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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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B. Das Rechtsgeschäft. Concentration desselben. §. 53.
her erklären, also abwesend sein -- eine Verschiedenheit, deren
Grund ich nicht in der verschiedenen Auffassung des Wesens der
tutoris auctoritas und des consensus curatoris, sondern lediglich
darin erblicke, daß erstere dem älteren, letzterer dem neuern Recht
angehört.

Der Grundsatz der Einheit der Handlung erlitt meiner Ansicht
nach noch eine andere Anwendung, die unserer heutigen Vorstel-
lung ziemlich fern liegt. Sie bestand darin, daß alle Nach-
träge
zum Rechtsgeschäft ausgeschlossen waren. Der alten
Jurisprudenz erschienen diese Nebenschößlinge des Rechtsge-
schäfts als etwas nicht zu Duldendes, sie verlangte, daß alles,
was mit dem Rechtsgeschäft gelten wolle, auch mit ihm ent-
standen
sein, in ihm stecken müsse. Ihrer Theorie nach ver-
mochte das Rechtsgeschäft nur ein Doppeltes: das Verhältniß,
das es zum Gegenstand hat, begründen oder aufheben,
nicht
aber es modificiren; wer letzteres beabsichtigt, muß
dies in der Weise bewerkstelligen, daß er das Verhältniß ganz
neu begründet, 187) z. B. die Obligation novirt -- die alte
Jurisprudenz duldet kein Flicken. Wie die lebenden Wesen den
Körper, den sie bei der Geburt mit auf die Welt bringen, bis an
ihr Ende beibehalten, so auch die Rechtsverhältnisse.

Daß darin eine Anwendung des Grundsatzes der Einheit der
Handlung liegt, wird keines Nachweises bedürfen. Jeder Nach-
trag enthält ein vergessenes Stück Handeln, die Totalität des
Handelns, die sich sonst in dem einen Akt des Rechtsgeschäfts
concentrirt, zersplittert und zerstreut sich, wenn man Nachträge
zuläßt, in einzelne Akte und Zeitmomente, dieses Stück des
Rechtsverhältnisses entsteht in diesem, jenes in jenem Moment
-- die Einheit der Zeit ist preisgegeben.

Auch nach dieser Richtung hin hat die neuere Jurisprudenz
sich bis zu einem gewissen Grade von dem Grundsatz der Einheit
der Handlung losgesagt, wie folgende Fälle zeigen werden.

187) L. 21 §. 1 Qui test. (28.1) Si quid post factum testamentum
mutari placuit, omnia ex integro facienda sunt.
10*

B. Das Rechtsgeſchäft. Concentration deſſelben. §. 53.
her erklären, alſo abweſend ſein — eine Verſchiedenheit, deren
Grund ich nicht in der verſchiedenen Auffaſſung des Weſens der
tutoris auctoritas und des consensus curatoris, ſondern lediglich
darin erblicke, daß erſtere dem älteren, letzterer dem neuern Recht
angehört.

Der Grundſatz der Einheit der Handlung erlitt meiner Anſicht
nach noch eine andere Anwendung, die unſerer heutigen Vorſtel-
lung ziemlich fern liegt. Sie beſtand darin, daß alle Nach-
träge
zum Rechtsgeſchäft ausgeſchloſſen waren. Der alten
Jurisprudenz erſchienen dieſe Nebenſchößlinge des Rechtsge-
ſchäfts als etwas nicht zu Duldendes, ſie verlangte, daß alles,
was mit dem Rechtsgeſchäft gelten wolle, auch mit ihm ent-
ſtanden
ſein, in ihm ſtecken müſſe. Ihrer Theorie nach ver-
mochte das Rechtsgeſchäft nur ein Doppeltes: das Verhältniß,
das es zum Gegenſtand hat, begründen oder aufheben,
nicht
aber es modificiren; wer letzteres beabſichtigt, muß
dies in der Weiſe bewerkſtelligen, daß er das Verhältniß ganz
neu begründet, 187) z. B. die Obligation novirt — die alte
Jurisprudenz duldet kein Flicken. Wie die lebenden Weſen den
Körper, den ſie bei der Geburt mit auf die Welt bringen, bis an
ihr Ende beibehalten, ſo auch die Rechtsverhältniſſe.

Daß darin eine Anwendung des Grundſatzes der Einheit der
Handlung liegt, wird keines Nachweiſes bedürfen. Jeder Nach-
trag enthält ein vergeſſenes Stück Handeln, die Totalität des
Handelns, die ſich ſonſt in dem einen Akt des Rechtsgeſchäfts
concentrirt, zerſplittert und zerſtreut ſich, wenn man Nachträge
zuläßt, in einzelne Akte und Zeitmomente, dieſes Stück des
Rechtsverhältniſſes entſteht in dieſem, jenes in jenem Moment
— die Einheit der Zeit iſt preisgegeben.

Auch nach dieſer Richtung hin hat die neuere Jurisprudenz
ſich bis zu einem gewiſſen Grade von dem Grundſatz der Einheit
der Handlung losgeſagt, wie folgende Fälle zeigen werden.

187) L. 21 §. 1 Qui test. (28.1) Si quid post factum testamentum
mutari placuit, omnia ex integro facienda sunt.
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[147/0163] B. Das Rechtsgeſchäft. Concentration deſſelben. §. 53. her erklären, alſo abweſend ſein — eine Verſchiedenheit, deren Grund ich nicht in der verſchiedenen Auffaſſung des Weſens der tutoris auctoritas und des consensus curatoris, ſondern lediglich darin erblicke, daß erſtere dem älteren, letzterer dem neuern Recht angehört. Der Grundſatz der Einheit der Handlung erlitt meiner Anſicht nach noch eine andere Anwendung, die unſerer heutigen Vorſtel- lung ziemlich fern liegt. Sie beſtand darin, daß alle Nach- träge zum Rechtsgeſchäft ausgeſchloſſen waren. Der alten Jurisprudenz erſchienen dieſe Nebenſchößlinge des Rechtsge- ſchäfts als etwas nicht zu Duldendes, ſie verlangte, daß alles, was mit dem Rechtsgeſchäft gelten wolle, auch mit ihm ent- ſtanden ſein, in ihm ſtecken müſſe. Ihrer Theorie nach ver- mochte das Rechtsgeſchäft nur ein Doppeltes: das Verhältniß, das es zum Gegenſtand hat, begründen oder aufheben, nicht aber es modificiren; wer letzteres beabſichtigt, muß dies in der Weiſe bewerkſtelligen, daß er das Verhältniß ganz neu begründet, 187) z. B. die Obligation novirt — die alte Jurisprudenz duldet kein Flicken. Wie die lebenden Weſen den Körper, den ſie bei der Geburt mit auf die Welt bringen, bis an ihr Ende beibehalten, ſo auch die Rechtsverhältniſſe. Daß darin eine Anwendung des Grundſatzes der Einheit der Handlung liegt, wird keines Nachweiſes bedürfen. Jeder Nach- trag enthält ein vergeſſenes Stück Handeln, die Totalität des Handelns, die ſich ſonſt in dem einen Akt des Rechtsgeſchäfts concentrirt, zerſplittert und zerſtreut ſich, wenn man Nachträge zuläßt, in einzelne Akte und Zeitmomente, dieſes Stück des Rechtsverhältniſſes entſteht in dieſem, jenes in jenem Moment — die Einheit der Zeit iſt preisgegeben. Auch nach dieſer Richtung hin hat die neuere Jurisprudenz ſich bis zu einem gewiſſen Grade von dem Grundſatz der Einheit der Handlung losgeſagt, wie folgende Fälle zeigen werden. 187) L. 21 §. 1 Qui test. (28.1) Si quid post factum testamentum mutari placuit, omnia ex integro facienda sunt. 10*

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/163>, abgerufen am 24.11.2024.