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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
diese Namen sich wieder beleben würden zu dem, was sie einst
waren, sie würden hier wie dort wahrscheinlich mit Protest zu-
rückgewiesen werden. Wer würde heutzutage auf die Idee kom-
men, ein ihm gestohlenes Fuhrwerk vom dritten Besitzer in der
Weise zurückzufordern, wie es das römische Recht verlangt d. h.
jedes Pferd und den Wagen und die einzeln darauf befindlich
gewesenen Sachen sämmtlich mit besondern Reivindicationen und
gar, wenn der Besitzer einen Bestandtheil des Wagens mit dem
seinigen verbunden gehabt hätte, erst noch mit einer actio ad ex-
hibendum?
Wie viele Praktiker würden gegen eine solche Idee
schon dadurch geschützt sein, daß sie sich derselben gar nicht
bewußt sind! Ist doch selbst die Theorie bei ihrer Schilde-
rung römischer Klagen oft recht unrömisch in die Irre ge-
gangen; eine Servitutenklage z. B., die zugleich auf Aner-
kennung der Servitut, Schadensersatz und Caution für zukünf-
tige Störungen gerichtet ist, 4) würde kein römischer Jurist als
ächt anerkennen, darin vielmehr nur einen Bastard römischer
und moderner Ideen erblicken. Soll ich derselben des Contra-
stes wegen einmal ächt römische entgegenstellen? Es hat Jemand
auf seinem Lande den Lauf des Regenwassers zum Nachtheil sei-
nes Nachbarn unbefugter Weise geändert; wie kömmt letzterer
zu seinem Recht? Der Jurist Paulus gibt uns darauf Ant-
wort: 5) es bedarf vier Klagen! Der einen (act. aquae pluviae
arcendae
), um die getroffene Anlage rückgängig zu machen,
einer zweiten (interd. quod vi aut clam), um Schadensersatz für
die bisher erlittenen Nachtheile zu erwirken, einer dritten
(Klage aus der dem Beklagten aufzuerlegenden cautio damni
infecti
) für die zukünftigen Aenderungen nach dem Urtheil, und
endlich wegen der im Lauf des Processes etwa getroffenen Aen-
derung einer eignen zweiten act. aq. pl. arc. 6)

4) So z. B. Puchta §. 191 (act. confess.) §. 172 (act. negatoria).
5) L. 14 §. 2--4 de aq. pl. (39. 3).
6) Im Fall der Veräußerung des Grundstücks von Seiten des Thäters
sogar noch einer fünften Klage, L. 3 §. 2 de alien. jud. (4. 7).

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
dieſe Namen ſich wieder beleben würden zu dem, was ſie einſt
waren, ſie würden hier wie dort wahrſcheinlich mit Proteſt zu-
rückgewieſen werden. Wer würde heutzutage auf die Idee kom-
men, ein ihm geſtohlenes Fuhrwerk vom dritten Beſitzer in der
Weiſe zurückzufordern, wie es das römiſche Recht verlangt d. h.
jedes Pferd und den Wagen und die einzeln darauf befindlich
geweſenen Sachen ſämmtlich mit beſondern Reivindicationen und
gar, wenn der Beſitzer einen Beſtandtheil des Wagens mit dem
ſeinigen verbunden gehabt hätte, erſt noch mit einer actio ad ex-
hibendum?
Wie viele Praktiker würden gegen eine ſolche Idee
ſchon dadurch geſchützt ſein, daß ſie ſich derſelben gar nicht
bewußt ſind! Iſt doch ſelbſt die Theorie bei ihrer Schilde-
rung römiſcher Klagen oft recht unrömiſch in die Irre ge-
gangen; eine Servitutenklage z. B., die zugleich auf Aner-
kennung der Servitut, Schadenserſatz und Caution für zukünf-
tige Störungen gerichtet iſt, 4) würde kein römiſcher Juriſt als
ächt anerkennen, darin vielmehr nur einen Baſtard römiſcher
und moderner Ideen erblicken. Soll ich derſelben des Contra-
ſtes wegen einmal ächt römiſche entgegenſtellen? Es hat Jemand
auf ſeinem Lande den Lauf des Regenwaſſers zum Nachtheil ſei-
nes Nachbarn unbefugter Weiſe geändert; wie kömmt letzterer
zu ſeinem Recht? Der Juriſt Paulus gibt uns darauf Ant-
wort: 5) es bedarf vier Klagen! Der einen (act. aquae pluviae
arcendae
), um die getroffene Anlage rückgängig zu machen,
einer zweiten (interd. quod vi aut clam), um Schadenserſatz für
die bisher erlittenen Nachtheile zu erwirken, einer dritten
(Klage aus der dem Beklagten aufzuerlegenden cautio damni
infecti
) für die zukünftigen Aenderungen nach dem Urtheil, und
endlich wegen der im Lauf des Proceſſes etwa getroffenen Aen-
derung einer eignen zweiten act. aq. pl. arc. 6)

4) So z. B. Puchta §. 191 (act. confess.) §. 172 (act. negatoria).
5) L. 14 §. 2—4 de aq. pl. (39. 3).
6) Im Fall der Veräußerung des Grundſtücks von Seiten des Thäters
ſogar noch einer fünften Klage, L. 3 §. 2 de alien. jud. (4. 7).
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[28/0044] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik. dieſe Namen ſich wieder beleben würden zu dem, was ſie einſt waren, ſie würden hier wie dort wahrſcheinlich mit Proteſt zu- rückgewieſen werden. Wer würde heutzutage auf die Idee kom- men, ein ihm geſtohlenes Fuhrwerk vom dritten Beſitzer in der Weiſe zurückzufordern, wie es das römiſche Recht verlangt d. h. jedes Pferd und den Wagen und die einzeln darauf befindlich geweſenen Sachen ſämmtlich mit beſondern Reivindicationen und gar, wenn der Beſitzer einen Beſtandtheil des Wagens mit dem ſeinigen verbunden gehabt hätte, erſt noch mit einer actio ad ex- hibendum? Wie viele Praktiker würden gegen eine ſolche Idee ſchon dadurch geſchützt ſein, daß ſie ſich derſelben gar nicht bewußt ſind! Iſt doch ſelbſt die Theorie bei ihrer Schilde- rung römiſcher Klagen oft recht unrömiſch in die Irre ge- gangen; eine Servitutenklage z. B., die zugleich auf Aner- kennung der Servitut, Schadenserſatz und Caution für zukünf- tige Störungen gerichtet iſt, 4) würde kein römiſcher Juriſt als ächt anerkennen, darin vielmehr nur einen Baſtard römiſcher und moderner Ideen erblicken. Soll ich derſelben des Contra- ſtes wegen einmal ächt römiſche entgegenſtellen? Es hat Jemand auf ſeinem Lande den Lauf des Regenwaſſers zum Nachtheil ſei- nes Nachbarn unbefugter Weiſe geändert; wie kömmt letzterer zu ſeinem Recht? Der Juriſt Paulus gibt uns darauf Ant- wort: 5) es bedarf vier Klagen! Der einen (act. aquae pluviae arcendae), um die getroffene Anlage rückgängig zu machen, einer zweiten (interd. quod vi aut clam), um Schadenserſatz für die bisher erlittenen Nachtheile zu erwirken, einer dritten (Klage aus der dem Beklagten aufzuerlegenden cautio damni infecti) für die zukünftigen Aenderungen nach dem Urtheil, und endlich wegen der im Lauf des Proceſſes etwa getroffenen Aen- derung einer eignen zweiten act. aq. pl. arc. 6) 4) So z. B. Puchta §. 191 (act. confess.) §. 172 (act. negatoria). 5) L. 14 §. 2—4 de aq. pl. (39. 3). 6) Im Fall der Veräußerung des Grundſtücks von Seiten des Thäters ſogar noch einer fünften Klage, L. 3 §. 2 de alien. jud. (4. 7).

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/44>, abgerufen am 24.11.2024.