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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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A. Der Proceß. Die Vertheidigung. -- Organisation derselben. §. 52.
ist das gerade entgegengesetzte, jede Frage, die er in den Proceß
hineinspielt, ist ein Hinderniß, das dem Kläger die Erreichung
des Ziels erschwert und verzögert.

Aber andererseits wie kann man ihn in der Wahl und Zahl
seiner Vertheidigungsmittel beschränken? Die Lage der beiden
Partheien ist ja eine völlig ungleiche. Der Kläger hat die Ini-
tiative, er kann den Zeitpunkt bestimmen, wann er klagen will,
seinen Angriff lange vorbereiten, seine Beweise vorher sammeln,
und abgewiesen mit dieser Klage zu einer neuen greifen. Von
alle dem gilt das gerade Gegentheil für den Beklagten. Ihn
der Beschränkung unterwerfen, die bei dem Kläger vollkommen
gerechtfertigt ist -- heißt das nicht, in geradem Gegensatz zu dem,
was die natürliche Gestalt des Verhältnisses mit sich bringt, der
Klage ein Uebergewicht über die Vertheidigung geben?

So scheint es, allein dies ist nur Schein. Es handelt sich
nämlich nicht um eine materielle Beschränkung des Beklagten in
dem Gebrauch seiner Vertheidigungsmittel, sondern lediglich um
die Form dieses Gebrauchs. Diese kann nämlich eine doppelte
sein. Die einfache und natürliche Form besteht in der Benutzung
der Vertheidigungsmittel der Klage gegenüber; hier wird die
Klage durch die Vertheidigung, selbst wenn letztere noch so frivol
ist, in ihrem Lauf aufgehalten, bis über Beide entschieden werden
kann. Die zweite, künstlichere Form ist die der Widerklage oder
Nachklage; hier wird die Untersuchung der Vertheidigungs-
gründe einem eignen vom Beklagten zu erhebenden Proceß über-
wiesen, der Lauf der Klage also dadurch nicht unterbrochen, die
Vertheidigung nimmt hier mithin die Gestalt einer Klage auf
Wiedererlangung dessen an, was der Beklagte dem Kläger auf
Grund der Condemnation im ersten Proceß hat entrichten
müssen. Das neuere römische Recht gibt dem Beklagten für die
meisten Vertheidigungsgründe die Wahl, ob er sie in der einen
oder andern Form geltend machen will, 35) einige weist es aus-

35) z. B. exceptio und actio quod metus causa, exc. rei venditae et
traditae
und act. emti wegen Eviction, exc. non numeratae pec. und die
Jhering, Geist d. röm. Rechts. III. 4

A. Der Proceß. Die Vertheidigung. — Organiſation derſelben. §. 52.
iſt das gerade entgegengeſetzte, jede Frage, die er in den Proceß
hineinſpielt, iſt ein Hinderniß, das dem Kläger die Erreichung
des Ziels erſchwert und verzögert.

Aber andererſeits wie kann man ihn in der Wahl und Zahl
ſeiner Vertheidigungsmittel beſchränken? Die Lage der beiden
Partheien iſt ja eine völlig ungleiche. Der Kläger hat die Ini-
tiative, er kann den Zeitpunkt beſtimmen, wann er klagen will,
ſeinen Angriff lange vorbereiten, ſeine Beweiſe vorher ſammeln,
und abgewieſen mit dieſer Klage zu einer neuen greifen. Von
alle dem gilt das gerade Gegentheil für den Beklagten. Ihn
der Beſchränkung unterwerfen, die bei dem Kläger vollkommen
gerechtfertigt iſt — heißt das nicht, in geradem Gegenſatz zu dem,
was die natürliche Geſtalt des Verhältniſſes mit ſich bringt, der
Klage ein Uebergewicht über die Vertheidigung geben?

So ſcheint es, allein dies iſt nur Schein. Es handelt ſich
nämlich nicht um eine materielle Beſchränkung des Beklagten in
dem Gebrauch ſeiner Vertheidigungsmittel, ſondern lediglich um
die Form dieſes Gebrauchs. Dieſe kann nämlich eine doppelte
ſein. Die einfache und natürliche Form beſteht in der Benutzung
der Vertheidigungsmittel der Klage gegenüber; hier wird die
Klage durch die Vertheidigung, ſelbſt wenn letztere noch ſo frivol
iſt, in ihrem Lauf aufgehalten, bis über Beide entſchieden werden
kann. Die zweite, künſtlichere Form iſt die der Widerklage oder
Nachklage; hier wird die Unterſuchung der Vertheidigungs-
gründe einem eignen vom Beklagten zu erhebenden Proceß über-
wieſen, der Lauf der Klage alſo dadurch nicht unterbrochen, die
Vertheidigung nimmt hier mithin die Geſtalt einer Klage auf
Wiedererlangung deſſen an, was der Beklagte dem Kläger auf
Grund der Condemnation im erſten Proceß hat entrichten
müſſen. Das neuere römiſche Recht gibt dem Beklagten für die
meiſten Vertheidigungsgründe die Wahl, ob er ſie in der einen
oder andern Form geltend machen will, 35) einige weiſt es aus-

35) z. B. exceptio und actio quod metus causa, exc. rei venditae et
traditae
und act. emti wegen Eviction, exc. non numeratae pec. und die
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. III. 4
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[49/0065] A. Der Proceß. Die Vertheidigung. — Organiſation derſelben. §. 52. iſt das gerade entgegengeſetzte, jede Frage, die er in den Proceß hineinſpielt, iſt ein Hinderniß, das dem Kläger die Erreichung des Ziels erſchwert und verzögert. Aber andererſeits wie kann man ihn in der Wahl und Zahl ſeiner Vertheidigungsmittel beſchränken? Die Lage der beiden Partheien iſt ja eine völlig ungleiche. Der Kläger hat die Ini- tiative, er kann den Zeitpunkt beſtimmen, wann er klagen will, ſeinen Angriff lange vorbereiten, ſeine Beweiſe vorher ſammeln, und abgewieſen mit dieſer Klage zu einer neuen greifen. Von alle dem gilt das gerade Gegentheil für den Beklagten. Ihn der Beſchränkung unterwerfen, die bei dem Kläger vollkommen gerechtfertigt iſt — heißt das nicht, in geradem Gegenſatz zu dem, was die natürliche Geſtalt des Verhältniſſes mit ſich bringt, der Klage ein Uebergewicht über die Vertheidigung geben? So ſcheint es, allein dies iſt nur Schein. Es handelt ſich nämlich nicht um eine materielle Beſchränkung des Beklagten in dem Gebrauch ſeiner Vertheidigungsmittel, ſondern lediglich um die Form dieſes Gebrauchs. Dieſe kann nämlich eine doppelte ſein. Die einfache und natürliche Form beſteht in der Benutzung der Vertheidigungsmittel der Klage gegenüber; hier wird die Klage durch die Vertheidigung, ſelbſt wenn letztere noch ſo frivol iſt, in ihrem Lauf aufgehalten, bis über Beide entſchieden werden kann. Die zweite, künſtlichere Form iſt die der Widerklage oder Nachklage; hier wird die Unterſuchung der Vertheidigungs- gründe einem eignen vom Beklagten zu erhebenden Proceß über- wieſen, der Lauf der Klage alſo dadurch nicht unterbrochen, die Vertheidigung nimmt hier mithin die Geſtalt einer Klage auf Wiedererlangung deſſen an, was der Beklagte dem Kläger auf Grund der Condemnation im erſten Proceß hat entrichten müſſen. Das neuere römiſche Recht gibt dem Beklagten für die meiſten Vertheidigungsgründe die Wahl, ob er ſie in der einen oder andern Form geltend machen will, 35) einige weiſt es aus- 35) z. B. exceptio und actio quod metus causa, exc. rei venditae et traditae und act. emti wegen Eviction, exc. non numeratae pec. und die Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. III. 4

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/65>, abgerufen am 09.10.2024.