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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
Einreden, über die täglich auf Kosten der Partheien viel hin und
her gestritten wird, würden als Klagen zum Vorschein kommen!
Der Mechanismus, den der altrömische Proceß besaß, und den
auch der heutige für manche Verhältnisse in Anwendung bringt,
verringert mithin die Kosten, anstatt sie zu erhöhen, denn
er schneidet eine Menge werthlosen Streitmaterials von vorn-
herein ab. Um den vermeintlichen Vortheil der Kostenersparniß
erkaufen wir heutzutage Processe, die einem Lastwagen gleich das
ganze Material von möglichen und unmöglichen Klagen und Ein-
reden beider Partheien in sich aufnehmen müssen, und mühsam
sich aus der Stelle schleppend und stets in Gefahr, die Ladung
durch Unordnung und Verwirrung zu beschädigen, nicht selten erst
am Ziele anlangen, nachdem Richter, Rechtsbeistände und Par-
theien die Uebersicht, Geduld und das Leben verloren haben.

Der Kostenpunkt fiel übrigens für den alten Proceß, von den
Proceßkosten der legis actio sacramento abgesehen, wenig ins
Gewicht; die Kunst des Juristen ging damals noch nicht nach
Brod -- was aber dieser Umstand für das Proceßwesen zu be-
deuten hat, darauf brauche ich hier nicht wieder zurückzukommen
(s. B. 2 S. 444).

Neben dem Kostenpunkt bildet der durch den Proceß veran-
laßte Zeitverlust eine wichtige Rücksicht. Wo der Proceß vor-
zugsweise auf dem Papiere spielt, möchte auch hier aus den eben
entwickelten Gründen die Bilanz sich mehr zu Gunsten des pro-
cessualischen Isolirungs- als des Cumulirungs-Princips neigen.
Ganz anders aber, wo er auf mündliche Verhandlung und folg-
lich persönliches Erscheinen der interessirten Personen gebaut ist.
Hier ist die Behauptung Planks (Note 167) ganz begründet,
"daß getrennte Rechtsstreitigkeiten doppeltes Kommen und doppelte
Termine veranlassen". Aber der Werth der Zeit ist nicht überall
derselbe; daß Zeit Geld ist, gilt nur für Personen, welche
arbeiten, denn nur Arbeit ist Geld. Für den, der arbeitet,
ist die Frage von dem durch den Proceß veranlaßten Zeitaufwand
nicht eine Frage der bloßen Bequemlichkeit, sondern des mate-

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
Einreden, über die täglich auf Koſten der Partheien viel hin und
her geſtritten wird, würden als Klagen zum Vorſchein kommen!
Der Mechanismus, den der altrömiſche Proceß beſaß, und den
auch der heutige für manche Verhältniſſe in Anwendung bringt,
verringert mithin die Koſten, anſtatt ſie zu erhöhen, denn
er ſchneidet eine Menge werthloſen Streitmaterials von vorn-
herein ab. Um den vermeintlichen Vortheil der Koſtenerſparniß
erkaufen wir heutzutage Proceſſe, die einem Laſtwagen gleich das
ganze Material von möglichen und unmöglichen Klagen und Ein-
reden beider Partheien in ſich aufnehmen müſſen, und mühſam
ſich aus der Stelle ſchleppend und ſtets in Gefahr, die Ladung
durch Unordnung und Verwirrung zu beſchädigen, nicht ſelten erſt
am Ziele anlangen, nachdem Richter, Rechtsbeiſtände und Par-
theien die Ueberſicht, Geduld und das Leben verloren haben.

Der Koſtenpunkt fiel übrigens für den alten Proceß, von den
Proceßkoſten der legis actio sacramento abgeſehen, wenig ins
Gewicht; die Kunſt des Juriſten ging damals noch nicht nach
Brod — was aber dieſer Umſtand für das Proceßweſen zu be-
deuten hat, darauf brauche ich hier nicht wieder zurückzukommen
(ſ. B. 2 S. 444).

Neben dem Koſtenpunkt bildet der durch den Proceß veran-
laßte Zeitverluſt eine wichtige Rückſicht. Wo der Proceß vor-
zugsweiſe auf dem Papiere ſpielt, möchte auch hier aus den eben
entwickelten Gründen die Bilanz ſich mehr zu Gunſten des pro-
ceſſualiſchen Iſolirungs- als des Cumulirungs-Princips neigen.
Ganz anders aber, wo er auf mündliche Verhandlung und folg-
lich perſönliches Erſcheinen der intereſſirten Perſonen gebaut iſt.
Hier iſt die Behauptung Planks (Note 167) ganz begründet,
„daß getrennte Rechtsſtreitigkeiten doppeltes Kommen und doppelte
Termine veranlaſſen“. Aber der Werth der Zeit iſt nicht überall
derſelbe; daß Zeit Geld iſt, gilt nur für Perſonen, welche
arbeiten, denn nur Arbeit iſt Geld. Für den, der arbeitet,
iſt die Frage von dem durch den Proceß veranlaßten Zeitaufwand
nicht eine Frage der bloßen Bequemlichkeit, ſondern des mate-

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[122/0138] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik. Einreden, über die täglich auf Koſten der Partheien viel hin und her geſtritten wird, würden als Klagen zum Vorſchein kommen! Der Mechanismus, den der altrömiſche Proceß beſaß, und den auch der heutige für manche Verhältniſſe in Anwendung bringt, verringert mithin die Koſten, anſtatt ſie zu erhöhen, denn er ſchneidet eine Menge werthloſen Streitmaterials von vorn- herein ab. Um den vermeintlichen Vortheil der Koſtenerſparniß erkaufen wir heutzutage Proceſſe, die einem Laſtwagen gleich das ganze Material von möglichen und unmöglichen Klagen und Ein- reden beider Partheien in ſich aufnehmen müſſen, und mühſam ſich aus der Stelle ſchleppend und ſtets in Gefahr, die Ladung durch Unordnung und Verwirrung zu beſchädigen, nicht ſelten erſt am Ziele anlangen, nachdem Richter, Rechtsbeiſtände und Par- theien die Ueberſicht, Geduld und das Leben verloren haben. Der Koſtenpunkt fiel übrigens für den alten Proceß, von den Proceßkoſten der legis actio sacramento abgeſehen, wenig ins Gewicht; die Kunſt des Juriſten ging damals noch nicht nach Brod — was aber dieſer Umſtand für das Proceßweſen zu be- deuten hat, darauf brauche ich hier nicht wieder zurückzukommen (ſ. B. 2 S. 444). Neben dem Koſtenpunkt bildet der durch den Proceß veran- laßte Zeitverluſt eine wichtige Rückſicht. Wo der Proceß vor- zugsweiſe auf dem Papiere ſpielt, möchte auch hier aus den eben entwickelten Gründen die Bilanz ſich mehr zu Gunſten des pro- ceſſualiſchen Iſolirungs- als des Cumulirungs-Princips neigen. Ganz anders aber, wo er auf mündliche Verhandlung und folg- lich perſönliches Erſcheinen der intereſſirten Perſonen gebaut iſt. Hier iſt die Behauptung Planks (Note 167) ganz begründet, „daß getrennte Rechtsſtreitigkeiten doppeltes Kommen und doppelte Termine veranlaſſen“. Aber der Werth der Zeit iſt nicht überall derſelbe; daß Zeit Geld iſt, gilt nur für Perſonen, welche arbeiten, denn nur Arbeit iſt Geld. Für den, der arbeitet, iſt die Frage von dem durch den Proceß veranlaßten Zeitaufwand nicht eine Frage der bloßen Bequemlichkeit, ſondern des mate-

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/138>, abgerufen am 23.11.2024.