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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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B. Das Rechtsgeschäft. Simultaneität der Wirkungen. §. 53.
erschüttert werden würde, daß also, wenn wir mit den positiv
gegebenen Größen und nicht mit bloß denkbaren operiren wollen,
die oben behauptete juristisch-logische Unmöglichkeit voll-
kommen begründet ist, wird nicht bestritten werden.

Der Satz, den ich so eben für das Eigenthum aufgestellt habe,
gilt für sämmtliche Rechtsbegriffe. Ein leerer Zwischenraum
zwischen dem Rechtsgeschäft und der Entstehung des Rechts ist
eben so unmöglich, wie eine Trennung von Ursache und Wirkung,
oder eine Geburt, bei der das Leben erst nach einiger Zeit be-
ginnen soll. Bei allen Rechtsgeschäften 221) unter Lebenden ist
demgemäß die Vertagung der Existenz des Rechts (dies ex
quo
) 222) unmöglich. Davon macht auch die Obligation keine Aus-
nahme; sie entsteht bekanntlich sofort, auch wenn die Erfül-
lung
bis zu einem bestimmten Termin hinaus geschoben ist. 223)

Nur beim Testament begründet auch hier wiederum der Ge-
sichtspunkt, daß es die Zukunft zu seinem Gebiet hat, insofern
eine Abweichung, als der Testator, wenn auch nicht die Erbes-
einsetzung, so doch das Legat an einen beliebigen Zeitpunkt
knüpfen kann.

Die Vertagung der bloßen Ausübung des factischen Genusses
des Rechts würde mit dem obigen Princip nicht unverträglich
sein, und hätte die ältere Jurisprudenz die Ausübung als etwas
Rechtliches aufgefaßt, so würde ihr die Form der deductio das
Mittel dargeboten haben, jenen Zweck zu erreichen. Allein die
Regel von der Unzulässigkeit des dies ex quo wird für das ältere

221) Dies erkennt Paulus auch für den Ususfructus an, Vat. fr. §. 49;
L. 4 de usufr. (7. 1)
muß also interpolirt sein. Dagegen war der Richter
im Theilungsproceß daran eben so wenig gebunden, wie der Erblasser L. 16
§. 2 fam. erc. (10. 2),
während dies nicht für die Bestellung des Tutors von
Seiten der Obrigkeit galt L. 77 de R. J. (50. 17) §. 3 I. Qui test. (1. 14).
222) Die Unzulässigkeit des dies ad quem hat meiner Ansicht nach mit
der Theorie des Rechtsgeschäfts nichts zu schaffen, sie kann vielmehr nur
aus der Theorie der Rechte befriedigend erklärt werden.
223) L. 46 pr. de V. O. (45. 1) .. praesens obligatio est, in diem
autem dilata solutio

B. Das Rechtsgeſchäft. Simultaneität der Wirkungen. §. 53.
erſchüttert werden würde, daß alſo, wenn wir mit den poſitiv
gegebenen Größen und nicht mit bloß denkbaren operiren wollen,
die oben behauptete juriſtiſch-logiſche Unmöglichkeit voll-
kommen begründet iſt, wird nicht beſtritten werden.

Der Satz, den ich ſo eben für das Eigenthum aufgeſtellt habe,
gilt für ſämmtliche Rechtsbegriffe. Ein leerer Zwiſchenraum
zwiſchen dem Rechtsgeſchäft und der Entſtehung des Rechts iſt
eben ſo unmöglich, wie eine Trennung von Urſache und Wirkung,
oder eine Geburt, bei der das Leben erſt nach einiger Zeit be-
ginnen ſoll. Bei allen Rechtsgeſchäften 221) unter Lebenden iſt
demgemäß die Vertagung der Exiſtenz des Rechts (dies ex
quo
) 222) unmöglich. Davon macht auch die Obligation keine Aus-
nahme; ſie entſteht bekanntlich ſofort, auch wenn die Erfül-
lung
bis zu einem beſtimmten Termin hinaus geſchoben iſt. 223)

Nur beim Teſtament begründet auch hier wiederum der Ge-
ſichtspunkt, daß es die Zukunft zu ſeinem Gebiet hat, inſofern
eine Abweichung, als der Teſtator, wenn auch nicht die Erbes-
einſetzung, ſo doch das Legat an einen beliebigen Zeitpunkt
knüpfen kann.

Die Vertagung der bloßen Ausübung des factiſchen Genuſſes
des Rechts würde mit dem obigen Princip nicht unverträglich
ſein, und hätte die ältere Jurisprudenz die Ausübung als etwas
Rechtliches aufgefaßt, ſo würde ihr die Form der deductio das
Mittel dargeboten haben, jenen Zweck zu erreichen. Allein die
Regel von der Unzuläſſigkeit des dies ex quo wird für das ältere

221) Dies erkennt Paulus auch für den Uſusfructus an, Vat. fr. §. 49;
L. 4 de usufr. (7. 1)
muß alſo interpolirt ſein. Dagegen war der Richter
im Theilungsproceß daran eben ſo wenig gebunden, wie der Erblaſſer L. 16
§. 2 fam. erc. (10. 2),
während dies nicht für die Beſtellung des Tutors von
Seiten der Obrigkeit galt L. 77 de R. J. (50. 17) §. 3 I. Qui test. (1. 14).
222) Die Unzuläſſigkeit des dies ad quem hat meiner Anſicht nach mit
der Theorie des Rechtsgeſchäfts nichts zu ſchaffen, ſie kann vielmehr nur
aus der Theorie der Rechte befriedigend erklärt werden.
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autem dilata solutio
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[165/0181] B. Das Rechtsgeſchäft. Simultaneität der Wirkungen. §. 53. erſchüttert werden würde, daß alſo, wenn wir mit den poſitiv gegebenen Größen und nicht mit bloß denkbaren operiren wollen, die oben behauptete juriſtiſch-logiſche Unmöglichkeit voll- kommen begründet iſt, wird nicht beſtritten werden. Der Satz, den ich ſo eben für das Eigenthum aufgeſtellt habe, gilt für ſämmtliche Rechtsbegriffe. Ein leerer Zwiſchenraum zwiſchen dem Rechtsgeſchäft und der Entſtehung des Rechts iſt eben ſo unmöglich, wie eine Trennung von Urſache und Wirkung, oder eine Geburt, bei der das Leben erſt nach einiger Zeit be- ginnen ſoll. Bei allen Rechtsgeſchäften 221) unter Lebenden iſt demgemäß die Vertagung der Exiſtenz des Rechts (dies ex quo) 222) unmöglich. Davon macht auch die Obligation keine Aus- nahme; ſie entſteht bekanntlich ſofort, auch wenn die Erfül- lung bis zu einem beſtimmten Termin hinaus geſchoben iſt. 223) Nur beim Teſtament begründet auch hier wiederum der Ge- ſichtspunkt, daß es die Zukunft zu ſeinem Gebiet hat, inſofern eine Abweichung, als der Teſtator, wenn auch nicht die Erbes- einſetzung, ſo doch das Legat an einen beliebigen Zeitpunkt knüpfen kann. Die Vertagung der bloßen Ausübung des factiſchen Genuſſes des Rechts würde mit dem obigen Princip nicht unverträglich ſein, und hätte die ältere Jurisprudenz die Ausübung als etwas Rechtliches aufgefaßt, ſo würde ihr die Form der deductio das Mittel dargeboten haben, jenen Zweck zu erreichen. Allein die Regel von der Unzuläſſigkeit des dies ex quo wird für das ältere 221) Dies erkennt Paulus auch für den Uſusfructus an, Vat. fr. §. 49; L. 4 de usufr. (7. 1) muß alſo interpolirt ſein. Dagegen war der Richter im Theilungsproceß daran eben ſo wenig gebunden, wie der Erblaſſer L. 16 §. 2 fam. erc. (10. 2), während dies nicht für die Beſtellung des Tutors von Seiten der Obrigkeit galt L. 77 de R. J. (50. 17) §. 3 I. Qui test. (1. 14). 222) Die Unzuläſſigkeit des dies ad quem hat meiner Anſicht nach mit der Theorie des Rechtsgeſchäfts nichts zu ſchaffen, ſie kann vielmehr nur aus der Theorie der Rechte befriedigend erklärt werden. 223) L. 46 pr. de V. O. (45. 1) .. praesens obligatio est, in diem autem dilata solutio

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/181>, abgerufen am 25.11.2024.