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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
Singularsuccession). Ist die Sache durch mehrere Hände hin-
durchgegangen, so vervielfacht sich der zweite Beweis in dem-
selben Maße, als Successionsfälle Statt gefunden haben. Der
erste ist stets nur dadurch zu erbringen, daß in der Person des
nähern oder entfernteren Vorgängers eine Entstehung des Eigen-
thums auf originärem Wege dargethan wird. In der ersten
Beziehung genügt es nicht, nachzuweisen, daß der Eine dem
Andern die Sache tradirt habe -- denn die Tradition als solche
überträgt bloß Besitz -- es muß vielmehr dargethan werden,
daß sie zum Zweck der Eigenthums übertragung erfolgt ist,
also das Geschäft, aus dem sich dies ergibt, angegeben und
bewiesen werden und, wenn dasselbe ein Kaufcontract war,
außerdem noch die Zahlung oder Creditirung des Kaufpreises,
die bei diesem Geschäft bekanntlich die Voraussetzung des Eigen-
thumsübergangs bildet. Welche Schwierigkeit des Beweises!
Ist es dem Beweisführer auch gelungen, alle die früheren Inne-
haber bis zum originären Eigenthümer: dem Fabrikanten, Pro-
ducenten, Occupanten, Usucapienten, ausfindig zu machen und
das Successionsverhältniß zu constatiren, so hat er bei jedem
erst noch zu ermitteln, wie hoch der Kaufpreis sich belief, und ob
er bezahlt oder creditirt worden ist. Ein einziges mangelndes
Glied in dieser Kette, und die ganze Kette ist unterbrochen.

So hat also der Beweisführer die Sache bei allen ihren
Irrfahrten und Sprüngen zu begleiten, ihren Lauf rückwärts
bis zum ersten Ausgangspunkt zu verfolgen, kurz ihre ganze
Geschichte zu schreiben. Welche Anforderung! Wer gäbe nicht
häufig lieber sie selber Preis, als sich dieser Mühe zu unter-
ziehen. Dazu gesellt sich noch ein anderer erschwerender Um-
stand. Steht einmal die Eigenthumsübertragung in Abhängig-
keit von dem Geschäft, dessen Ausführung sie enthält, so muß
nothwendigerweise ein Ungültigkeitsgrund, der letzteres betrifft,
z. B. Betrug, Zwang, Irrthum, seinen Einfluß auch auf sie
erstrecken, d. h. so lange nicht die Usucapion diesen Mangel in

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
Singularſucceſſion). Iſt die Sache durch mehrere Hände hin-
durchgegangen, ſo vervielfacht ſich der zweite Beweis in dem-
ſelben Maße, als Succeſſionsfälle Statt gefunden haben. Der
erſte iſt ſtets nur dadurch zu erbringen, daß in der Perſon des
nähern oder entfernteren Vorgängers eine Entſtehung des Eigen-
thums auf originärem Wege dargethan wird. In der erſten
Beziehung genügt es nicht, nachzuweiſen, daß der Eine dem
Andern die Sache tradirt habe — denn die Tradition als ſolche
überträgt bloß Beſitz — es muß vielmehr dargethan werden,
daß ſie zum Zweck der Eigenthums übertragung erfolgt iſt,
alſo das Geſchäft, aus dem ſich dies ergibt, angegeben und
bewieſen werden und, wenn daſſelbe ein Kaufcontract war,
außerdem noch die Zahlung oder Creditirung des Kaufpreiſes,
die bei dieſem Geſchäft bekanntlich die Vorausſetzung des Eigen-
thumsübergangs bildet. Welche Schwierigkeit des Beweiſes!
Iſt es dem Beweisführer auch gelungen, alle die früheren Inne-
haber bis zum originären Eigenthümer: dem Fabrikanten, Pro-
ducenten, Occupanten, Uſucapienten, ausfindig zu machen und
das Succeſſionsverhältniß zu conſtatiren, ſo hat er bei jedem
erſt noch zu ermitteln, wie hoch der Kaufpreis ſich belief, und ob
er bezahlt oder creditirt worden iſt. Ein einziges mangelndes
Glied in dieſer Kette, und die ganze Kette iſt unterbrochen.

So hat alſo der Beweisführer die Sache bei allen ihren
Irrfahrten und Sprüngen zu begleiten, ihren Lauf rückwärts
bis zum erſten Ausgangspunkt zu verfolgen, kurz ihre ganze
Geſchichte zu ſchreiben. Welche Anforderung! Wer gäbe nicht
häufig lieber ſie ſelber Preis, als ſich dieſer Mühe zu unter-
ziehen. Dazu geſellt ſich noch ein anderer erſchwerender Um-
ſtand. Steht einmal die Eigenthumsübertragung in Abhängig-
keit von dem Geſchäft, deſſen Ausführung ſie enthält, ſo muß
nothwendigerweiſe ein Ungültigkeitsgrund, der letzteres betrifft,
z. B. Betrug, Zwang, Irrthum, ſeinen Einfluß auch auf ſie
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[198/0214] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik. Singularſucceſſion). Iſt die Sache durch mehrere Hände hin- durchgegangen, ſo vervielfacht ſich der zweite Beweis in dem- ſelben Maße, als Succeſſionsfälle Statt gefunden haben. Der erſte iſt ſtets nur dadurch zu erbringen, daß in der Perſon des nähern oder entfernteren Vorgängers eine Entſtehung des Eigen- thums auf originärem Wege dargethan wird. In der erſten Beziehung genügt es nicht, nachzuweiſen, daß der Eine dem Andern die Sache tradirt habe — denn die Tradition als ſolche überträgt bloß Beſitz — es muß vielmehr dargethan werden, daß ſie zum Zweck der Eigenthums übertragung erfolgt iſt, alſo das Geſchäft, aus dem ſich dies ergibt, angegeben und bewieſen werden und, wenn daſſelbe ein Kaufcontract war, außerdem noch die Zahlung oder Creditirung des Kaufpreiſes, die bei dieſem Geſchäft bekanntlich die Vorausſetzung des Eigen- thumsübergangs bildet. Welche Schwierigkeit des Beweiſes! Iſt es dem Beweisführer auch gelungen, alle die früheren Inne- haber bis zum originären Eigenthümer: dem Fabrikanten, Pro- ducenten, Occupanten, Uſucapienten, ausfindig zu machen und das Succeſſionsverhältniß zu conſtatiren, ſo hat er bei jedem erſt noch zu ermitteln, wie hoch der Kaufpreis ſich belief, und ob er bezahlt oder creditirt worden iſt. Ein einziges mangelndes Glied in dieſer Kette, und die ganze Kette iſt unterbrochen. So hat alſo der Beweisführer die Sache bei allen ihren Irrfahrten und Sprüngen zu begleiten, ihren Lauf rückwärts bis zum erſten Ausgangspunkt zu verfolgen, kurz ihre ganze Geſchichte zu ſchreiben. Welche Anforderung! Wer gäbe nicht häufig lieber ſie ſelber Preis, als ſich dieſer Mühe zu unter- ziehen. Dazu geſellt ſich noch ein anderer erſchwerender Um- ſtand. Steht einmal die Eigenthumsübertragung in Abhängig- keit von dem Geſchäft, deſſen Ausführung ſie enthält, ſo muß nothwendigerweiſe ein Ungültigkeitsgrund, der letzteres betrifft, z. B. Betrug, Zwang, Irrthum, ſeinen Einfluß auch auf ſie erſtrecken, d. h. ſo lange nicht die Uſucapion dieſen Mangel in

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/214>, abgerufen am 06.05.2024.