Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
thum des Klägers verträgt sich ein Nießbrauch in der Person
des Beklagten, mit dem Miteigenthum des Einen dasselbe
Rechtsverhältniß auf Seiten des Andern. Wenn man hier, wie
es ja gar nicht zu umgehen war, dem Beklagten die Berufung
auf sein Recht verstatten wollte, wie konnte dies geschehen, ohne
den Grundsatz der einen Frage zu verletzen? Das Recht des
Einen läßt sich hier ja nicht unter den Gesichtspunkt einer Ne-
gation des gegnerischen bringen.

Die römischen Juristen haben auch diese Aufgabe trefflich zu
lösen verstanden. Der Weg, den sie einschlagen, besteht in der
entsprechenden Anpassung der Klage für die Zwecke dieser bestimm-
ten in Aussicht genommenen Vertheidigung; der Kläger wird
gezwungen, seinen eignen Anspruch in einer Weise zu formuliren,
daß der des Beklagten ihm gegenüber unter den Gesichtspunkt
der Negation fällt: die Klage kömmt der Vertheidigung auf
halbem Wege entgegen. Für gewisse Zwecke reicht dieser Weg
nicht aus, und hier tritt dann -- sollen wir sagen mit Verläug-
nung des Grundsatzes der Negation oder des Grundsatzes, daß
zwei Klagen nicht zu einem Proceß verbunden werden dürfen?
-- ein Proceß mit positiven Behauptungen beider Partheien:
die Doppelklage auf.

Es ergeben sich daraus für die folgende Betrachtung drei pro-
cessualische Formen, nämlich:

1) Klage mit Vorbehalt des gegnerischen Rechts;
2) Substituirung einer Klagformel im Interesse
des Beklagten an Stelle der vom Kläger ge-
wählten
;
3) Doppelklage.
1. Klage mit Vorbehalt des gegnerischen Rechts.

Zwei Anwendungsfälle derselben sind jedem Kenner der rö-
mischen Rechtsgeschichte aus Gajus 84) zur Genüge bekannt, es

84) Gaj. IV, 64--68.

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
thum des Klägers verträgt ſich ein Nießbrauch in der Perſon
des Beklagten, mit dem Miteigenthum des Einen daſſelbe
Rechtsverhältniß auf Seiten des Andern. Wenn man hier, wie
es ja gar nicht zu umgehen war, dem Beklagten die Berufung
auf ſein Recht verſtatten wollte, wie konnte dies geſchehen, ohne
den Grundſatz der einen Frage zu verletzen? Das Recht des
Einen läßt ſich hier ja nicht unter den Geſichtspunkt einer Ne-
gation des gegneriſchen bringen.

Die römiſchen Juriſten haben auch dieſe Aufgabe trefflich zu
löſen verſtanden. Der Weg, den ſie einſchlagen, beſteht in der
entſprechenden Anpaſſung der Klage für die Zwecke dieſer beſtimm-
ten in Ausſicht genommenen Vertheidigung; der Kläger wird
gezwungen, ſeinen eignen Anſpruch in einer Weiſe zu formuliren,
daß der des Beklagten ihm gegenüber unter den Geſichtspunkt
der Negation fällt: die Klage kömmt der Vertheidigung auf
halbem Wege entgegen. Für gewiſſe Zwecke reicht dieſer Weg
nicht aus, und hier tritt dann — ſollen wir ſagen mit Verläug-
nung des Grundſatzes der Negation oder des Grundſatzes, daß
zwei Klagen nicht zu einem Proceß verbunden werden dürfen?
— ein Proceß mit poſitiven Behauptungen beider Partheien:
die Doppelklage auf.

Es ergeben ſich daraus für die folgende Betrachtung drei pro-
ceſſualiſche Formen, nämlich:

1) Klage mit Vorbehalt des gegneriſchen Rechts;
2) Subſtituirung einer Klagformel im Intereſſe
des Beklagten an Stelle der vom Kläger ge-
wählten
;
3) Doppelklage.
1. Klage mit Vorbehalt des gegneriſchen Rechts.

Zwei Anwendungsfälle derſelben ſind jedem Kenner der rö-
miſchen Rechtsgeſchichte aus Gajus 84) zur Genüge bekannt, es

84) Gaj. IV, 64—68.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <div n="9">
                        <div n="10">
                          <div n="11">
                            <p><pb facs="#f0094" n="78"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Er&#x017F;ter Ab&#x017F;chn. <hi rendition="#aq">III.</hi> Die Technik. <hi rendition="#aq">A.</hi> Die Analytik.</fw><lb/>
thum des <hi rendition="#g">Klägers</hi> verträgt &#x017F;ich ein Nießbrauch in der Per&#x017F;on<lb/>
des <hi rendition="#g">Beklagten</hi>, mit dem Miteigenthum des Einen da&#x017F;&#x017F;elbe<lb/>
Rechtsverhältniß auf Seiten des Andern. Wenn man hier, wie<lb/>
es ja gar nicht zu umgehen war, dem Beklagten die Berufung<lb/>
auf <hi rendition="#g">&#x017F;ein</hi> Recht ver&#x017F;tatten wollte, wie konnte dies ge&#x017F;chehen, ohne<lb/>
den Grund&#x017F;atz der <hi rendition="#g">einen</hi> Frage zu verletzen? Das Recht des<lb/>
Einen läßt &#x017F;ich hier ja nicht unter den Ge&#x017F;ichtspunkt einer Ne-<lb/>
gation des gegneri&#x017F;chen bringen.</p><lb/>
                            <p>Die römi&#x017F;chen Juri&#x017F;ten haben auch die&#x017F;e Aufgabe trefflich zu<lb/>&#x017F;en ver&#x017F;tanden. Der Weg, den &#x017F;ie ein&#x017F;chlagen, be&#x017F;teht in der<lb/>
ent&#x017F;prechenden Anpa&#x017F;&#x017F;ung der Klage für die Zwecke die&#x017F;er be&#x017F;timm-<lb/>
ten in Aus&#x017F;icht genommenen Vertheidigung; der Kläger wird<lb/>
gezwungen, &#x017F;einen eignen An&#x017F;pruch in einer Wei&#x017F;e zu formuliren,<lb/>
daß der des Beklagten ihm gegenüber unter den Ge&#x017F;ichtspunkt<lb/>
der Negation fällt: die Klage kömmt der Vertheidigung auf<lb/>
halbem Wege entgegen. Für gewi&#x017F;&#x017F;e Zwecke reicht die&#x017F;er Weg<lb/>
nicht aus, und hier tritt dann &#x2014; &#x017F;ollen wir &#x017F;agen mit Verläug-<lb/>
nung des Grund&#x017F;atzes der Negation oder des Grund&#x017F;atzes, daß<lb/>
zwei Klagen nicht zu <hi rendition="#g">einem</hi> Proceß verbunden werden dürfen?<lb/>
&#x2014; ein Proceß mit <hi rendition="#g">po&#x017F;itiven</hi> Behauptungen beider Partheien:<lb/>
die <hi rendition="#g">Doppelklage</hi> auf.</p><lb/>
                            <p>Es ergeben &#x017F;ich daraus für die folgende Betrachtung drei pro-<lb/>
ce&#x017F;&#x017F;uali&#x017F;che Formen, nämlich:</p><lb/>
                            <list>
                              <item>1) <hi rendition="#g">Klage mit Vorbehalt des gegneri&#x017F;chen Rechts</hi>;</item><lb/>
                              <item>2) <hi rendition="#g">Sub&#x017F;tituirung einer Klagformel im Intere&#x017F;&#x017F;e<lb/>
des Beklagten an Stelle der vom Kläger ge-<lb/>
wählten</hi>;</item><lb/>
                              <item>3) <hi rendition="#g">Doppelklage</hi>.</item>
                            </list><lb/>
                            <div n="12">
                              <head>1. <hi rendition="#g">Klage mit Vorbehalt des gegneri&#x017F;chen Rechts</hi>.</head><lb/>
                              <p>Zwei Anwendungsfälle der&#x017F;elben &#x017F;ind jedem Kenner der rö-<lb/>
mi&#x017F;chen Rechtsge&#x017F;chichte aus Gajus <note place="foot" n="84)"><hi rendition="#aq">Gaj. IV,</hi> 64&#x2014;68.</note> zur Genüge bekannt, es<lb/></p>
                            </div>
                          </div>
                        </div>
                      </div>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[78/0094] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik. thum des Klägers verträgt ſich ein Nießbrauch in der Perſon des Beklagten, mit dem Miteigenthum des Einen daſſelbe Rechtsverhältniß auf Seiten des Andern. Wenn man hier, wie es ja gar nicht zu umgehen war, dem Beklagten die Berufung auf ſein Recht verſtatten wollte, wie konnte dies geſchehen, ohne den Grundſatz der einen Frage zu verletzen? Das Recht des Einen läßt ſich hier ja nicht unter den Geſichtspunkt einer Ne- gation des gegneriſchen bringen. Die römiſchen Juriſten haben auch dieſe Aufgabe trefflich zu löſen verſtanden. Der Weg, den ſie einſchlagen, beſteht in der entſprechenden Anpaſſung der Klage für die Zwecke dieſer beſtimm- ten in Ausſicht genommenen Vertheidigung; der Kläger wird gezwungen, ſeinen eignen Anſpruch in einer Weiſe zu formuliren, daß der des Beklagten ihm gegenüber unter den Geſichtspunkt der Negation fällt: die Klage kömmt der Vertheidigung auf halbem Wege entgegen. Für gewiſſe Zwecke reicht dieſer Weg nicht aus, und hier tritt dann — ſollen wir ſagen mit Verläug- nung des Grundſatzes der Negation oder des Grundſatzes, daß zwei Klagen nicht zu einem Proceß verbunden werden dürfen? — ein Proceß mit poſitiven Behauptungen beider Partheien: die Doppelklage auf. Es ergeben ſich daraus für die folgende Betrachtung drei pro- ceſſualiſche Formen, nämlich: 1) Klage mit Vorbehalt des gegneriſchen Rechts; 2) Subſtituirung einer Klagformel im Intereſſe des Beklagten an Stelle der vom Kläger ge- wählten; 3) Doppelklage. 1. Klage mit Vorbehalt des gegneriſchen Rechts. Zwei Anwendungsfälle derſelben ſind jedem Kenner der rö- miſchen Rechtsgeſchichte aus Gajus 84) zur Genüge bekannt, es 84) Gaj. IV, 64—68.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/94
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/94>, abgerufen am 05.10.2024.