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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie.
Species, dieses Sachindividuum mit dieser seiner Vergangen-
heit. 451)

Wie verschieden sich nun auch bei den einzelnen Rechten das
Interesse bestimme, so enthält doch jedes in Thesi zugelassene
Recht den Ausdruck eines vom Gesetzgeber nach dem Stand-
punkt seiner Zeit für schutzfähig und für schutzbedürftig aner-
kannten Interesses. Mit den Interessen wechseln daher auch die
Rechte, zwischen beiden findet bis zu einem gewissen Grade ein
historischer Parallelismus Statt -- nicht schlechthin, weil manche
Interessen ihrer Natur nach dem mechanischen Zwange des Rechts
widerstreben. Für die scurrilen Witze, welche das Mittelalter
in die Form von Rechten zu kleiden pflegte, fehlt uns heutzu-
tage der Sinn, unser Interessenmaßstab im Recht ist ein strenge-
rer geworden, obschon in dieser Beziehung immer noch genug
zu thun übrig bleibt. 452) Das römische Recht hat, wie bereits
oben S. 316 bemerkt, diesen Gesichtspunkt des Interesses klar
ausgesprochen und consequent durchgeführt, mit der Form des
Rechts: der Klage ist es von jeher sehr sparsam gewesen und
hat aus gutem Grunde in dieser Beziehung eher zu wenig, als
zu viel gethan. Die Rechtsformen, die es aufstellt, entsprechen
sämmtlich einem ernsten Zweck des Verkehrs oder einem gerecht-

451) Beispiele in L. 36 de bon. lib. (38. 2) praedia, in quibus ma-
jorum sepulcra ... mancipium, quod non pretio, sed affectu
aestimandum.
Berücksichtigung dieses Interesses im Recht: actiones arbi-
trariae
zum Zweck der Erlangung der bestimmten Sache statt des Geldwer-
thes -- Verbot der Veräußerung der Mündelgüter des bloßen Vortheils we-
gen -- L. 36 cit.
452) So z. B. sollten die Klagen aus Spiel und Wetten völlig aufge-
hoben werden; für den Verkehr haben diese Verträge gar kein Interesse, das
gesellige Leben gehört nicht vor das Gericht, wer spielt und wettet, möge zu-
sehen, mit wem er es thut. Der einzige Grund, der sich für ihre Klagbarkeit
anführen läßt, ist das obige (S. 315) Dogma von der abstract verbindenden
Kraft der Berträge -- damit könnte man aber auch eine Klage auf den ersten
Walzer begründen!

Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie.
Species, dieſes Sachindividuum mit dieſer ſeiner Vergangen-
heit. 451)

Wie verſchieden ſich nun auch bei den einzelnen Rechten das
Intereſſe beſtimme, ſo enthält doch jedes in Theſi zugelaſſene
Recht den Ausdruck eines vom Geſetzgeber nach dem Stand-
punkt ſeiner Zeit für ſchutzfähig und für ſchutzbedürftig aner-
kannten Intereſſes. Mit den Intereſſen wechſeln daher auch die
Rechte, zwiſchen beiden findet bis zu einem gewiſſen Grade ein
hiſtoriſcher Parallelismus Statt — nicht ſchlechthin, weil manche
Intereſſen ihrer Natur nach dem mechaniſchen Zwange des Rechts
widerſtreben. Für die ſcurrilen Witze, welche das Mittelalter
in die Form von Rechten zu kleiden pflegte, fehlt uns heutzu-
tage der Sinn, unſer Intereſſenmaßſtab im Recht iſt ein ſtrenge-
rer geworden, obſchon in dieſer Beziehung immer noch genug
zu thun übrig bleibt. 452) Das römiſche Recht hat, wie bereits
oben S. 316 bemerkt, dieſen Geſichtspunkt des Intereſſes klar
ausgeſprochen und conſequent durchgeführt, mit der Form des
Rechts: der Klage iſt es von jeher ſehr ſparſam geweſen und
hat aus gutem Grunde in dieſer Beziehung eher zu wenig, als
zu viel gethan. Die Rechtsformen, die es aufſtellt, entſprechen
ſämmtlich einem ernſten Zweck des Verkehrs oder einem gerecht-

451) Beiſpiele in L. 36 de bon. lib. (38. 2) praedia, in quibus ma-
jorum sepulcra … mancipium, quod non pretio, sed affectu
aestimandum.
Berückſichtigung dieſes Intereſſes im Recht: actiones arbi-
trariae
zum Zweck der Erlangung der beſtimmten Sache ſtatt des Geldwer-
thes — Verbot der Veräußerung der Mündelgüter des bloßen Vortheils we-
gen — L. 36 cit.
452) So z. B. ſollten die Klagen aus Spiel und Wetten völlig aufge-
hoben werden; für den Verkehr haben dieſe Verträge gar kein Intereſſe, das
geſellige Leben gehört nicht vor das Gericht, wer ſpielt und wettet, möge zu-
ſehen, mit wem er es thut. Der einzige Grund, der ſich für ihre Klagbarkeit
anführen läßt, iſt das obige (S. 315) Dogma von der abſtract verbindenden
Kraft der Berträge — damit könnte man aber auch eine Klage auf den erſten
Walzer begründen!
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[320/0336] Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie. Species, dieſes Sachindividuum mit dieſer ſeiner Vergangen- heit. 451) Wie verſchieden ſich nun auch bei den einzelnen Rechten das Intereſſe beſtimme, ſo enthält doch jedes in Theſi zugelaſſene Recht den Ausdruck eines vom Geſetzgeber nach dem Stand- punkt ſeiner Zeit für ſchutzfähig und für ſchutzbedürftig aner- kannten Intereſſes. Mit den Intereſſen wechſeln daher auch die Rechte, zwiſchen beiden findet bis zu einem gewiſſen Grade ein hiſtoriſcher Parallelismus Statt — nicht ſchlechthin, weil manche Intereſſen ihrer Natur nach dem mechaniſchen Zwange des Rechts widerſtreben. Für die ſcurrilen Witze, welche das Mittelalter in die Form von Rechten zu kleiden pflegte, fehlt uns heutzu- tage der Sinn, unſer Intereſſenmaßſtab im Recht iſt ein ſtrenge- rer geworden, obſchon in dieſer Beziehung immer noch genug zu thun übrig bleibt. 452) Das römiſche Recht hat, wie bereits oben S. 316 bemerkt, dieſen Geſichtspunkt des Intereſſes klar ausgeſprochen und conſequent durchgeführt, mit der Form des Rechts: der Klage iſt es von jeher ſehr ſparſam geweſen und hat aus gutem Grunde in dieſer Beziehung eher zu wenig, als zu viel gethan. Die Rechtsformen, die es aufſtellt, entſprechen ſämmtlich einem ernſten Zweck des Verkehrs oder einem gerecht- 451) Beiſpiele in L. 36 de bon. lib. (38. 2) praedia, in quibus ma- jorum sepulcra … mancipium, quod non pretio, sed affectu aestimandum. Berückſichtigung dieſes Intereſſes im Recht: actiones arbi- trariae zum Zweck der Erlangung der beſtimmten Sache ſtatt des Geldwer- thes — Verbot der Veräußerung der Mündelgüter des bloßen Vortheils we- gen — L. 36 cit. 452) So z. B. ſollten die Klagen aus Spiel und Wetten völlig aufge- hoben werden; für den Verkehr haben dieſe Verträge gar kein Intereſſe, das geſellige Leben gehört nicht vor das Gericht, wer ſpielt und wettet, möge zu- ſehen, mit wem er es thut. Der einzige Grund, der ſich für ihre Klagbarkeit anführen läßt, iſt das obige (S. 315) Dogma von der abſtract verbindenden Kraft der Berträge — damit könnte man aber auch eine Klage auf den erſten Walzer begründen!

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/336>, abgerufen am 22.11.2024.