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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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Die künstlichen Mittel. §. 58.
Mommsen hat das Scheingeschäft als denaturirtes be-
zeichnet, und ich halte diesen Ausdruck für einen ganz treffenden.
Aber die Denaturation beruhte nicht darin, worein er sie setzt,
nämlich daß nur die Partheien im einzelnen Fall das Geschäft
verrenkt hätten -- dies hätte die Natur, den Begriff des Ge-
schäfts selber in Nichts alterirt -- sondern darin, daß das Recht
selber es that, m. a. W. daß auf gewaltsamem Wege eine neue
Geschäftsform
geschaffen ward.

Die bisherige Ausführung war, ganz abgesehen von dem
Interesse, das sie an sich hat, auch zu dem Zweck nöthig, um
ein Scheingeschäft, auf das man erst neuerdings aufmerksam ge-
worden ist, dem aber von dem so eben genannten Gelehrten seine
Legitimation als Scheingeschäft bestritten ist, unter die Zahl
derselben aufnehmen zu können und damit einen werthvollen
Beitrag für die oben entwickelte Theorie der Scheingeschäfte zu
erhalten. Dies ist die arrogatio als Form des Uebertritts eines
Patriciers zu den Plebejern (transitio ad plebem).401)

Der Sohn des Plebejers war wiederum Plebejer. Ein Pa-
tricier, der zur Plebs übertreten wollte, um damit die Fähigkeit

gerade am wenigsten Veranlassung gehabt hätte, diese Ansicht seines Gegners
gelten zu lassen (s. unten), spricht von einer "principiellen Unterschiedslosigkeit
des ernsthaften und des Scheingeschäfts" (S. 39, 40 der in der folgenden
Note citirten Schrift.)
401) So viel ich weiß, hat zuerst Becker, Röm. Alterth. II. S. 156
die Arregation als den einzigen und ausschließlichen Weg der transitio ad
plebem
bezeichnet, ohne freilich diese Ansicht näher auszuführen und zu be-
gründen. Letzteres ist erst geschehen von Ludwig Lange in einem Vertrag
auf der Philologenversammlung in Meißen, abgedruckt in der Zeitschr. für
österr. Gymnasien 1863 S. 861 fl., gegen den Th. Mommsen seine in
seiner Abh. über die röm. Patriciergeschlechter (Rhein. Museum N. F. XVI
S. 358) geäußerte Ansicht, daß der Uebergang auf directem Wege durch
detestatio sacrorum erfolgt sei, in einem Nachtrage zur zweiten Aufl. seiner
röm. Forschungen S. 399--411 weiter zu begründen und die juristische Un-
möglichkeit der Lange'schen Auffassung zu erweisen gesucht hat. Dagegen
wiederum Lange in einer eignen Schrift: Ueber die transitio ad plebem.
Leipz. 1864 (kurz zusammengefaßt in dessen Röm. Alterth. B. 1. Aufl. 2.
S. 122 fl.).

Die künſtlichen Mittel. §. 58.
Mommſen hat das Scheingeſchäft als denaturirtes be-
zeichnet, und ich halte dieſen Ausdruck für einen ganz treffenden.
Aber die Denaturation beruhte nicht darin, worein er ſie ſetzt,
nämlich daß nur die Partheien im einzelnen Fall das Geſchäft
verrenkt hätten — dies hätte die Natur, den Begriff des Ge-
ſchäfts ſelber in Nichts alterirt — ſondern darin, daß das Recht
ſelber es that, m. a. W. daß auf gewaltſamem Wege eine neue
Geſchäftsform
geſchaffen ward.

Die bisherige Ausführung war, ganz abgeſehen von dem
Intereſſe, das ſie an ſich hat, auch zu dem Zweck nöthig, um
ein Scheingeſchäft, auf das man erſt neuerdings aufmerkſam ge-
worden iſt, dem aber von dem ſo eben genannten Gelehrten ſeine
Legitimation als Scheingeſchäft beſtritten iſt, unter die Zahl
derſelben aufnehmen zu können und damit einen werthvollen
Beitrag für die oben entwickelte Theorie der Scheingeſchäfte zu
erhalten. Dies iſt die arrogatio als Form des Uebertritts eines
Patriciers zu den Plebejern (transitio ad plebem).401)

Der Sohn des Plebejers war wiederum Plebejer. Ein Pa-
tricier, der zur Plebs übertreten wollte, um damit die Fähigkeit

gerade am wenigſten Veranlaſſung gehabt hätte, dieſe Anſicht ſeines Gegners
gelten zu laſſen (ſ. unten), ſpricht von einer „principiellen Unterſchiedsloſigkeit
des ernſthaften und des Scheingeſchäfts“ (S. 39, 40 der in der folgenden
Note citirten Schrift.)
401) So viel ich weiß, hat zuerſt Becker, Röm. Alterth. II. S. 156
die Arregation als den einzigen und ausſchließlichen Weg der transitio ad
plebem
bezeichnet, ohne freilich dieſe Anſicht näher auszuführen und zu be-
gründen. Letzteres iſt erſt geſchehen von Ludwig Lange in einem Vertrag
auf der Philologenverſammlung in Meißen, abgedruckt in der Zeitſchr. für
öſterr. Gymnaſien 1863 S. 861 fl., gegen den Th. Mommſen ſeine in
ſeiner Abh. über die röm. Patriciergeſchlechter (Rhein. Muſeum N. F. XVI
S. 358) geäußerte Anſicht, daß der Uebergang auf directem Wege durch
detestatio sacrorum erfolgt ſei, in einem Nachtrage zur zweiten Aufl. ſeiner
röm. Forſchungen S. 399—411 weiter zu begründen und die juriſtiſche Un-
möglichkeit der Lange’ſchen Auffaſſung zu erweiſen geſucht hat. Dagegen
wiederum Lange in einer eignen Schrift: Ueber die transitio ad plebem.
Leipz. 1864 (kurz zuſammengefaßt in deſſen Röm. Alterth. B. 1. Aufl. 2.
S. 122 fl.).
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[279/0295] Die künſtlichen Mittel. §. 58. Mommſen hat das Scheingeſchäft als denaturirtes be- zeichnet, und ich halte dieſen Ausdruck für einen ganz treffenden. Aber die Denaturation beruhte nicht darin, worein er ſie ſetzt, nämlich daß nur die Partheien im einzelnen Fall das Geſchäft verrenkt hätten — dies hätte die Natur, den Begriff des Ge- ſchäfts ſelber in Nichts alterirt — ſondern darin, daß das Recht ſelber es that, m. a. W. daß auf gewaltſamem Wege eine neue Geſchäftsform geſchaffen ward. Die bisherige Ausführung war, ganz abgeſehen von dem Intereſſe, das ſie an ſich hat, auch zu dem Zweck nöthig, um ein Scheingeſchäft, auf das man erſt neuerdings aufmerkſam ge- worden iſt, dem aber von dem ſo eben genannten Gelehrten ſeine Legitimation als Scheingeſchäft beſtritten iſt, unter die Zahl derſelben aufnehmen zu können und damit einen werthvollen Beitrag für die oben entwickelte Theorie der Scheingeſchäfte zu erhalten. Dies iſt die arrogatio als Form des Uebertritts eines Patriciers zu den Plebejern (transitio ad plebem). 401) Der Sohn des Plebejers war wiederum Plebejer. Ein Pa- tricier, der zur Plebs übertreten wollte, um damit die Fähigkeit 400) 401) So viel ich weiß, hat zuerſt Becker, Röm. Alterth. II. S. 156 die Arregation als den einzigen und ausſchließlichen Weg der transitio ad plebem bezeichnet, ohne freilich dieſe Anſicht näher auszuführen und zu be- gründen. Letzteres iſt erſt geſchehen von Ludwig Lange in einem Vertrag auf der Philologenverſammlung in Meißen, abgedruckt in der Zeitſchr. für öſterr. Gymnaſien 1863 S. 861 fl., gegen den Th. Mommſen ſeine in ſeiner Abh. über die röm. Patriciergeſchlechter (Rhein. Muſeum N. F. XVI S. 358) geäußerte Anſicht, daß der Uebergang auf directem Wege durch detestatio sacrorum erfolgt ſei, in einem Nachtrage zur zweiten Aufl. ſeiner röm. Forſchungen S. 399—411 weiter zu begründen und die juriſtiſche Un- möglichkeit der Lange’ſchen Auffaſſung zu erweiſen geſucht hat. Dagegen wiederum Lange in einer eignen Schrift: Ueber die transitio ad plebem. Leipz. 1864 (kurz zuſammengefaßt in deſſen Röm. Alterth. B. 1. Aufl. 2. S. 122 fl.). 400) gerade am wenigſten Veranlaſſung gehabt hätte, dieſe Anſicht ſeines Gegners gelten zu laſſen (ſ. unten), ſpricht von einer „principiellen Unterſchiedsloſigkeit des ernſthaften und des Scheingeſchäfts“ (S. 39, 40 der in der folgenden Note citirten Schrift.)

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/295>, abgerufen am 18.05.2024.