Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.1. Die juristische Analyse. §. 39. eines solchen eine Regel aufstellen, es würde der Stoff uns nichtbloß durch seine Massenhaftigkeit erdrücken, sondern trotz der- selben uns täglich im Stich lassen, da die Erfindungskraft des Lebens aller Voraussicht und Berechnung spottet. Zersetzung des Stoffs, Auffindung der einfachen Elemente In welcher Weise geschieht diese Zersetzung, wie ist sie mög- Ich nehme an, daß man bei Ausarbeitung eines Gesetz- 1. Die juriſtiſche Analyſe. §. 39. eines ſolchen eine Regel aufſtellen, es würde der Stoff uns nichtbloß durch ſeine Maſſenhaftigkeit erdrücken, ſondern trotz der- ſelben uns täglich im Stich laſſen, da die Erfindungskraft des Lebens aller Vorausſicht und Berechnung ſpottet. Zerſetzung des Stoffs, Auffindung der einfachen Elemente In welcher Weiſe geſchieht dieſe Zerſetzung, wie iſt ſie mög- Ich nehme an, daß man bei Ausarbeitung eines Geſetz- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p><pb facs="#f0067" n="361"/><fw place="top" type="header">1. Die juriſtiſche Analyſe. §. 39.</fw><lb/> eines ſolchen eine Regel aufſtellen, es würde der Stoff uns nicht<lb/> bloß durch ſeine Maſſenhaftigkeit erdrücken, ſondern trotz der-<lb/> ſelben uns täglich im Stich laſſen, da die Erfindungskraft des<lb/> Lebens aller Vorausſicht und Berechnung ſpottet.</p><lb/> <p>Zerſetzung des Stoffs, Auffindung der einfachen Elemente<lb/> des Rechts iſt alſo der in der innerſten Nothwendigkeit der Sache<lb/> ſelbſt gelegene Weg zum Ziel. Es bewährt ſich hier eine Bemer-<lb/> kung, die wir früher (S. 27) bei einer andern Gelegenheit zu<lb/> machen hatten, daß das Weſen des Rechts in Zerſetzen, Schei-<lb/> den, Trennen beſtehe. Die juriſtiſche Technik läßt ſich nach die-<lb/> ſer Seite hin als eine <hi rendition="#g">Chemie des Rechts</hi> bezeichnen, als<lb/> die juriſtiſche Scheidekunſt, welche die einfachen Körper ſucht.<lb/> Auf je weniger einfache Körper ſie den Stoff zurückführt, je mehr<lb/> ſie alle zuſammengeſetzten als das erkennt, was ſie ſind, und<lb/> ihnen damit den Schein ſelbſtſtändiger juriſtiſcher Exiſtenz ent-<lb/> zieht, um ſo höher ihre Kunſt, um ſo vollkommener das Recht.</p><lb/> <p>In welcher Weiſe geſchieht dieſe Zerſetzung, wie iſt ſie mög-<lb/> lich? Ich hoffe dies bereits an dieſer Stelle klar machen zu<lb/> können, will jedoch bemerken, daß dieſer Gegenſtand erſt bei<lb/> Gelegenheit der juriſtiſchen Conſtruction ſein volles Licht erhal-<lb/> ten wird.</p><lb/> <p>Ich nehme an, daß man bei Ausarbeitung eines Geſetz-<lb/> buches zuerſt den Kaufcontract behandelt und alle denkbaren Fra-<lb/> gen, die im Leben bei ihm vorkommen können, entſchieden hat.<lb/> Späterhin handelt es ſich um eine gleiche legislative Normirung<lb/> anderer Contracte z. B. des Tauſch-, Miethcontractes. Hier<lb/> werden nun neben ſolchen Fragen, die rein und ausſchließlich<lb/> auf dies beſondere Verhältniß ſich beziehen, auch ſolche wieder-<lb/> kehren, die bereits bei Gelegenheit des Kaufcontracts und mit<lb/> Rückſicht auf ihn entſchieden worden ſind z. B. die Frage über<lb/> den Einfluß des Irrthums auf die Gültigkeit des Contracts,<lb/> über die Folgen der Mangelhaftigkeit oder Verzögerung der Lei-<lb/> ſtung. Es wäre nun denkbar, daß man eine ſolche ſich öfter wie-<lb/> derholende Frage mit Rückſicht auf die wirkliche oder vermeint-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [361/0067]
1. Die juriſtiſche Analyſe. §. 39.
eines ſolchen eine Regel aufſtellen, es würde der Stoff uns nicht
bloß durch ſeine Maſſenhaftigkeit erdrücken, ſondern trotz der-
ſelben uns täglich im Stich laſſen, da die Erfindungskraft des
Lebens aller Vorausſicht und Berechnung ſpottet.
Zerſetzung des Stoffs, Auffindung der einfachen Elemente
des Rechts iſt alſo der in der innerſten Nothwendigkeit der Sache
ſelbſt gelegene Weg zum Ziel. Es bewährt ſich hier eine Bemer-
kung, die wir früher (S. 27) bei einer andern Gelegenheit zu
machen hatten, daß das Weſen des Rechts in Zerſetzen, Schei-
den, Trennen beſtehe. Die juriſtiſche Technik läßt ſich nach die-
ſer Seite hin als eine Chemie des Rechts bezeichnen, als
die juriſtiſche Scheidekunſt, welche die einfachen Körper ſucht.
Auf je weniger einfache Körper ſie den Stoff zurückführt, je mehr
ſie alle zuſammengeſetzten als das erkennt, was ſie ſind, und
ihnen damit den Schein ſelbſtſtändiger juriſtiſcher Exiſtenz ent-
zieht, um ſo höher ihre Kunſt, um ſo vollkommener das Recht.
In welcher Weiſe geſchieht dieſe Zerſetzung, wie iſt ſie mög-
lich? Ich hoffe dies bereits an dieſer Stelle klar machen zu
können, will jedoch bemerken, daß dieſer Gegenſtand erſt bei
Gelegenheit der juriſtiſchen Conſtruction ſein volles Licht erhal-
ten wird.
Ich nehme an, daß man bei Ausarbeitung eines Geſetz-
buches zuerſt den Kaufcontract behandelt und alle denkbaren Fra-
gen, die im Leben bei ihm vorkommen können, entſchieden hat.
Späterhin handelt es ſich um eine gleiche legislative Normirung
anderer Contracte z. B. des Tauſch-, Miethcontractes. Hier
werden nun neben ſolchen Fragen, die rein und ausſchließlich
auf dies beſondere Verhältniß ſich beziehen, auch ſolche wieder-
kehren, die bereits bei Gelegenheit des Kaufcontracts und mit
Rückſicht auf ihn entſchieden worden ſind z. B. die Frage über
den Einfluß des Irrthums auf die Gültigkeit des Contracts,
über die Folgen der Mangelhaftigkeit oder Verzögerung der Lei-
ſtung. Es wäre nun denkbar, daß man eine ſolche ſich öfter wie-
derholende Frage mit Rückſicht auf die wirkliche oder vermeint-
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