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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
diese Form war eine Unmöglichkeit -- es gab keine Klage
schlechthin, sondern nur eine bestimmte Zahl von Actionen
(B. 2 S. 674) -- da aber jede Actio nur der processualische
Ausdruck für einen abstract erfaßten einfachen Anspruch war
(§. 51), so folgte daraus mit Nothwendigkeit, daß jeder con-
crete Anspruch, der in derselben Platz gefunden, eben damit sich
als einfachen documentirt hatte.

Jede Klage war eine Frage an den Richter (judex im römi-
schen Sinn), und zwar, wie oben bemerkt, eine einzige; so
viele Fragen man also an ihn richten wollte, so vieler Processe
bedurfte es. Die Frage war gestellt, nicht wie die des heutigen
Beweisinterlokuts auf einzelne Thatsachen, sondern auf die
Existenz des Anspruchs; 2) eine weitere Auflösung der
Frage nach Art der Fragstellung an unsere heutigen Geschwor-
nen fand in Rom nicht Statt. Die Fassung der Frage war ur-
sprünglich die einer Suggestivfrage d. h. eine solche, daß
der Richter sie mit Ja und Nein beantworten konnte und mußte
(intentio certa), die Urtheilsform war ihm gewissermaßen schon
in der Klage vorgezeichnet, so daß er sie nur positiv oder negativ
wieder zu geben brauchte (sacramentum justum -- injustum
esse, rem actoris esse, non esse
u. s. w.). Darin liegt, daß
auch der Geldbetrag des Anspruchs, wo nämlich die Condem-
nation auf Geld und nicht auf die Sache selbst ging, in der
Klage genannt werden mußte; denselben völlig unbestimmt zu
lassen (intentio incerta) und mit einem bloßen: quidquid N. N.
ob eam rem Ao. Ao. dare facere oportet
zu begehren, wider-
stritt durchaus dem ursprünglichen processualischen Fragesystem
und wäre namentlich mit der Urtheilsform im Sacramentspro-
ceß absolut unverträglich gewesen.

Dem Bisherigen nach werden wir behaupten dürfen: die

2) Im Formularproceß: formula in jus concepta: rem actoris esse,
jus esse eundi, -- dare oportere
u. s. w. Gaj. IV 41, 45. Die actiones
in factum conceptae (ib. §. 46)
sind späten Ursprungs, s. drittes System.

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
dieſe Form war eine Unmöglichkeit — es gab keine Klage
ſchlechthin, ſondern nur eine beſtimmte Zahl von Actionen
(B. 2 S. 674) — da aber jede Actio nur der proceſſualiſche
Ausdruck für einen abſtract erfaßten einfachen Anſpruch war
(§. 51), ſo folgte daraus mit Nothwendigkeit, daß jeder con-
crete Anſpruch, der in derſelben Platz gefunden, eben damit ſich
als einfachen documentirt hatte.

Jede Klage war eine Frage an den Richter (judex im römi-
ſchen Sinn), und zwar, wie oben bemerkt, eine einzige; ſo
viele Fragen man alſo an ihn richten wollte, ſo vieler Proceſſe
bedurfte es. Die Frage war geſtellt, nicht wie die des heutigen
Beweisinterlokuts auf einzelne Thatſachen, ſondern auf die
Exiſtenz des Anſpruchs; 2) eine weitere Auflöſung der
Frage nach Art der Fragſtellung an unſere heutigen Geſchwor-
nen fand in Rom nicht Statt. Die Faſſung der Frage war ur-
ſprünglich die einer Suggeſtivfrage d. h. eine ſolche, daß
der Richter ſie mit Ja und Nein beantworten konnte und mußte
(intentio certa), die Urtheilsform war ihm gewiſſermaßen ſchon
in der Klage vorgezeichnet, ſo daß er ſie nur poſitiv oder negativ
wieder zu geben brauchte (sacramentum justum — injustum
esse, rem actoris esse, non esse
u. ſ. w.). Darin liegt, daß
auch der Geldbetrag des Anſpruchs, wo nämlich die Condem-
nation auf Geld und nicht auf die Sache ſelbſt ging, in der
Klage genannt werden mußte; denſelben völlig unbeſtimmt zu
laſſen (intentio incerta) und mit einem bloßen: quidquid N. N.
ob eam rem Ao. Ao. dare facere oportet
zu begehren, wider-
ſtritt durchaus dem urſprünglichen proceſſualiſchen Frageſyſtem
und wäre namentlich mit der Urtheilsform im Sacramentspro-
ceß abſolut unverträglich geweſen.

Dem Bisherigen nach werden wir behaupten dürfen: die

2) Im Formularproceß: formula in jus concepta: rem actoris esse,
jus esse eundi, — dare oportere
u. ſ. w. Gaj. IV 41, 45. Die actiones
in factum conceptae (ib. §. 46)
ſind ſpäten Urſprungs, ſ. drittes Syſtem.
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[22/0038] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik. dieſe Form war eine Unmöglichkeit — es gab keine Klage ſchlechthin, ſondern nur eine beſtimmte Zahl von Actionen (B. 2 S. 674) — da aber jede Actio nur der proceſſualiſche Ausdruck für einen abſtract erfaßten einfachen Anſpruch war (§. 51), ſo folgte daraus mit Nothwendigkeit, daß jeder con- crete Anſpruch, der in derſelben Platz gefunden, eben damit ſich als einfachen documentirt hatte. Jede Klage war eine Frage an den Richter (judex im römi- ſchen Sinn), und zwar, wie oben bemerkt, eine einzige; ſo viele Fragen man alſo an ihn richten wollte, ſo vieler Proceſſe bedurfte es. Die Frage war geſtellt, nicht wie die des heutigen Beweisinterlokuts auf einzelne Thatſachen, ſondern auf die Exiſtenz des Anſpruchs; 2) eine weitere Auflöſung der Frage nach Art der Fragſtellung an unſere heutigen Geſchwor- nen fand in Rom nicht Statt. Die Faſſung der Frage war ur- ſprünglich die einer Suggeſtivfrage d. h. eine ſolche, daß der Richter ſie mit Ja und Nein beantworten konnte und mußte (intentio certa), die Urtheilsform war ihm gewiſſermaßen ſchon in der Klage vorgezeichnet, ſo daß er ſie nur poſitiv oder negativ wieder zu geben brauchte (sacramentum justum — injustum esse, rem actoris esse, non esse u. ſ. w.). Darin liegt, daß auch der Geldbetrag des Anſpruchs, wo nämlich die Condem- nation auf Geld und nicht auf die Sache ſelbſt ging, in der Klage genannt werden mußte; denſelben völlig unbeſtimmt zu laſſen (intentio incerta) und mit einem bloßen: quidquid N. N. ob eam rem Ao. Ao. dare facere oportet zu begehren, wider- ſtritt durchaus dem urſprünglichen proceſſualiſchen Frageſyſtem und wäre namentlich mit der Urtheilsform im Sacramentspro- ceß abſolut unverträglich geweſen. Dem Bisherigen nach werden wir behaupten dürfen: die 2) Im Formularproceß: formula in jus concepta: rem actoris esse, jus esse eundi, — dare oportere u. ſ. w. Gaj. IV 41, 45. Die actiones in factum conceptae (ib. §. 46) ſind ſpäten Urſprungs, ſ. drittes Syſtem.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/38>, abgerufen am 29.03.2024.