Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
Handeln einer einzigen Person bestehen, braucht die Einheit
des Akts nicht erst vorgeschrieben zu werden, sie macht sich fac-
tisch
von selbst, denn es fehlt an jeder Versuchung zum Gegen-
theil. Ganz anders aber bei Rechtsgeschäften, welche, wie das
mündliche Testament, regelmäßig eine längere Dauer in Anspruch
nehmen oder ein Handeln mehrerer Personen erfordern, wie
z. B. die Verträge. Bei ihnen hat das Recht, wenn es einmal
die Einheit des Akts beachtet wissen will, auch allen Grund sie
ausdrücklich zu fordern. Unsere Quellen erwähnen dieses Re-
quisit zwar nur für das Testament, die Stipulation und die
tutoris auctoritas, 184) allein es unterliegt mir nicht dem gering-
sten Zweifel, daß dasselbe für sämmtliche Geschäfte des älte-
ren Rechts gegolten hat. Für die mancipatio (und mithin
auch das nexum) und die in jure cessio erblicke ich eine indirecte
Bestätigung desselben in dem Erforderniß der Gegenwart der
Partheien. Für das Obligationenrecht hängt die Richtigkeit dieser
Behauptung von dem an späterer Stelle zu erbringenden Be-
weise ab, daß die formlosen Verträge ihre Klagbarkeit erst dem
neuern Recht verdanken.

Mit dem nackten Aussprechen dieses Grundsatzes ist aber
wenig gewonnen; einen wirklichen Werth kann er vielmehr nur
dadurch gewinnen, daß wir uns seiner Consequenzen, sowie der
Bedingungen seiner praktischen Durchführbarkeit bewußt werden,
und das erreichen wir am ersten, wenn wir des Gegensatzes
wegen einen Blick auf das spätere Recht werfen.

Bei allen Rechtsgeschäften, welche ein Handeln mehrerer
Personen erfordern, ist die Einheit des Akts (ich abstrahire da-
bei von der erst unsern Tagen angehörigen Telegraphie) bedingt
durch die Anwesenheit derselben an demselben Ort -- Einheit
der Zeit ist Einheit des Raums, Trennung im Raum ge-

184) Für das Testament: L. 21 §. 3 qui test. (28. 1): uno con-
textu
actus,
für die Stipulation: L. 137 pr. de V. O. (45. 1) con-
tinuus
actus
(B. 2 S. 582), für die tut. auctor. §. 2 I. de auct. tut.
(1. 21) statim in ipso negotio.

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
Handeln einer einzigen Perſon beſtehen, braucht die Einheit
des Akts nicht erſt vorgeſchrieben zu werden, ſie macht ſich fac-
tiſch
von ſelbſt, denn es fehlt an jeder Verſuchung zum Gegen-
theil. Ganz anders aber bei Rechtsgeſchäften, welche, wie das
mündliche Teſtament, regelmäßig eine längere Dauer in Anſpruch
nehmen oder ein Handeln mehrerer Perſonen erfordern, wie
z. B. die Verträge. Bei ihnen hat das Recht, wenn es einmal
die Einheit des Akts beachtet wiſſen will, auch allen Grund ſie
ausdrücklich zu fordern. Unſere Quellen erwähnen dieſes Re-
quiſit zwar nur für das Teſtament, die Stipulation und die
tutoris auctoritas, 184) allein es unterliegt mir nicht dem gering-
ſten Zweifel, daß daſſelbe für ſämmtliche Geſchäfte des älte-
ren Rechts gegolten hat. Für die mancipatio (und mithin
auch das nexum) und die in jure cessio erblicke ich eine indirecte
Beſtätigung deſſelben in dem Erforderniß der Gegenwart der
Partheien. Für das Obligationenrecht hängt die Richtigkeit dieſer
Behauptung von dem an ſpäterer Stelle zu erbringenden Be-
weiſe ab, daß die formloſen Verträge ihre Klagbarkeit erſt dem
neuern Recht verdanken.

Mit dem nackten Ausſprechen dieſes Grundſatzes iſt aber
wenig gewonnen; einen wirklichen Werth kann er vielmehr nur
dadurch gewinnen, daß wir uns ſeiner Conſequenzen, ſowie der
Bedingungen ſeiner praktiſchen Durchführbarkeit bewußt werden,
und das erreichen wir am erſten, wenn wir des Gegenſatzes
wegen einen Blick auf das ſpätere Recht werfen.

Bei allen Rechtsgeſchäften, welche ein Handeln mehrerer
Perſonen erfordern, iſt die Einheit des Akts (ich abſtrahire da-
bei von der erſt unſern Tagen angehörigen Telegraphie) bedingt
durch die Anweſenheit derſelben an demſelben Ort — Einheit
der Zeit iſt Einheit des Raums, Trennung im Raum ge-

184) Für das Teſtament: L. 21 §. 3 qui test. (28. 1): uno con-
textu
actus,
für die Stipulation: L. 137 pr. de V. O. (45. 1) con-
tinuus
actus
(B. 2 S. 582), für die tut. auctor. §. 2 I. de auct. tut.
(1. 21) statim in ipso negotio.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <div n="9">
                        <p><pb facs="#f0160" n="144"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Er&#x017F;ter Ab&#x017F;chn. <hi rendition="#aq">III.</hi> Die Technik. <hi rendition="#aq">A.</hi> Die Analytik.</fw><lb/>
Handeln einer <hi rendition="#g">einzigen</hi> Per&#x017F;on be&#x017F;tehen, braucht die Einheit<lb/>
des Akts nicht er&#x017F;t vorge&#x017F;chrieben zu werden, &#x017F;ie macht &#x017F;ich <hi rendition="#g">fac-<lb/>
ti&#x017F;ch</hi> von &#x017F;elb&#x017F;t, denn es fehlt an jeder Ver&#x017F;uchung zum Gegen-<lb/>
theil. Ganz anders aber bei Rechtsge&#x017F;chäften, welche, wie das<lb/>
mündliche Te&#x017F;tament, regelmäßig eine längere Dauer in An&#x017F;pruch<lb/>
nehmen oder ein Handeln <hi rendition="#g">mehrerer</hi> Per&#x017F;onen erfordern, wie<lb/>
z. B. die Verträge. Bei ihnen hat das Recht, wenn es einmal<lb/>
die Einheit des Akts beachtet wi&#x017F;&#x017F;en will, auch allen Grund &#x017F;ie<lb/>
ausdrücklich zu fordern. Un&#x017F;ere Quellen erwähnen die&#x017F;es Re-<lb/>
qui&#x017F;it zwar nur für das Te&#x017F;tament, die Stipulation und die<lb/><hi rendition="#aq">tutoris auctoritas,</hi> <note place="foot" n="184)">Für das <hi rendition="#g">Te&#x017F;tament</hi>: <hi rendition="#aq">L. 21 §. 3 qui test. (28. 1): <hi rendition="#g">uno con-<lb/>
textu</hi> actus,</hi> für die <hi rendition="#g">Stipulation</hi>: <hi rendition="#aq">L. 137 pr. de V. O. (45. 1) <hi rendition="#g">con-<lb/>
tinuus</hi> actus</hi> (B. 2 S. 582), für die <hi rendition="#aq">tut. auctor. §. 2 I. de auct. tut.<lb/>
(1. 21) statim in ipso negotio.</hi></note> allein es unterliegt mir nicht dem gering-<lb/>
&#x017F;ten Zweifel, daß da&#x017F;&#x017F;elbe für <hi rendition="#g">&#x017F;ämmtliche</hi> Ge&#x017F;chäfte des älte-<lb/>
ren Rechts gegolten hat. Für die <hi rendition="#aq">mancipatio</hi> (und mithin<lb/>
auch das <hi rendition="#aq">nexum</hi>) und die <hi rendition="#aq">in jure cessio</hi> erblicke ich eine indirecte<lb/>
Be&#x017F;tätigung de&#x017F;&#x017F;elben in dem Erforderniß der <hi rendition="#g">Gegenwart</hi> der<lb/>
Partheien. Für das Obligationenrecht hängt die Richtigkeit die&#x017F;er<lb/>
Behauptung von dem an &#x017F;päterer Stelle zu erbringenden Be-<lb/>
wei&#x017F;e ab, daß die formlo&#x017F;en Verträge ihre Klagbarkeit er&#x017F;t dem<lb/>
neuern Recht verdanken.</p><lb/>
                        <p>Mit dem nackten Aus&#x017F;prechen die&#x017F;es Grund&#x017F;atzes i&#x017F;t aber<lb/>
wenig gewonnen; einen wirklichen Werth kann er vielmehr nur<lb/>
dadurch gewinnen, daß wir uns &#x017F;einer Con&#x017F;equenzen, &#x017F;owie der<lb/>
Bedingungen &#x017F;einer prakti&#x017F;chen Durchführbarkeit bewußt werden,<lb/>
und das erreichen wir am er&#x017F;ten, wenn wir des Gegen&#x017F;atzes<lb/>
wegen einen Blick auf das &#x017F;pätere Recht werfen.</p><lb/>
                        <p>Bei allen Rechtsge&#x017F;chäften, welche ein Handeln mehrerer<lb/>
Per&#x017F;onen erfordern, i&#x017F;t die Einheit des <hi rendition="#g">Akts</hi> (ich ab&#x017F;trahire da-<lb/>
bei von der er&#x017F;t un&#x017F;ern Tagen angehörigen Telegraphie) bedingt<lb/>
durch die Anwe&#x017F;enheit der&#x017F;elben an dem&#x017F;elben Ort &#x2014; Einheit<lb/>
der <hi rendition="#g">Zeit</hi> i&#x017F;t Einheit des <hi rendition="#g">Raums</hi>, Trennung im Raum ge-<lb/></p>
                      </div>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[144/0160] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik. Handeln einer einzigen Perſon beſtehen, braucht die Einheit des Akts nicht erſt vorgeſchrieben zu werden, ſie macht ſich fac- tiſch von ſelbſt, denn es fehlt an jeder Verſuchung zum Gegen- theil. Ganz anders aber bei Rechtsgeſchäften, welche, wie das mündliche Teſtament, regelmäßig eine längere Dauer in Anſpruch nehmen oder ein Handeln mehrerer Perſonen erfordern, wie z. B. die Verträge. Bei ihnen hat das Recht, wenn es einmal die Einheit des Akts beachtet wiſſen will, auch allen Grund ſie ausdrücklich zu fordern. Unſere Quellen erwähnen dieſes Re- quiſit zwar nur für das Teſtament, die Stipulation und die tutoris auctoritas, 184) allein es unterliegt mir nicht dem gering- ſten Zweifel, daß daſſelbe für ſämmtliche Geſchäfte des älte- ren Rechts gegolten hat. Für die mancipatio (und mithin auch das nexum) und die in jure cessio erblicke ich eine indirecte Beſtätigung deſſelben in dem Erforderniß der Gegenwart der Partheien. Für das Obligationenrecht hängt die Richtigkeit dieſer Behauptung von dem an ſpäterer Stelle zu erbringenden Be- weiſe ab, daß die formloſen Verträge ihre Klagbarkeit erſt dem neuern Recht verdanken. Mit dem nackten Ausſprechen dieſes Grundſatzes iſt aber wenig gewonnen; einen wirklichen Werth kann er vielmehr nur dadurch gewinnen, daß wir uns ſeiner Conſequenzen, ſowie der Bedingungen ſeiner praktiſchen Durchführbarkeit bewußt werden, und das erreichen wir am erſten, wenn wir des Gegenſatzes wegen einen Blick auf das ſpätere Recht werfen. Bei allen Rechtsgeſchäften, welche ein Handeln mehrerer Perſonen erfordern, iſt die Einheit des Akts (ich abſtrahire da- bei von der erſt unſern Tagen angehörigen Telegraphie) bedingt durch die Anweſenheit derſelben an demſelben Ort — Einheit der Zeit iſt Einheit des Raums, Trennung im Raum ge- 184) Für das Teſtament: L. 21 §. 3 qui test. (28. 1): uno con- textu actus, für die Stipulation: L. 137 pr. de V. O. (45. 1) con- tinuus actus (B. 2 S. 582), für die tut. auctor. §. 2 I. de auct. tut. (1. 21) statim in ipso negotio.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/160
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/160>, abgerufen am 24.11.2024.