Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
alte reivind. ging selbst nicht einmal im Moment ihrer Ver-
wirklichung durch den Begriff der Obligation hindurch, denn
der Beklagte hat die Sache nicht zu geben, sondern der Kläger
nimmt sie sich,244) das Dulden von Seiten des Beklagten ist
Nichts als das Unterlassen der Auflehnung gegen die Rechts-
ordnung und die Obrigkeit.245) Auch wenn der Beklagte nach
dem Urtheil gestorben wäre, hätte die Execution keinen Auf-
schub zu erleiden brauchen, zum besten Beweise, daß jenes
Dulden kein Handeln war, denn Handeln setzt eine Person
voraus. So wenig es eines Gebens bedurft hätte, wenn
der Beklagte von vornherein einen Widerstand überall nicht ent-
gegengesetzt hätte, sondern wie hier der Kläger nach erfolgter
addictio des Prätors 246) einfach den vor Gericht gebrachten
Gegenstand mit sich hinweggenommen hätte,247) ganz ebenso
stand die Sache, wenn dieser Widerstand durch das Urtheil ge-
brochen war.

Als Resultat unserer bisherigen Ausführungen werden wir
den Satz aussprechen dürfen: die reivind. des neuern Rechts
ist ein Conglomerat verschiedener um das Eigenthum sich drehen-
der Ansprüche, dinglicher und persönlicher, nicht sowohl eine
einzelne Klage, als ein ganzer Complex von Klagen, kurz in
analytischer Hinsicht ein Compositum. Die reivind. des ältern
Rechts dagegen bleibt dem Gesichtspunkt eines Verfahrens ge-
gen die Sache von Anfang bis zu Ende treu; ihrer ursprüng-
lichen Richtung und Voraussetzung nach lediglich durch die
Sache bestimmt, nimmt sie Nichts in sich auf, was über das
rein Sachliche hinausginge und die Person träfe, sie entsteht

244) L. 57 pr. de evict. (21. 2) .. ante ablatam vel abductam rem
L. 67 ibid.
245) L. 6 §. 1 si quis jus (2. 3).
246) Gaj. II. 24 (in jure cessio).
247) Ebenso wenn durch Ertheilung der Vindicien der Besitz von dem
Einen auf den Andern übertragen worden war. Liv. III. 48: I Lictor, sub-
move turbam et da viam domino ad prehendendum mancipium.

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
alte reivind. ging ſelbſt nicht einmal im Moment ihrer Ver-
wirklichung durch den Begriff der Obligation hindurch, denn
der Beklagte hat die Sache nicht zu geben, ſondern der Kläger
nimmt ſie ſich,244) das Dulden von Seiten des Beklagten iſt
Nichts als das Unterlaſſen der Auflehnung gegen die Rechts-
ordnung und die Obrigkeit.245) Auch wenn der Beklagte nach
dem Urtheil geſtorben wäre, hätte die Execution keinen Auf-
ſchub zu erleiden brauchen, zum beſten Beweiſe, daß jenes
Dulden kein Handeln war, denn Handeln ſetzt eine Perſon
voraus. So wenig es eines Gebens bedurft hätte, wenn
der Beklagte von vornherein einen Widerſtand überall nicht ent-
gegengeſetzt hätte, ſondern wie hier der Kläger nach erfolgter
addictio des Prätors 246) einfach den vor Gericht gebrachten
Gegenſtand mit ſich hinweggenommen hätte,247) ganz ebenſo
ſtand die Sache, wenn dieſer Widerſtand durch das Urtheil ge-
brochen war.

Als Reſultat unſerer bisherigen Ausführungen werden wir
den Satz ausſprechen dürfen: die reivind. des neuern Rechts
iſt ein Conglomerat verſchiedener um das Eigenthum ſich drehen-
der Anſprüche, dinglicher und perſönlicher, nicht ſowohl eine
einzelne Klage, als ein ganzer Complex von Klagen, kurz in
analytiſcher Hinſicht ein Compoſitum. Die reivind. des ältern
Rechts dagegen bleibt dem Geſichtspunkt eines Verfahrens ge-
gen die Sache von Anfang bis zu Ende treu; ihrer urſprüng-
lichen Richtung und Vorausſetzung nach lediglich durch die
Sache beſtimmt, nimmt ſie Nichts in ſich auf, was über das
rein Sachliche hinausginge und die Perſon träfe, ſie entſteht

244) L. 57 pr. de evict. (21. 2) .. ante ablatam vel abductam rem
L. 67 ibid.
245) L. 6 §. 1 si quis jus (2. 3).
246) Gaj. II. 24 (in jure cessio).
247) Ebenſo wenn durch Ertheilung der Vindicien der Beſitz von dem
Einen auf den Andern übertragen worden war. Liv. III. 48: I Lictor, sub-
move turbam et da viam domino ad prehendendum mancipium.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <p><pb facs="#f0200" n="184"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Er&#x017F;ter Ab&#x017F;chn. <hi rendition="#aq">III.</hi> Die Technik. <hi rendition="#aq">A.</hi> Die Analytik.</fw><lb/>
alte <hi rendition="#aq">reivind.</hi> ging &#x017F;elb&#x017F;t nicht einmal im Moment ihrer Ver-<lb/>
wirklichung durch den Begriff der Obligation hindurch, denn<lb/>
der Beklagte hat die Sache nicht zu <hi rendition="#g">geben,</hi> &#x017F;ondern der Kläger<lb/><hi rendition="#g">nimmt</hi> &#x017F;ie &#x017F;ich,<note place="foot" n="244)"><hi rendition="#aq">L. 57 pr. de evict. (21. 2) .. ante ablatam vel abductam rem<lb/>
L. 67 ibid.</hi></note> das Dulden von Seiten des Beklagten i&#x017F;t<lb/>
Nichts als das Unterla&#x017F;&#x017F;en der Auflehnung gegen die Rechts-<lb/>
ordnung und die Obrigkeit.<note place="foot" n="245)"><hi rendition="#aq">L. 6 §. 1 si quis jus</hi> (2. 3).</note> Auch wenn der Beklagte <hi rendition="#g">nach</hi><lb/>
dem Urtheil ge&#x017F;torben wäre, hätte die Execution keinen Auf-<lb/>
&#x017F;chub zu erleiden brauchen, zum be&#x017F;ten Bewei&#x017F;e, daß jenes<lb/>
Dulden kein <hi rendition="#g">Handeln</hi> war, denn Handeln &#x017F;etzt eine Per&#x017F;on<lb/>
voraus. So wenig es eines <hi rendition="#g">Gebens</hi> bedurft hätte, wenn<lb/>
der Beklagte von vornherein einen Wider&#x017F;tand überall nicht ent-<lb/>
gegenge&#x017F;etzt hätte, &#x017F;ondern wie hier der Kläger nach erfolgter<lb/><hi rendition="#aq">addictio</hi> des Prätors <note place="foot" n="246)"><hi rendition="#aq">Gaj. II. 24 (in jure cessio).</hi></note> einfach den vor Gericht gebrachten<lb/>
Gegen&#x017F;tand mit &#x017F;ich hinweggenommen hätte,<note place="foot" n="247)">Eben&#x017F;o wenn durch Ertheilung der Vindicien der Be&#x017F;itz von dem<lb/>
Einen auf den Andern übertragen worden war. <hi rendition="#aq">Liv. III. 48: I Lictor, sub-<lb/>
move turbam et da viam domino ad <hi rendition="#g">prehendendum</hi> mancipium.</hi></note> ganz eben&#x017F;o<lb/>
&#x017F;tand die Sache, wenn die&#x017F;er Wider&#x017F;tand durch das Urtheil ge-<lb/>
brochen war.</p><lb/>
                      <p>Als Re&#x017F;ultat un&#x017F;erer bisherigen Ausführungen werden wir<lb/>
den Satz aus&#x017F;prechen dürfen: die <hi rendition="#aq">reivind.</hi> des neuern Rechts<lb/>
i&#x017F;t ein Conglomerat ver&#x017F;chiedener um das Eigenthum &#x017F;ich drehen-<lb/>
der An&#x017F;prüche, dinglicher und per&#x017F;önlicher, nicht &#x017F;owohl eine<lb/>
einzelne Klage, als ein ganzer Complex von Klagen, kurz in<lb/>
analyti&#x017F;cher Hin&#x017F;icht ein Compo&#x017F;itum. Die <hi rendition="#aq">reivind.</hi> des ältern<lb/>
Rechts dagegen bleibt dem Ge&#x017F;ichtspunkt eines Verfahrens ge-<lb/>
gen die <hi rendition="#g">Sache</hi> von Anfang bis zu Ende treu; ihrer ur&#x017F;prüng-<lb/>
lichen Richtung und Voraus&#x017F;etzung nach lediglich durch die<lb/>
Sache be&#x017F;timmt, nimmt &#x017F;ie Nichts in &#x017F;ich auf, was über das<lb/>
rein Sachliche hinausginge und die Per&#x017F;on träfe, &#x017F;ie ent&#x017F;teht<lb/></p>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[184/0200] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik. alte reivind. ging ſelbſt nicht einmal im Moment ihrer Ver- wirklichung durch den Begriff der Obligation hindurch, denn der Beklagte hat die Sache nicht zu geben, ſondern der Kläger nimmt ſie ſich, 244) das Dulden von Seiten des Beklagten iſt Nichts als das Unterlaſſen der Auflehnung gegen die Rechts- ordnung und die Obrigkeit. 245) Auch wenn der Beklagte nach dem Urtheil geſtorben wäre, hätte die Execution keinen Auf- ſchub zu erleiden brauchen, zum beſten Beweiſe, daß jenes Dulden kein Handeln war, denn Handeln ſetzt eine Perſon voraus. So wenig es eines Gebens bedurft hätte, wenn der Beklagte von vornherein einen Widerſtand überall nicht ent- gegengeſetzt hätte, ſondern wie hier der Kläger nach erfolgter addictio des Prätors 246) einfach den vor Gericht gebrachten Gegenſtand mit ſich hinweggenommen hätte, 247) ganz ebenſo ſtand die Sache, wenn dieſer Widerſtand durch das Urtheil ge- brochen war. Als Reſultat unſerer bisherigen Ausführungen werden wir den Satz ausſprechen dürfen: die reivind. des neuern Rechts iſt ein Conglomerat verſchiedener um das Eigenthum ſich drehen- der Anſprüche, dinglicher und perſönlicher, nicht ſowohl eine einzelne Klage, als ein ganzer Complex von Klagen, kurz in analytiſcher Hinſicht ein Compoſitum. Die reivind. des ältern Rechts dagegen bleibt dem Geſichtspunkt eines Verfahrens ge- gen die Sache von Anfang bis zu Ende treu; ihrer urſprüng- lichen Richtung und Vorausſetzung nach lediglich durch die Sache beſtimmt, nimmt ſie Nichts in ſich auf, was über das rein Sachliche hinausginge und die Perſon träfe, ſie entſteht 244) L. 57 pr. de evict. (21. 2) .. ante ablatam vel abductam rem L. 67 ibid. 245) L. 6 §. 1 si quis jus (2. 3). 246) Gaj. II. 24 (in jure cessio). 247) Ebenſo wenn durch Ertheilung der Vindicien der Beſitz von dem Einen auf den Andern übertragen worden war. Liv. III. 48: I Lictor, sub- move turbam et da viam domino ad prehendendum mancipium.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/200
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/200>, abgerufen am 22.11.2024.