! <hirendition="#g">Heinrich</hi> wurde aͤrger-<lb/>
lich und verſetzte: dieſes Gewerbe dahinten, und dieſen Fuß<lb/>
da, und dieſe Ausſchnitte am Gewerbe hat mein Großvater<lb/>
gemacht, — wer ihn lieb hat, kann das nicht zerbrechen.<lb/><hirendition="#g">Simon</hi> wurde zornig und erwiederte: er war mir nicht groß<lb/>
genug, und wo ſollt’ ich denn den meinigen laſſen? Oheim!<lb/>ſagte <hirendition="#g">Heinrich, den</hi>ſolltet ihr hieher geſtellt haben, bis<lb/>
meine Großmutter todt iſt, und wir andern fort ſind.</p><lb/><p>Indeſſen veraͤnderte ſich alles; das ſanfte Wehen des Stil-<lb/>
ling’ſchen Geiſtes verwandelte ſich ins Gebrauſe einer aͤngſt-<lb/>
lichen Begierde nach Geld und Gut. <hirendition="#g">Margarethe</hi> empfand<lb/>
dieſes, und mit ihr ihre Kinder; ſie zog ſich zuruͤck in einen<lb/>
Winkel hinter den Ofen, und da verlebte ſie ihre uͤbrigen Jahre;<lb/>ſie wurde ſtarrblind, doch hinderte ſie dieſes nicht an ihrem<lb/>
Flachsſpinnen, womit ſie ihre Zeit zubrachte.</p><lb/><p>Vater <hirendition="#g">Stilling</hi> iſt hin, nun will ich ſeinem Enkel, dem<lb/>
jungen <hirendition="#g">Heinrich</hi>, auf dem Fuß folgen, wo er hingeht, alles<lb/>
Andere ſoll mich nicht aufhalten.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div></div></div></body></text></TEI>
[102/0110]
wurde das Andenken an den ſeligen Mann oft ernenert.
Die Haushaltung konnte auf dem Fuß, ſo wie ſie jetzt
ſtand, nicht lange beſtehen, deßwegen forderte die alte Mut-
ter ihren Eidam Simon mit ſeiner Frau Eliſabeth wie-
der nach Haus. Denn ſie hatten an einem andern Ort Haus
und Hof gepachtet, ſo lange der Vater lebte. Sie kamen mit
ihren Kindern und Geraͤthe, und uͤbernahmen das vaͤterliche
Erbe; alsbald wurde alles fremd, man brach eine Wand der
Stube ein, und baute ſie vier Schuh weiter in den Hof. Si-
mon hatte nicht Raum genug; er war kein Stilling —
und der eichene Tiſch voll Segen und Gaſtfreiheit, der alte
biedere Tiſch wurde mit einem gelben ahornenen, voller ver-
ſchloſſener Schubladen verwechſelt; er bekam ſeine Stelle auf
dem Balken hinter dem Schornſtein. — Heinrich wallfahr-
tete zuweilen hin, legte ſich neben ihn auf den Boden, und
weinte. Simon fand ihn einmal in dieſer Stellung, er fragte:
Heinrich, was machſt du da? Dieſer antwortete: ich weine
um den Tiſch. Der Oheim lachte, und ſagte: Du magſt wohl
um ein altes eichenes Brett weinen! Heinrich wurde aͤrger-
lich und verſetzte: dieſes Gewerbe dahinten, und dieſen Fuß
da, und dieſe Ausſchnitte am Gewerbe hat mein Großvater
gemacht, — wer ihn lieb hat, kann das nicht zerbrechen.
Simon wurde zornig und erwiederte: er war mir nicht groß
genug, und wo ſollt’ ich denn den meinigen laſſen? Oheim!
ſagte Heinrich, den ſolltet ihr hieher geſtellt haben, bis
meine Großmutter todt iſt, und wir andern fort ſind.
Indeſſen veraͤnderte ſich alles; das ſanfte Wehen des Stil-
ling’ſchen Geiſtes verwandelte ſich ins Gebrauſe einer aͤngſt-
lichen Begierde nach Geld und Gut. Margarethe empfand
dieſes, und mit ihr ihre Kinder; ſie zog ſich zuruͤck in einen
Winkel hinter den Ofen, und da verlebte ſie ihre uͤbrigen Jahre;
ſie wurde ſtarrblind, doch hinderte ſie dieſes nicht an ihrem
Flachsſpinnen, womit ſie ihre Zeit zubrachte.
Vater Stilling iſt hin, nun will ich ſeinem Enkel, dem
jungen Heinrich, auf dem Fuß folgen, wo er hingeht, alles
Andere ſoll mich nicht aufhalten.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/110>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.